© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/98  02. Oktober 1998

 
 
Es lohnt sich
von Dieter Stein

Wie oft hören Sie es: "Ach, es nützt doch sowieso alles nichts mehr! Die machen doch sowieso dort oben, was sie wollen!" Man kennt es zur Genüge. Der seufzende Nachbar, der lieber die Beine im Wohnzimmer hochlegt und den lieben Gott einen guten Mann sein läßt. Sich engagieren? "Bin ich blöd?" tippt sich der Arbeitskollege an die Stirn. "Ich kümmere mich um meine Familie, meine Karriere, das reicht." Kirchengemeinde, Verein, Partei? Das sollen andere machen. Außerdem hat sowieso "das Kapital", die Banken, irgendwelche Cliquen und Seilschaften das Sagen.

Nun haben sich wenige couragierte Menschen zusammengefunden, die gegen eine besonders übermächtige Verschwörung angetreten sind: die Konferenz der Kultusminister, die im stillen Kämmerlein eine neue Rechtschreibung für Deutschland ausgeheckt haben und diese rücksichtlos und gegen alle Bedenken von Elternvertretungen, namhaften Schriftstellern und Verlagen setzten sich die Bürokraten der Kultusministerien und die Schulbuchverlage durch und oktroyierten den Schülern und bald uns allen eine Rechtschreibung, die die deutsche Sprache verballhornt.

Wie viele sagten auch hier, als die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht im August dieses Jahres gescheitert war: "Das nützt doch alles nichts mehr! In Schleswig-Holstein, der Heimat der Landvolkbewegung und von Pidder Lüng ("Lever duad üs Slaav!") besann man sich des alten Bürgermutes und setzte eine Volksbefragung durch. Wenige nur nahmen sich der Sache an, sammelten Hunderttausende Unterschriften und sorgten dafür, daß das Volk trotz der geballten Arroganz der Mächtigen gefragt werden mußte.

Und es gelang! Am vergangenen Sonntag lehnten 56,4 Prozent der Schleswig-Holsteiner die Rechtschreibreform ab. Lediglich 29,1 Prozent sprachen sich dafür aus. Schon wird versucht, die Konsequenzen dieser Abstimmung auszuhöhlen und man lamentiert, die Abstimmung habe keine Auswirkung auf das übrige Deutschland, obwohl mit dem Ausscheren die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache zerstört würde. Aber genau das wollte man in jedem Fall verhindern. Noch im Februar 1997 erklärten die Kultusminister, "daß es für die Rechtschreibung nur eine gemeinsame Regelung in allen Ländern geben kann". SPD und die CDU/CSU hatten in getrennten Erklärungen betont, daß im Falle des Ausscherens eines Bundeslandes die unsägliche Rechtschreibreform vom Tisch sei. Daran sollten sich die Politiker erinnern.

Die Abstimmung zeigt aber vor allem eines: daß man etwas ändern kann, wenn man nur will und alle Kraft zusammen nimmt. Denn kein Gegner ist übermächtiger als der Widerstand in unseren Köpfen selbst!


 
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