© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Fernsehen am 3. Oktober: Über die Unfähigkeit der Deutschen, sich selbst zu feiern
Im Westen nichts Neues
Ilse Meuter

Alljährlich hält die JUNGE FREIHEIT kritische Rückschau auf die mediale Gestaltung des Nationalfeiertags. Hat sich etwas verändert? Wirkt sich das Herannahen der Berliner Republik aus? Leider Fehlanzeige. Auch heuer gilt: Im Westen nichts Neues.

Zur Einstimmung auf den Tag aus der Retorte gab es am Vorabend einen unsäglichen Streifen, mit dem "Das Erste", die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands, endlich den Schulterschluß mit "den Privaten" geschafft hat. Es gab eine weitere Zumutung aus der "Konsalik-Collection": polierter als alles auf Pro 7, schleppender in Szene gesetzt als von RTL, retortenhaft wie bei Kabel 1 – eine uninspirierte Kolportage; die ARD sorgte für den ideologischen Drall. Politkorrekter Plot: Geldgierige deutsche Fluglinie läßt eine ihrer Maschinen in den USA abstürzen; ein feister Heinz Hoenig mimt, gesponsert mit deutschen Steuermillionen via Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, einen deutschen Geldsack; Joint venture zwischen Hollywood und Kohlenpott. Eine dieser taffen Serien-Tugendbolzen, Typ Southern belle, wenig Liz Taylor, viel Monica Lewinsky, pendelt ermittelnd zwischen Bankfurt und Miami; ein durch deutsche Ränke unschuldig zum Crashpilot geworden, durchschaut den Nazi-Charterer und bestraft ihn nach Yankee-Filmsitte exterminatorisch. Im TV-Flieger gibt’s Product-Placement, die Stewardess beruhigt ihren American Hero (Airbus wollte vermutlich nicht genug zahlen): "Die Boeing 747, müssen Sie wissen, ist das sicherste Flugzeug der Welt." Think big – with Konsalik (and ARD). Das schrie nach erlösenden Werbeunterbrechungen.

Das dank Guido Knopp ebenfalls antifaschistisch engagierte ZDF wartet am Vorabend des Feiertages mit dem pathetischen Stauffenberg-Schinken Atze Brauners auf: der 20. Juli 1944 zum 3. Oktober 1998 aus der Sicht von 1955.

SAT 1 bereitet die Nation vor mit einem italienischen Kriegsfilm von 1968 über "Anzio", eine verlustreich mißglückte peacemaking-Maßnahme der Alliierten gegen Rom. Der WDR beglückt sein Segment mit einem Porträt des nun siebzigjährigen Jubilars und 68er Sexpropheten Oswalt Kolle. Solchermaßen optimal auf unseren traditionsreichen Nationalfeiertag eingestimmt, fiebern Patriot und Patriotin dem Medienangebot des 3. Oktober ’98 entgegen – zumal der föderale Wanderzirkus der "zentralen Feier" heuer just im Hannover des frischgebackenen Kanzlers Schröder gastiert. Das Wetter ist bescheiden und zwingt die Nation gleichsam vor den vom Volks- zum Gesellschaftsempfänger mutierten Integrationskasten.

RTL ist zu international, um sich noch groß um den 3. Oktober zu scheren; im Einklang mit Roman Herzog hält man Nationales für ein Auslaufmodell. Der SPD-nahe Bertelsmann-Sender strahlt prosaisch amerikanische Comics und Filmkomödien ("Einstein junior") aus.

SAT 1 würdigt den "Tag der deutschen Einheit" mit fünf US-Streifen und einer Dauerwerbesendung, für die Entertainer Gottschalk Namen und Nase hergibt; dazu der übliche Fußball-Kautschuk ("ran") sowie Steven Spielbergs "Jäger des verlorenen Schatzes". Pro 7 gibt dem als einig sich feiernden Bundesvolk Japans Godzilla, Spielbergs Jurassic-Saurier, den US-Hitman, den US-Batman, US-Ledernacken sowie die fliegenden Monster von Osaka. Der WDR bringt Jahr für Jahr den vermeintlich heiteren Hollywoodstreifen "Eins, zwei, drei", Billy Wilders Verhöhnung eines von angloamerikanischen Bombern vernichteten Berlin. Anschließend kocht Biolek und West-Ekel Alfred erhält Besuch aus der Ostzone: da lacht Genosse Pleitgen und Johannes Rau haut sich auf die Schenkel.

RTL 2 aber gibt uns alles, was wir immer schon erleben wollten: Dr. Doolittle, Bravo-TV, Danny DeVito, vier US-Thriller, einen Hitchcock und ein "deutsches Melodram" von 1960 mit Heinz Drache.

