© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Klaus Farin (Hrsg.): Die Skins. Mythos und Realität
Proletarischer Männerkult
von Werner Olles

Skinhead: Angehöriger einer Gruppe männlicher Jugendlicher, die äußerlich durch Kurzhaarschnitt bzw. Glatze gekennzeichnet sind und zu aggresivem Verhalten und Gewalttätigkeit neigen (auf der Grundlage rechtsradikalen Gedankenguts)". So beschreibt der Duden diese Jugendkultur.

Als 1991 Klaus Farins und Eberhardt Seidel-Pielens "Krieg in den Städten. Jugendgangs in Deutschland" erschien, enthielt das Buch zwar ein Kapitel über Skinheads, widmete sich aber auch anderen subkulturellen Jugendgangs wie Hooligans, Punks und türkischen Streetgangs. Nun liegt bereits in 2. Auflage ein voluminöses Werk Klaus Farins vor, das sich zur Gänze mit dem Phänomen "Skins" beschäftigt.

Die Geschichte dieser Jugendbewegung begann Ende der sechziger Jahre im Londoner Eastend. Nach "Teddy-Boys", "Rockern" und "Mods" traten nunmehr die "Skinheads" das Vermächtnis einer rebellischen Jugend an, die zumeist nonverbal gegen die "Überfremdung" ihrer Stadtviertel durch finanzstarke Mittelklassefamilien protestierte, die zunehmend ihre Straßen, Plätze, Kneipen und Treffpunkte dominierte und ihre Freizeitnischen okkupierte.

Die Skins definierten sich primär als Angehörige der Arbeiterklasse, Fußballfans und durch Sozialisation autoritär geprägte konservative Rebellen. Unbekümmert ließen diese Jugendliche das Flair eines längst totgeglaubten Proletariertums durchschimmern.

Ihre Gegner fanden sie auf der Straße: Schwule, Hippies, Pakistani oder Afrikaner. Sehr viel komplexer war das Verhältnis dieser weißen Arbeiterjugendlichen allerdings zu den karibischen Einwanderern, den "Rude-Boys". Mit ihnen verband sie nicht nur die Herkunft aus den gleichen Vierteln und der Haß auf die Emporkömmlinge der Mittelschicht. Ähnlich wie die "Rudies" waren die Skins in Gangs organisiert und hörten die jamaikanische Ska-Musik – aus der sich später der Reggae entwickelte.

Dennoch driftete in den siebziger Jahren ein erheblicher Teil der Skins nach rechtsaußen ab. Dazu hatte zweifellos die erfolgreiche Agitation solcher Gruppierungen wie der nationalrevolutionär orientierten "National Front" (NF) und des eher neonazistischen "British Movement" (BM) beigetragen. Ein übriges tat die permanente Stigmatisierung der Skins durch die Medien. Als im Jahre 1981 vor allem in London und Liverpool schwere Unruhen und Aufstände ausbrachen, gab es allerdings immer noch Schwarze und eine starke linke Tradition bei den Skinheads. Immerhin war hier jeder zweite männliche Jugendliche ohne Arbeit, und obwohl die NF den Höhepunkt ihrer Popularität offensichtlich schon überschritten hatte, entstanden nun auch verstärkt rechtsradikale Oi!-Bands wie "Skrewdriver" und Initiativen wie "Rock against Communism" (RAC).

Dieser Funke sprang schon recht bald auf das europäische Festland über. Die erste deutsche Skin-Generation rekrutierte sich vornehmlich aus Fußballfans und Ex-Punks, denen diese Szene zu links geworden war. Diese Jugendlichen wollten ihre vitalistischen und antiintellektuellen Lebensgefühle als Skins ausleben. Deutsche Skin-Bands wurden gegründet, die wie die Mehrheit der Fanzines eindeutig rechtsradikal eingestellt waren. Proportional zum Anwachsen der Szene nahm auch die Gewaltbereitschaft zu. So wurden 1985 in Hamburg zwei Türken auf offener Straße von Skins getötet. Im politischen Spektrum kooperierte die britische NF nun mit der NPD-Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten (JN), die mehr und mehr zum Auffangbecken für rechtsradikale Skins wurden.

