© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/98 18. September 1998

 
Wahlkampf: Umweltschutz im Wandel grüner Programme
Grün ist der Wechsel
von Michael de Wet

Die Grünen auf dem Weg zur Macht?" titelt ein taz-Spezial, das rechtzeitig vor der Bundestagswahl die Geschichte der Partei thematisiert, und in dem die Werbetrommel für die Alternativpartei gerührt wird: "Als die Idee zu diesem taz-Journal entstand, sah es so aus, als könnten wir das Fragezeichen in der Überschrift getrost weglassen. Zweistellige Umfrageergebnisse und eine vor Selbstbewußtsein strotzende Partei, die sich, wenn überhaupt, Sorgen um ihren potentiellen sozialdemokratischen Koalitionspartner machte – darum drehte sich unser Interesse. Heute scheint es, als sei bereits die Frage vermessen und als gehe es allein um den Klassenerhalt der Ökos im Bundestag."

Tatsächlich könnte es diesmal knapp werden für Grün. Deshalb ist es für die Grünen mit Blick auf die Anhängerschaft der großen Umwelt- und Naturschutzverbände wichtig, weiterhin als "Ökopartei" zu gelten. Ein Blick in die Magazine dieser Verbände zeigt, daß dort durchaus Sympathien gehegt werden, wenngleich auch nur wenige so offen wie das Naturkost-Magazin Schrot & Korn in seinem Septemberheft die Stimmabgabe für die Grünen empfehlen.

Wie steht es um den Stellenwert der Ökologie in der Partei, die Ende der 70er Jahre als parlamentarischer Arm der Umweltbewegung und Anti-Atom-Aktivisten entstand? Ein Gradmesser dafür, wie grün die Grünen waren und sind, können ihre Wahlaussagen zu den "klassischen" Ökothemen sein.

1980 trat die grüne Partei erstmals zu einer Bundestagswahhl an. Im damaligen Wahlprogramm finden sich als die vier Pfeiler, auf denen die grüne Ideologie ruht, die Schlagworte "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei". Die Ökologie stand an erster Stelle, auch wenn die Partei sich dagegen verwahrte, sie sei "eine Ein-Punkt-Partei, die sich ausschließlich auf den Umweltschutz konzentriert". Bereits 1980 sind alle wesentlichen Öko-Themen im Wahlprogramm aufgegriffen worden: Ersatz der Wachstums- durch eine ökologische Kreislaufwirtschaft, Ausstieg aus der zivilen und militärischen Nutzung der Kernenergie sowie die Forderung, die Besteuerung der Arbeit zugunsten einer Energie- und Rohstoffsteuer zu vermindern. Als Anhang zum Wahlprogramm publizierten sie damals noch eine "Erklärung zur ökologischen Politik".

"Ökologische Politik heißt, ökologisch-naturwissenschaftliche und soziale Lebenszusammenhänge bei allen Eingriffen in die Umwelt umfassend und vorrangig zu berücksichtigen. Die Grünen wollen deshalb weder die Wachstums-, Wirtschafts- oder Gesellschaftspolitik des Kapitalismus noch die irgend eines real-existierenden Sozialismus. Von den Grünen ist keine Politik der Großbanken und Großkonzerne, aber auch keine Politik der Politbüros sogenannter kommunistischer Staaten zu erwarten. (…) Wir wissen, daß die Propaganda der Etablierten versuchen wird, die Grünen ‘rot’ oder sogar ‘braun’ einzufärben."

Die Bundestagswahl 1983 bescherte den Grünen mit einem Ergebnis von 5,6 Prozent erstmals den Einzug in den Bundestag. Der Wahlerfolg beruhte darauf, daß die Ökologie von der "Friedensthematik" als gleichrangigem Topos von ihrem bis dahin unumstrittenen Spitzenplatz im Forderungenkatalog verdrängt wurde. Diese Tendenz verstärkte sich, als eine dezidiert linke Führungsspitze die Partei übernahm. Im Programm "Farbe bekennen", das zur Bundestagswahl 1987 vorgelegt wurde, bildete "Ökologie, Wirtschaft und Soziales" unter sechs Kapiteln bezeichnenderweise den letzten Punkt. Von 49 Seiten widmen sich lediglich neun den klassischen Umweltthemen – zum Vergleich: dem "Frauenprogramm" wurden immerhin sechs Seiten eingeräumt.

