© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Korporationen: Burschenschafter tagten in Frankfurt am Main
Wo der Geist von 1848 weht
Christian Uebach

Scheitert Deutschland?" lautete der Untertitel der Zentralveranstaltung des Ausschusses für burschenschaftliche Arbeit, die vom 2. bis 3. Oktober in Frankfurt am Main von der Deutschen Burschenschaft veranstaltet wurde. Die Veranstaltung stand unter dem Hauptthema "Parlamentarismus in Deutschland – 1848 als Ursprung und die Krise in der Gegenwart".

Die Deutsche Burschenschaft (DB) ist der Dachverband, in dem sich 127 Burschenschaften zusammengeschlossen haben, die an über 50 Hochschulorten in den Bundesrepublik Deutschland und Österreich ansässig sind. Der Dachverband zählt rund 16.000 Mitglieder, Aktive und Alte Herren. Eine der Arbeitsgruppen der DB, der Ausschuß für burschenschaftliche Arbeit (AfbA), hat u.a. die Aufgabe, durch seine gewählten Mitglieder die allgemeinpolitische Bildung der Angehörigen der Deutschen Burschenschaft zu fördern. Einmal jährlich richtet der AfbA eine zweitägige Arbeitstagung aus, zu der jede DB-Mitgliedsburschenschaft Vertreter entsenden muß. Die AfbA-Tagung ist nach dem alljährlichen um Pfingsten in Eisenach stattfindenden Burschentag die zweitgrößte Veranstaltung des DB-Dachverbandes.

Der AfbA nahm das 150. Jubiläumsjahr des Zusammentretens des ersten gesamtdeutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche zum Anlaß, sich mit dem Parlamentarismus im Deutschland näher zu beschäftigen. So sei bereits 1848 das Phänomen "Politikverdrossenheit" in weiten Teilen des Volkes, das sich von der Frankfurter Nationalversammlung enttäuscht gezeigt hatte, aufgetreten, schrieb der Vorsitzende des AfbA, Martin Rosenau, in einem Grußwort. Die Burschenschafter, die schon seit Beginn des Parlamentarismus in Deutschland 1848 in den verschiedenen Parteien mitgewirkt hätten, sollten sich mit der Krise des Parteienstaates heutiger Prägung eingehender auseinandersetzen.

In seiner Eröffnungsansprache wies Rosenau darauf hin, daß die relativ hohe Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl nicht über eine "Amerikanisierung" des Wahlkampfes hinwegtäuschen könne. Der AfbA-Vorsitzende sprach auch von einem wachsenden Verlangen in der Bevölkerung nach mehr direkter Demokratie.

Auch in diesem Jahr war es dem AfbA wieder gelungen, hochkarätige Referenten für die Tagung zu gewinnen: den Wiener Historiker Lothar Höbelt, Karlheinz Weißmann, Historiker in Göttingen, Helmut Stubbe-da Luz, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg, sowie den Juristen Klaus Kunze, der für verschiedene konservative Zeitschriften schreibt und sich als Buchautor ("Der totale Parteienstaat") einen Namen gemacht hat.

Lothar Höbelt zeigte auf, wie die burschenschaftlichen Ideale "Ehre, Freiheit, Vaterland" von Burschenschaftern im Frankfurter Paulskirchen-Parlament eingebracht wurden. Er stellte die These auf, daß die Revolution von 1848 "nicht wirklich gescheitert" sei. Die Vertreter des Parlaments hätten erkannt, so Höbelt, daß sie mit den Monarchen verhandeln mußten. Als der König von Preußen die Kaiserkrone ablehnte, die ihm das Parlament angetragen hatte, hätten die Volksvertreter die Bevölkerung nicht gegen die Monarchen aufzuhetzen beabsichtigt. Die Revolution sei insofern nicht gescheitert, erklärte der Historiker, als daß von ihr verfassungsgebende Impulse in die deutschen Staaten getragen worden seien. Von Gagern und seine Mitstreiter hätten erkannt, daß eine nationalstaatliche Einigung nur unter Aufhebung der "imperialen Strukturen" realisierbar gewesen sei, die in und über Deutschland hinaus herrschten. Dies sei jedoch aufgrund der außenpolitischen Machtverhältnisse nicht im deutschen Interesse gewesen. Die Vertreter der Nationalversammlung hätten gewußt, daß sie warten müßten, bis diese imperialen Strukturen kollabierten. Dies sei 1871 geschehen, bevor der nationale Verfassungsstaat in Deutschland "mit Abstrichen" realisiert worden sei.

Der Göttinger Historiker Karlheinz Weißmann referierte über die Entwicklung des politischen Liberalismus von 1848 bis zur Gegenwart. Er äußerte die Einschätzung, daß es in unseren Tagen einen "antiliberalen" Diskurs" gebe. Nach 1989 habe alles auf einen Sieg des Liberalismus in Deutschland hingedeutet, in politischer und besonders in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Liberalismus werde nun jedoch zum Beispiel verantwortlich gemacht für die Unfähigkeit der Marktwirtschaft, die Folgen kommunistischer Wirtschaftsstrukturen zu überwinden, oder für einen allgemeinen Werteverfall durch zunehmende Emanzipation. Dieser antiliberale Diskurs werde sowohl auf der Linken als auch auf der Rechten, wo zunehmend ein "völkischer Fundamentalismus" zu beobachten sei, geführt. Als Alternativen zum Liberalismus seien der Nationalsozialismus und der Kommunismus vorerst gescheitert. Sie könnten jedoch in Metamorphosen wieder auftauchen und seien Indizien für einen Verschleiß bestehender Verhältnisse. Weißmann glaubt indes nicht, daß diese Tendenzen die bestehende Ordnung außer Kraft setzen könnten.