Kabel 1, Zentralkanal des Strauß-Konservativen Leo Kirch, flankiert die Einheitsfeierlichkeiten mit vier US-Seifenoperserien, zwei australischen und sieben US-amerikanischen Spielfilmen. VOX, eine TV-Leerstelle, seit Jahren u.a. von der Düsseldorfer Staatskanzlei für weiß derTeufel was vorgehalten, zieht "Menschen" in die Gewalt von Riesenameisen, ehe sie die TV-Nation nach Trinidad, zum "Promi-Kochduell" und ins Berliner Studio des allwissenden Hamburger Spiegel schickt. Zum Ausklang des Feiertages gibt es "Wilde Masseusen", die ebenso aus den USA stammen wie Elvis Presley, zu dem uns N 3 führt, bevor es in die Sesamstraße geht, zum "Lord of the Dance", und zum besinnlichen Ausklang stöckelt dann Dustin Hoffman als "Tootsie" durch die Bonner Republik.

Der soeben gegründete SWR hält dem Tatort just am 3. Oktober die Stange: Bienzle, der Lahmarsch unter den Kommissaren, ermittelt im Park, von wo es nach Skandinavien geht (zwecks Chauvinismus-Prävention?); im Anschluß läßt Baden-Baden disputieren: "Heimat Europa?" Diese zum Hypernationalismus offenbar genetisch konditionierten Deutschen darf man keinen einzigen Tag einfach so mal unter sich sein lassen! Die "Heimat Europa" weitet sich sodann zu einem US-amerikanischen Betthupferl um "Liebe bis zum Tod".

Da guckt Bayern 3 lieber mit der Lindenwirtin nach Österreich und dokumentarisch zurück ins Leben des F.J. Strauß selig, und um 23 Uhr kurz zur Zentralfeier in Hannover. München läßt den Tag bayerisch konservativ mit jenem Mann ausklingen, "den sie Pferd nannten", einem zig Mal wiederholten, leicht ranzigen US-Western.

Arte, eine vom deutschen Steuerzahler alimentierte Veranstaltung unter Ausschluß der Öffentlichkeit, bringt der Nation unablässig die gauchistische Kultur von jenseits des Rheins nahe. Indochina, Islands Küste, Beatles, Claires Knie, Rouen und ein baskisches Milieudramolett bedeuten Inseln der Vernunft im chauvinistischen Überschwang d’outre Rhin.

3 SAT, nach guten Anfängen durch das Dazustoßen der ARD ebenfalls antifaschistisch durchseucht, blickt voraus auf die Buchmesse, dazu Biolek, im Gespräch mit diversen Linksmichels seiner Wahl. Die ARD sendet den Festakt um 12; schon zu Beginn blies man "uns Deutschen" in Gestalt des Antifa-Gassenhauers von den "Moorsoldaten" den linken Marsch. Die Fallersleben-Hymne kam wie stets gedeckt in Buß- und Kammerton, dazu als höhnische Geste zum ins Haus stehenden Abgang ("Doppelstaatswahlrecht") der autochthonen "Mehrheitsgesellschaft" die sentimentale Schnulze "Good bye Johnny": mag’s im Himmel sein ... Exzellenzen, Eminenzen, Virulenzen huldigen dem rot-roten Bigband-Germany der grünen S-Klasse. Schon der erste Satz Schröders mobilisiert gegen "die Rechtsextremisten" – voll die Psychose. Hannover, 3. Oktober 1998: "Selbstbesinnung" als Selbstdistanzierungsorgie, eingesponnen in tausend Tabus. Berchts ‘Kinderhymne’ für das "erwachsene Deutschland"? Historiker- gefolgt von Hymnenstreit, Streitkultur, blablabla. Die ARD weiß Rat und sendet als Antidot gegen so viel "falsch verstandene" Deutschheit ein "Europamagazin", den Grand Slam Cup, ein Reitturnier und das Problemstück "Mobilmachungen. Die Deutschen und das Auto". Danach fiebert die in Hoffnung auf den Haupttreffer geeinte Nation ihren Lottozahlen entgegen. Bei "Geld oder Liebe" läßt Zoten-Zampano von der Lippe Udo Lindenberg ("Sonderzug nach Pankow") nölen, das "Wort zum Sonntag" gerät unter die Räder eines US-Thrillers mit Bruce Willis, gefolgt vom US-Western mit Yul Brynner – Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode.

Vom Mainzer Lerchenberg kommt der einzige Gottesdienst des 3. Oktober, ein Konzert der Sächsischen Staatskapelle, die Übertragung des aberwitzigen "Festzugs" aus Berlin. Die Message: So brav ist "unser" Deutschland. Gegen Abend ängstigt Gerd Fröbe die Nation als Kindermörder in Dürrenmatts Krimi-Klassiker "Es geschah am hellichten Tag" und in der Tat: im Blick auf die absichtsvolle Vaporisierung der nationalen Substanz, zum Beispiel durch die Medien am 3. Oktober, läßt nicht nicht bestreiten, daß unter Kohl und Schröder mit Händen zu greifen ist, daß den Deutschen der Wille zu sich selbst abhanden gekommen ist


 
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