Die Entwicklung der Skinhead-Szene in der DDR verlief ziemlich synchron mit jener in der BRD. Offiziell bislang als "Rowdys" tituliert, führte der Skin-Überfall auf ein Punk-Konzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987 dazu, daß die Staats- und Parteiführung die Existenz rechtsradikaler Jugendlicher in der DDR nun offen zugab. Ein Jahr später war von den etwa eintausend registrierten DDR-Skins allerdings jeder sechste bereits ein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.

Spätestens seit Beginn der neunziger Jahre erwachte in der extremistisch orientierten Skin-Szene auch das Interesse für religiös-fundamentalistische Sekten wie den Ku-Klux-Klan. Der gleichzeitig wachsende Einfluß heidnischer Germanenideologien und Odin-Kulte kollidierte jedoch vehement mit dem christlich missionarischen Selbstverständnis des Klans und ähnlicher Gruppen. Mehr als etwa vierzig Mitglieder dieser Sekte hat es in Deutschland daher nie gegeben. Dafür entdeckte zeitgleich die Sozialwissenschaft die Skinhead-Szene und nahm sich ihrer forschend und analysierend an. Während die Medien sich jedoch fast ausschließlich der Themenfelder des Rechtsradikalismus, der Gewalt und Fremdenfeindlichkeit widmeten, blieb das gesamte Spektrum dieser Subkultur in ihrer ganzen Ambivalenz und Differenziertheit ausgeklammert. Zwischen eher linken Redskins, unpolitischen und vornehmlich an Randale, Suff und Musik interessierten Oi!-Skins und politisierten "Fascho"-Skins wurde kaum noch unterschieden.

Farins Thesen unterstreichen dagegen, daß es sich bei der Skinhead-Szene um eine erheblich flexiblere und differenziertere Jugendkultur handelt, als ihr schlechter Ruf zunächst vermuten läßt. Der größere Teil dieser Szene verweigert sich in der Tat strikt einer politischen Instrumentalisierung. Disziplinierungsversuche der "Glatzen" durch rechtsradikale Parteien blieben – abgesehen von marginalen Erfolgen der JN – weitgehend erfolglos. Diese Weigerung, sich politisch durch eine bestimmte Richtung in Anspruch nehmen zu lassen, zeigt sich auch in neueren Untersuchungen. Danach würden etwa 24 Prozent der befragten Skins PDS und 26 Prozent rechtsradikale Gruppierungen wählen. Rund 40 Prozent neigen hingegen zu den etablierten Parteien. Auch ist die Gewaltbereitschaft – die zwar immer virulent vorhanden ist – nicht das entscheidende Moment für eine Zugehörigkeit zur Szene. Musik, Konzerte, Freunde, Partys und vor allem Alkoholkonsum genießen eine erheblich größere Wertschätzung als politische Beweggründe. Skins leiden auch weder an einem herausragenden Bildungsdefizit noch entstammen sie notgedrungen irgendwelchen Armutspopulationen.

Störend und ärgerlich an Farins Buch wirken nur die beiden Beiträge des Mitarbeiters des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), Heinz Hachel. Er versucht vergeblich einen nicht vorhandenen Zusammenhang zu konstruieren zwischen "der massenhaften Verbreitung und Stabilisierung rassistischen Denkens" und dem "Diskurs der gesellschaftlichen Eliten".

Nun sind solche höchst problematischen Aussagen zwar durch rein gar nichts belegbar, finden aber immer noch ihren Wert darin, die voyeuristische Angstlust linksradikaler Leser zu befriedigen. Der keineswegs homogenen Skinhead-Subkultur wird man dadurch jedenfalls nicht gerecht.

Tatsächlich gibt es heute intellektuelle, pazifistische, homosexuelle und natürlich völlig unpolitische Skins. Sie alle leiden jedoch unterschiedslos unter dem großen öffentlichen Druck, den Klischees und Vorurteilen. Aber die Realität der Skin-Szene ist viel diffiziler, als die meisten Beobachter ahnen dürften. Dem trägt das Buch größtenteils Rechnung.

Klaus Farin (Hg.): Die Skins. Mythos und Realität, Christoph Links, Berlin 1998, 2. Aufl., 359 S., 39,80 Mark


 
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