Am zweiten Tag der Tagung stellte Stubbe-da Luz die verschiedenen Ansätze der Parteienkritik seit 1848 dar. Er schloß mit dem Jahr 1967, in dem Karl Jaspers Kritik an der "Machtarroganz" der Gewählten geübt und kritisiert habe, daß diese sich durch ihre Wahl legitimiert fühlten, ohne Rücksicht auf ihre Mandanten zu regieren.

Klaus Kunze ging in seinem Vortrag zum Thema "Vom Parlamentarismus zum Parteienstaat" der Frage nach, ob Deutschland eine Wende brauche. Grundlage für den Parteienstaat ist Kunzes Meinung nach die Konkurrenz verschiedener Einflußgruppen innerhalb der Gesellschaft. Der neutrale Rechtsstaat habe die Aufgabe, diese Gruppen nach außen zu schützen und nach innen als Garant bürgerlicher Freiheiten zu agieren. Darüber hinaus müsse der Staat diejenigen, die keine Lobby hätten, gegenüber starken Parteikräften schützen. In der Bundesrepublik hätten sich, so Kunze weiter, die Parteiapparate aller staatlichen Bereiche, inklusive des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, bemächtigt, indem staatliche Posten nach Parteizugehörigkeit besetzt würden. Durch das System der Listenwahl sei die Meinungsbildung innerhalb der Parteien nicht mehr frei. Die Parteien spielten die Rolle der Postenverteiler.

Kunze kritisierte ferner, daß wesentliche Entscheidungen nicht im Parlament gefällt, sondern zwischen den Mehrheitsparteien abgesprochen würden. Diese Verhältnisse würden die Gewaltenteilung aushöhlen und den Parteien absolute Macht zukommen lassen. Die Ideologien der Parteien kämpften einen Stellvertreterkrieg für Interessengruppen. Es sei diejenige Gruppe im Vorteil, die anderen ihre Spielregel, ihre Ideen oktroyieren könne. Diese Ideologien versuchten durch "Verteufelung anderer Ideologien" zu herrschen. Kunze führte dafür beispielhaft die Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörden und die von ihm konstatierte Beeinflussung der Medien an.

Kunze vertrat die Auffassung, es solle Aufgabe des Staates sein, über den Ideologien zu stehen. Statt dessen beherrschten Parteien die Rechtsordnung, und Ideologien entschieden darüber, welches Denken gesetzeskonform sei und welches nicht.

Höhepunkt der Tagung war eine Diskussion zwischen den Beteiligten Referenten und den über über 200 anwesenden Burschenschaftern. Bereits im Anschluß an die Vorträge hatten die Studenten spontan Fragen an die Redner gestellt, die aber aus Zeitgründen aufgeschoben werden mußten. So entfaltete sich am Sonntagnachmittag eine dreistündige, sehr lebhafte Diskussion über die Krise des Parteienstaates und auch der nationalen Identität. Dabei offenbarten die Studenten eine große Bandbreite von Meinungen, zum Beispiel
in der Frage des Staatsangehörigkeitsrechts. Während einige forderten, in Deutschland lebenden Ausländern die deutsche Staatbürgerschaft zu geben, meldeten andere Zweifel an der Integrationsfähgkeit großer Gruppen von Ausländern an.

Eingerahmt wurde das Programm der AfbA-Tagung von einer Gedenkveranstaltung sowie einem Festakt. Nach den ersten Vorträgen trugen die Burschenschafter in einem Fackelzug einen Kranz durch die Frankfurter Innenstadt, um ihn vor der Paulskirche zum Gedenken an die Toten der 1848er-Revolution niederzulegen. Am Samstagabend versammelten sich die die Burschenschafter zum Deutschland-Kommers im Palais am Zoo. Festredner des Abends war der Generalsekretär des Bundes Freier Bürger, Heiner Kappel.

Kappel, der leicht angeschlagen wirkte, als er sich vom Platz erhob und das Podium bestieg, gestand ein, daß er noch nie so kurz nach einem "Desaster" wie bei der Bundestagswahl wieder bei einer Veranstaltung aufgetreten sei. Dafür zollten ihm die Studenten respektvollen Applaus.

Die bürgerliche Rechte, so Kappel, werde nie erfolgreich sein, wenn sie nicht erkenne, daß sie sich aus Angst, diffamiert zu werden, ihrerseits zu gegenseitigen Diffamierungen hinreißen lasse. Er appellierte an Politiker der etablierten Parteien – er nannte Erika Steinbach und Manfred Kanther –, sich mit der Rechten auseinanderzusetzen. Seinen Vortrag beendete Kappel mit einem dramatischen Appell: "Noch haben wir ein deutsches Volk, doch mit jedem Tag, an dem man der aktuellen Politik zuschaut, steht es schlechter um Deutschland."

Am Sonntag veranstaltete schließlich der Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA), der Zusammenschluß der überwiegenden Mehrheit der Altherrenverbände deutscher Korporationsverbände, einen Festakt in der Paulskirche. Die scheidende Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sagte in einem Grußwort, daß sie kritischen Bemerkungen, warum sie vor den Korporierten sprechen wolle, entgegnet habe, es verstoße gegen den Geist von 1848, bei anderen Feierlichkeiten in der Paulskirche zu sprechen, nicht aber bei den Korporierten.


 
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