© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Ein neues Volk schaffen
von Michael Oelmann

Die Koalitionsverhandlungen der neuen Regierungsparteien sind in vollem Gange. Wenn man die Stimmen aus dem roten und dem grünen Lager hört, dann wird ein sicheres gemeinsames Vorhaben immer klarer: Die linken Sieger legen sich zunächst einmal ein neues Volk zu. Eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts unter Rotgrün scheint ausgemachte Sache.

Alle anderen Punkte, mit denen vor allem die SPD erfolgreich auf Wählerfang gegangen ist, werden unter dem sogennanten "Finanzierungsvorbehalt" (Schröder), dem "Kassensturz" (Parteiratsvorsitzender Fikentscher) weichgekocht werden. Trick 17 für nicht haltbare Wahlversprechen. Um den Grünen bei deren Wahlthemen Energiesteuer, Atomausstieg und Tempolimit weitgehend den Schneid abzukaufen, wird wohl die Ausländerpolitik eine gefügige Verhandlungsmasse darstellen.

Tatsächlich trennt SPD und Grüne nur wenig bei der Lockerung des Einbürgerungsrechts. Die Grünen fordern ein Recht auf deutsche Staatsbürgerschaft (auch als doppelte Staatsbürgerschaft) für Ausländer, die seit fünf Jahren in Deutschland leben, die SPD für solche, die seit acht Jahren hier leben. Das heißt: Deutschland hätte auf einen Schlag 2,5 Millionen Ausländer weniger – die nämlich wären dann deutsche Staatsbürger. Der Rest der 4,5 Millionen hier lebenden Ausländer würde Jahr für Jahr dazustoßen. Hier geborene Kinder sollen künftig automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten: etwa 100.000 pro Jahr. Alles in allem, so darf man vermuten, genügend Wahlberechtigte, um rotgrün auch in vier Jahren am Ruder zu belassen.

Was dieser Quantensprung in der Auflösung des herkömmlichen Begriffes einer "deutschen Nation" noch bedeuten könnte, zeigte sich bereits vor der Wahl, als der türkische Ministerpräsident die hier lebenden und wahlberechtigten Türken aufforderte, SPD zu wählen. Diese Einfluß-, ja Erpressungsmöglichkeit von außen in innerdeutsche Politik dürfte ebenso einschneidende Wirkung haben, wie die Tatsache künftiger regelrecht autarker, unter fremdländischer Hoheit stehender Stadtteile, z.B. in Berlin oder Frankfurt. Die "Integrationsfrage" dürfte dann wohl eine ganz neue Qualität bekommen – nämlich als Frage für die verbleibenden Deutschen. Ob die jedoch soviel Liberalität erwarten können wie die heutigen Ausländer im postsouveränen Endzeitdeutschland, darf wohl bezweifelt werden.

Den Deutschen, selbst jenen 41 Prozent SPD-Wähler, dürfte dann ein Licht aufgehen, welche nachhaltigen Folgen das Votum für die "neue Politik" neben den wohlfeilen tagespolitischen Versprechungen im Jahre 1998 tatächlich zeitigt.


 
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