© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Existenzgründer: 14 Prozent der Hochschulabsolventen machen sich selbständig
Von der Uni in die eigene Firma
von Björn Hauptfleisch

Völlig überraschend verkündete jüngst der Bonner Wissenschaftsminister mit stolzgeschwellter Brust, daß 60 Prozent der Studenten nebenbei in einem fachverwandten Beruf jobben. Bislang wurde die Zahl von ca. 90 Prozent Studenten, die zumindest zeitweise auf irgendeine Weise Geld hinzuverdienen, als Indiz für die schlechte soziale Lage der Jungakademiker aufgefaßt. Für den Lebensunterhalt notwendiges Jobben verlängere die Studienzeiten und sei für das Studium verlorene Zeit, argumentieren Studentenvertreter.

Falsch, kontert Jürgen Rüttgers: "Jobben neben dem Studium ist nach eigener Aussage der Studenten nicht der alleinige Grund für die häufig beklagten langen Studienzeiten. Studentenjobs haben auch eine wichtige Funktion für die berufliche Qualifikation der Studenten."

Riesige Summen werden in die Ausbildung gesteckt

Diese sieht Rüttgers – wie viele Arbeitsmarktexperten – nicht mehr in abhängiger Beschäftigung. Der öffentliche Dienst ist schon lange dicht und große Industrieunternehmen und Dienstleister haben in den letzten Jahren ihren Bedarf an Hochschulabsolventen gedeckt.

Die Konsequenz: Unterqualifizierte Beschäftigung ist zu einer grassierenden Abart der Arbeitslosigkeit für Hochschulabsolventen geworden. Dadurch werden riesige Summen verschwendet, die zuvor in die Ausbildung gesteckt wurden. Um das zu ändern, sollen Studenten in Zukunft systematisch auf eine unternehmerische Existenz vorbereitet werden. Da können frühzeitige Berufserfahrungen nur nützlich sein. O-Ton Rüttgers: "Es kann nicht sein, daß 50 Prozent aller Hochschulabsolventen im öffentlichen Dienst landen und nur 14 Prozent eine eigene Firma gründen." Dabei haben deutsche Hochschulabsolventen mit ihrer fundierten und gerade im ingenieurwissenschaftlichen Bereich hervorragenden Qualifikation ganz besonders das Zeug zum Existenzgründer.

Existenzgründer gerade aus dem technologischen Bereich sehen sich aber ganz spezifischen Problemen ausgesetzt. Zum einen ist die Politik der deutschen Finanzinstitute zu nennen. Geringe oder mittlere Kredite zur Existenzgründung sind für sie wenig attraktiv. Hinzu kommt, daß kaum eine Bank den nötigen Sachverstand besitzt, um die Chancen einer technologischen Entwicklung auch nur abzuschätzen. Da bleibt man doch lieber beim Häuslebauer-Kredit oder beim milliardenschweren Außenhandelsauftrag. Ein anderer Punkt ist bei den Hochschulabsolventen selbst zu suchen: Kaum einer bringt neben seinem technischen Wissen betriebswirtschaftliche Kenntnisse mit. So sind es auch zumeist mangelnde Kenntnisse der Marktwirtschaft, die junge Firmengründer als Bedrohung für ihr Unternehmen angeben. Gleichzeitig fehlt den technischen Spezialisten die Zeit, sich dieses Wissen anzueignen.

Überzeugende Konzepte sollen ausgezeichnet werden

Dem ist das Forschungsministerium mit dem Wettbewerb "Exist" – Existenzgründer aus Hochschulen – entgegengetreten. Rund 200 Hochschulen beteiligten sich mit Konzepten, ihre Absolventen besser auf die Selbständigkeit vorzubereiten. Die besten fünf Konzepte erhielten 45 Millionen Mark. Ziel der Kampagne ist es, die Zahl der Firmengründungsinteressenten unter den 100.000 naturwissenschaftlich-technischen Universitätswissenschaftlern und Absolventen von derzeit fünf Prozent deutlich zu erhöhen.

Für besonders vielversprechende Gebiete wie Multimedia legte man eigene Wettbewerbe auf, der überzeugende Gründerkonzepte auszeichnen soll. Den Gewinnern unter den 1.400 Teilnehmern im vergangenen Jahr winkt eine Geldprämie, mit der der Entwurf eines Geschäftsplans unterstützt wird.

Geeignet erscheinen Rüttgers auch speziell eingerichtete Gründungslehrstühle. So wird ganz in seinem Sinne die Technische Universität Chemnitz eine Professur für "Unternehmensgründung" einführen. Ihre Aufgabe ist es, "die Studierenden zum Schritt in die Selbständigkeit zu befähigen und zu stimulieren", so Pressesprecher Mario Steinebach. Aber auch Netzwerke, die Studenten frühzeitig marktwirtschaftliche Kompetenzen und Kontakte vermitteln, sind im Aufbau. Der jüngst unter Rüttgers’ Schirmherrschaft gegründete Verein "Business Angels Netzwerk Deutschland" vermittelt Senior-Experten an technisch versierte Jungunternehmer.

In eine andere Kerbe schlägt die finanzielle Förderung, die in den letzten Jahren durch zahlreiche Initiativen verbessert wurde. Allerdings nimmt sich die Summe im Vergleich zur Subventionierung alter Industriezweige gering aus. Auch ist die Zahl der möglichen Wege, an Geld zu kommen, so groß, daß der Zeitaufwand den richtigen zu finden, unvertretbar geworden ist. Allein die Förderfibel des Bundesforschungsministeriums ist 200 Seiten stark. Der Unternehmensberater Engelbert Quack äußerte jüngst in Spektrum der Wissenschaft: "Es gibt zwar Hunderte von Möglichkeiten, solche Mittel zu beantragen, was auf den ersten Blick vielversprechend erscheint und oft entsprechend gepriesen wird; dennoch entpuppt sich das System für die meisten – gerade wegen der vielen denkbaren Geldquellen – als wenig hilfreich."

Firmengründer mit Zukunft werden finanziell gefördert

Eigens für die neuen Bundesländer wurde das Programm "Foutour" mit bisher 900 Millionen Mark aufgelegt. Das Programm fördert die Gründer von Firmen für innovative Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen. Es werden nicht nur Zuschüsse und Beteiligungskapital geboten, sondern auch intensive Betreuung und Qualifizierung in betriebswirtschaftlichen Fragen. 450 Unternehmen mit 6.500 Arbeitsplätzen sind bis zum Jahr 2000 angepeilt.

Tatsächlich scheint dies im bundesweiten Trend zu liegen. Das Forschungsprojekt Athene (Ausgründungen technologieorientierter Unternehmen aus Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen) förderte Interessantes zutage. So war die Zahl der Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen 1997 größer als in den sechs Jahren vorher zusammen. Tendenz stetig steigend. Auch an den Universitäten hat sich die Zahl von 1990 bis 1996 auf 700 verdoppelt. Staatssekretärin Elke Wülfing erklärt zu den Ergebnissen: "Die Mobilisierung von Ausgründungen muß in Zukunft zu einem Erfolgsmaßstab im Wettbewerb der Forschungsinstitute werden. Nur eine große Zahl von innovationsorientierten Gründungen wird nachhaltig große Beschäftigungseffekte möglich machen.


 
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