© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Kein Monsterwahn in Deutschland: Warum Clinton Godzilla die Show stiehlt
Wer ist schuld an Godzilla?
Von Manuel Ochsenreiter

Eine geheimnisvolle Filmvorschau bannte das Publikum vor etwa einem Jahr. Eine Schulklasse besucht das Archäologische Museum von New York und studiert ehrfurchtsvoll das Knochengerüst eines Riesendinosauriers. Plötzlich bricht die Decke des Saales ein und ein gigantischer Echsenfuß zerquetscht Knochen nebst Schulkinder. Danach die Ankündigung. Godzilla kommt. Im Herbst ’98. Gemurmel. "Da muß ich rein", "Geil!", ein Mädchen nörgelt: "Ich mag solche aufregenden Filme nicht."

Ein Jahr später trampelt Godzilla, die Riesenechse, tatsächlich durch New York, der Trubel ist allerdings nur noch gekünstelt. Man spricht sogar vom Flop. Was war passiert?

In der Zwischenzeit stand die Erde kurz vor einer Alien-Invasion, die in letzter Sekunde vom US-Präsidenten am "Independence Day" gestoppt werden konnte, mindestens zweimal rauschten Asteroiden haarscharf am Erdball vorbei und bewahrten die Menschlein sowohl vor einem "Global Impact", als auch vor einem neuzeitlichen "Armageddon", und die "Titanic" soff zum x-ten Mal im eisigen Ozean ab. Zu allem Überdruß klärten uns die "X-Files" über eine Weltverschwörung auf, an der fast ausschließlich Raucher und Außerirdische beteiligt sind. Im Ernst mal, wen interessiert da noch ein amoklaufender Möchtegern-Tyrannosaurus-Rex, der New York ein bißchen plättet? Die Zeit meint es diesmal nicht gut mit dem Godzilla-Team. Denn heute sind Bill Clintons eigenartige Zigarren-Sexspiele mit Monica Lewinsky effektvoller und interessanter als computeranimierte Reptilien.

Dabei ist die Story diesmal durchaus plausibel und zeitgeistgestylt. Der Erbfeind ist schuld an der Misere. Mit ihrem Atomtest scheuchen die Franzmänner die mutierte Echse auf, der aber der Weg nach Paris oder an die Côte d’ Azur dann doch zu weit ist und die ihren Frust schließlich am Zero-Tolerance-New York ausläßt. Dort trampelt sie ein paar Wolkenkratzer nieder und erhascht – so ganz nebenher – beim Publikum noch einen Ach-wie-süß-Effekt. Denn Godzilla entbindet komplikationsfrei im Madison Square Garden, und zahlreiche Baby-Godzillas frönen im regnerischen New York hemmungslos ihrem Spieltrieb. Und Mami/Papi (Godzillas Geschlecht ist unklar) paßt auf die niedlichen Kleinen auf. Der Familienidylle jähes Ende ist schließlich der Showdown, wo sich Godzilla ziemlich ungeschickt in der Brooklyn Bridge verheddert, umkippt und stirbt.

Keine Frage – für so eine Lappalie würde Bruce Willis nicht mal sein speckiges Unterhemd anziehen. Immerhin gibt Godzilla auf subtile Art und Weise Greenpeace wieder die Ehre zurück, die Willis der Umweltschutzorganisation nahm, indem er in "Armageddon" als Ölbohrer das Greenpeace-Schiff mit Golfbällen beschoß.

Denn mal ehrlich, wie war das noch mal mit den weißen Spatzen in der Umgebung des Forschungsreaktors in Garching? Und dann noch die Sache mit den Überdimensionalen Kartoffeln beim Kernkraftwerk Gundremmingen… Das sollte die Kinobesucher doch nachdenklich stimmen.

Das Budget des Films war im Gegensatz zu Regisseur Roland Emmerich ("Moon44", "Universal Soldier", "Stargate", "Independence Day") völlig unschwäbisch. 100 Millionen Dollar ließen es sich die Macher kosten, New York mit einem monströsen Spektakel niedertrampeln zu lassen. Mit modernster Computertechnik wurde der virtuelle Godzilla in den Film projeziert, ganz im Gegensatz zu den bislang gedrehten japanischen Billig-Godzilla-Filmen, wo der Zuschauer die Fäden sehen konnte, an denen das sich ungelenkt durch Pappmaché-Tokio taumelnde Monsterlein hing.

Aber Technik ist nun mal nicht alles. In den USA wurden bis jetzt "nur" 135 Millionen Dollar eingespielt, Spielbergs "Jurassic Park" brachte weltweit 500 Millionen ein.

Der Zuschauer verläßt das Kino wohl alles andere als erschreckt. Das moralinsaure Fundament der Emmerlich-Produktion ruft teilweise Belustigung, Langeweile – und bei ein paar ganz wenigen Nachdenklichkeit hervor. "Das Monster kann doch nichts dafür, Godzilla ist ein Stück weit ja auch irgendwie menschlich, ich habe ja Verständnis für diese gequälte Kreatur…"

Vielleicht fühlen sich ja auch einige an die Anti-Frankreich-Proteste nach den Atom-Versuchen im Mururoa-Atoll erinnert und boykottieren von nun an für immer französischen Tafelwein und Peugeot?


 
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