Linke Kapitalismuskritik auch im Umweltbereich

Die Partei habe zum Ziel, heißt es im Programm, neben der Ökologie- und Friedensbewegung Plattform für andere "Emanzipationsbewegungen wie der der Frauen, der Dritte-Welt-Gruppen, der freiheitlichen Sozialisten, der progressiven Christen, der oppositionellen Bauern und der alternativen Gewerkschafter" zu werden. Die Verknüpfung der ökologischen mit der linkssozialistischen Kapitalismuskritik wird auch im Vorspruch des Umweltabschnitts deutlich: Kritik gilt der "kapitalistisch verfaßten Industriegesellschaft" weniger aus rein ökologischen Gründen als vielmehr im Zusammenhang mit mangelnder Mitbestimmung und Undurchschaubarkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses: "Nicht nur die Ausbeutung der Natur, auch die Ausbeutung der abhängig Beschäftigten im Interesse der Kapitalbildung macht krank." Überdies wird das prinzipielle Nein zum Wirtschaftswachstum – zuvor ein grünes Konsensthema – in diesem Programm aufgeweicht: Man mache sich "unabhängig vom Ziel des gesamtwirtschaftlichen Wachstums, ohne dogmatisch einem Nullwachstum oder gar einer allgemeinen Wirtschaftsschrumpfung und einem Ausstieg aus der Industriegesellschaft das Wort zu reden. Während einige Bereiche schrumpfen müssen, ist Wachstum in anderen Bereichen wünschenswert."

Unter der Devise "Grün ist notwendig – Grün ist machbar" setzt das Wahlprogramm von 1990 die Ökologie wieder an die Spitze des Forderungenkataloges: "Ökologische Politik ist nicht nur Arten- und Biotopenschutz. Sie muß auch eingehen in gesellschaftspolitische Konzepte. (…) Auch die sozialen Krisenerscheinungen werfen die Forderung auf nach gesellschaftlichen Veränderungen, durch ökologischen Umbau der Industriegesellschaft, durch Demokratisierung und Pazifizierung aller zwischenmenschlichen Lebensbereiche, durch Feminisierung der Gesellschaft, durch multikulturelle Toleranz." Umweltzerstörung und einseitig ressourcen- und energieverschwenderischer Lebensstil der reichen Industrienationen auf Kosten der Dritten Welt seien deutlichster Ausdruck für das Scheitern der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Überzeugung, "die Verfolgung des individuellen Eigennutzes zöge automatisch auch eine Beförderung des Gemeinwohls nach sich".

Diese Aussagen wurden zu einer Zeit verfaßt, als die DDR ihren Odem aushauchte. Der Wiedervereinigung standen die Grünen lange Zeit abweisend gegenüber, polemisierten gegen die "obszöne Überzeugung der D-Mark" und lamentierten im Angesicht des zerfallenden Ostblocks darüber, daß der Kommunismus doch keine schlechte Idee gewesen sei; erst durch "den fatalen Umschlag des ursprünglich humanistisch-emanzipatorischen Ideals des Sozialismus in die nackte Despotie eines absolutistischen Vormundschaftsstaates" hätten sich Entartungserscheinungen breit gemacht. Diese weltfremden Positionen honorierten die Wähler auf ihre Art: Mit 4,8 Prozent mißlang den westdeutschen Grünen der Wiedereinzug in den Bundestag.

1994 kehrten sie – inzwischen mit der Bürgerrechtsbewegung Bündnis 90 fusioniert – mit einem soliden Stimmenpolster in das Parlament zurück. Der Stellenwert und das Gewicht der programmatischen Aussagen zum Umweltschutz haben sich in diesem – wie auch dem 98er Programm – kaum verändert. Anfang 1998 schien es sogar, als würde die Partei wieder verstärkt umweltpolitische Themen – insbesondere die ökologische Steuerreform – in den Vordergrund rücken. Im Vergleich zu früheren Wahlprogrammen fällt jedoch auf, daß die Grünen ihre prinzipielle Gegnerschaft zur Einführung neuer Technologien aufgegeben haben: Noch 1987 hatte die Partei heftig vor der Einführung der "Computerisierung und informationstechnischen Vernetzung aller Lebensbereiche" gewarnt und das Totalverbot der "industriellen und industriefinanzierten Nutzung gentechnischer Methoden in Forschung und Produktion" gefordert. Im aktuellen Programm unter dem Titel "Grün ist der Wandel" ist von einer Kritik an der "Computerisierung" nichts mehr zu lesen, und auch die Biotechnologie wird im medizinischen Bereich nicht mehr verteufelt.

Zu einer linksliberalen Partei der "Mitte" mutiert

Nicht nur in diesem Punkt zeigt sich, daß sich die Grünen von einer ursprünglich basisdemokratischen Umweltpartei über ein Interregnum linksradikaler und pazifistischer Positionen hin zu einer linksliberalen Partei der vorwiegend städtischen "neuen Mitte" entwickelt haben. Diese sucht einen nicht mehr öko-fundamentalistisch verstandenen Umweltschutz, moderate Kritik an modernen Technologien und einen urbanen, nur noch schwach "alternativ" angehauchten Lebensstil zu vereinbaren mit dem Willen zur Teilhabe an der politischen Macht.

Der Wechsel ist nicht grün. Der Wechsel ist rotgrün: Das ist der Kompromiß, der Konsens und die ungeschriebene Programmatik der Grünen 1998.


 
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