© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Oper: "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach
Hoffmann im Irrenhaus
Julia Poser

Der Kölner Jacques Offenbach hat die Uraufführung seiner einzigen Oper "Les Contes d’Hoffmann" nicht mehr erlebt; er starb fünf Monate vor der Aufführung in Paris. Da Offenbach ein unvollständiges Werk hinterließ, fühlten sich Musiker, Dirigenten und Intendanten völlig frei, nach ihrem Belieben mit dieser Oper umzuspringen. Da wurde drauflos gekürzt, Arien umgestellt, aus anderen Opern eingebaut und die Reihenfolge der Akte verändert. Keine Oper ist so oft "bearbeitet" worden wie "Hoffmanns Erzählungen".

Das Nico Opera House in Kapstadt wählte die Fassung von Fritz Oeser von 1977, die den musikalischen Intentionen Offenbachs noch am nächsten kommt. Die Inszenierung vertraute man dem jungen Kapstädter Paul Stern an, der über ein Jahrzehnt an deutschen Bühnen gearbeitet hat und dort wohl auch die Kunst der Selbstdarstellung übernahm. Ob sich das dann mit dem aufgeführten Werk verträgt, steht auf einem anderen Blatt.

Das Vorspiel war noch vielversprechend: Es war zwar nicht Lutters Weinkeller in Berlin, sondern eine moderne Bar, in der Tänzer des Jazz-Art-Theaters als Kellner auf dem Tresen herumbalanzierten. Aber mit dem ersten Akt, der im Festsaal des Puppenherstellers Spalazani spielen sollte, begann die totale Umdeutung. Nach Auffassung des Regisseurs sind alle Gestalten dieser Oper verrückt, und deshalb verlegt er die gesamte Handlung in ein heruntergekommenes Irrenhaus. Die Puppe Olympia sitzt in einer Zwangsjacke im Rollstuhl, die schwindsüchtige Sängerin Antonia stirbt in dieser Anstalt und statt des prächtigen venezianischen Palazzos der Kurtisane Giulietta wieder das gleiche häßliche Bild. Der in schmutzig weiße Nachthemden gekleidete Chor wird im dritten Akt noch um eine lederbekleidete Punkergruppe angereichert, deren zuckende Bewegungen so gar nicht zu Offenbachs sinnlicher Barcarole paßen.

Über dieses verhunzte Regiekonzept, das gänzlich gegen Offenbachs ironische Leichtigkeit angelegt war, trösteten drei überragende Sänger hinweg. Sidwill Hartmann als Hoffmann bot eine großartige Darstellung des gescheiterten Dichters. Sein höhensicherer glanzvoller Tenor, mit dem er mühelos das Orchester übertönte, überzeugte sowohl in den lyrischen Passagen als auch im Lied von "Klein Zack". Hoffmanns Muse, die sich als sein Freund Niklas verkleidet, wurde von Michelle Breedt mit bravourös klingendem Mezzo gesungen. Eine hervorragende Leistung brachte Abel Mosoadi in den Rollen der vier Bösewichte: ein rabenschwarzer Bass, der in der Diamanten-Arie begeisterten Applaus erhielt. Die junge Angela Gilbert sang alle drei Frauengestalten, als Puppe mit technisch einwandfreien Koloraturen – übrigens ein Seitenhieb Offenbachs auf die "geläufigen Gurgeln". Als Antonia ergriff sie am stärksten, aber für die Giulietta fehlte ihr noch das Laszive dieser Rolle. Philipp de Vos brachte in den vier Dienerrollen das komische Element.

Großartig die von Vetta Wise einstudierten Chöre. Der Berliner Reinhard Schwarz dirigierte das Cape Town Philharmonic Orchestra und brachte all das, was auf der Bühne fehlte: das Phantastische, das Anrührende, das Märchenhafte. Um aber als Kunstwerk überzeugend zu wirken, gehört nun auch die passende Ausstattung dazu. Julia Poser


 
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