© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Front National: Debatte um die Nachfolge von Jean-Marie Le Pen
Hoffnungsträger Mégret
von Nicolaus Rubeck

Gut ein Jahr vor den Wahlen zum Europaparlament spitzt sich in der französischen Rechtspartei Front National (FN) die Debatte um die Nachfolge des Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen weiter zu. Aktueller Anlaß ist die Besetzung des FN-Spitzenkandidaten für die Europawahlen.

Unter normalen Umständen fiele diese Position unbestritten dem Parteichef selbst zu. Doch infolge eines derzeit in zweiter Instanz anhängigen Gerichtsverfahrens wegen einer Auseinandersetzung mit einer sozialistischen Abgeordneten und gewalttätigen Randalierern droht diesem der Entzug des passiven Wahlrechts. Für alle Fälle kündigte Le Pen bereits an, seine Frau Jany als Platzhalterin ins Rennen um die Abgeordnetenposten in Straßburg schicken zu wollen, um zu gewährleisten, daß jene Wähler, die "Le Pen" wählen möchten, auch "Le Pen" wählen könnten. Der Generaldelegierte Bruno Mégret nannte dies daraufhin eine "schlechte Idee" und unterstrich seinerseits, daß "wenn der Chef verhindert sei, ihn die Nummer 2 zu ersetzen habe". Aus der Sicht Le Pens, dessen Frau bereits öffentlich eine mögliche Kandidatur abgelehnt hat, gibt es jedoch "im FN nur eine Nummer: die Nummer 1."

Auch die Basis der Rechtspartei sieht in dem "Vordenker" Bruno Mégret mittlerweile den natürlichen zweiten Mann und potentiellen Nachfolger des Parteigründers Le Pen. Versuche des FN-Vorsitzenden, mögliche Konkurrenten wie den Lyoner Rechtsprofessor Bruno Gollnisch als Gegengewicht zu Mégret aufzubauen, sind gescheitert. Mégret, der anders als Le Pen einen kollegialen Führungsstil bevorzugt, hat es vortrefflich verstanden, seine Gefolgsleute in der Partei zu positionieren.

Die derzeitige Kandidatenfrage, die vielfach verkürzt bzw. schlichweg falsch als Entscheidung für oder gegen eine Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Rechten sowie eine Auseinandersetzung um etwaige programmatische "Liberalisierungen" interpretiert wird, ist von weitreichender Bedeutung für den Front National: Die Entscheidung über den Spitzenkandidaten für das Europaparlament ist zugleich eine Weichenstellung dafür, wie die Nach-Le Pen-Ära aussehen wird. Bereits die Art und Weise der Zusammenstellung der Bewerberliste wirft ein Licht darauf, welche stärkere Rolle die Parteigremien künftig bei Grundsatzentscheidungen treffen könnten. Mégret will im Falle eines Dissenses über den Listenführer das Politbüro befragen. Le Pen hingegen beharrt auf der seit jeher geübten Praxis, daß allein der Vorsitzende nach einigen Konsultationen das letzte Wort hat.

Das von seiten der Medien häufig mit der Person Mégrets assoziierte Abrücken von bisherigen politischen Standpunkten des FN dürfte eine Fiktion sein, schließlich hat Bruno Mégret als maßgeblicher Theoretiker das derzeitige Parteiprogramm entscheidend mitgestaltet. Sein vor Jahren vorgelegtes "50-Punkte-Programm zur Einwanderung" führte zu wütenden Protesten auch aus den Reihen der großen bürgerlichen Rechtsparteien RPR und UDF. Mégret und dessen Anhang unterscheiden sich von der alten Garde des Front National, die bei dem Absolventen einer Elite-Hochschule den Stallgeruch des alten rechten Kämpfers vermißt, vor allem durch einen intellektuelleren Habitus, während letztere eher eine Politik "aus dem Bauch heraus" betreiben.

Die Zusammensetzung der FN-Kandidatenliste für 1999 hat neben der symbolischen Bedeutung zweifellos auch Auswirkungen auf die innerparteiliche Kräfteverteilung. In Frankreich werden die Listen wegen der oft langen Bezeichnungen meist kurz nach dem Spitzenbewerber benannt, der damit in der Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen wird. Würde eine "Liste Mégret" ein besseres Ergebnis erzielen als 1994 Le Pen mit damals knapp 11 Prozent der Stimmen – was zu erwarten ist –, so hätte der Generaldelegierte endgültig den Beweis angetreten, daß die Partei auch unter seiner Führung bei Wahlen bestehen könnte und daß dem Front National auch ein politisches Überleben nach Le Pen sicher wäre. Letzteres halten wissenschaftliche Beobachter des FN-Auftsiegs im übrigen schon längst für eine ausgemachte Sache. Der Euro-Spitzenkandidat der französischen Rechtspartei, der mit ziemlicher Sicherheit zugleich auch der künftige Vorsitzende einer Fraktion der Euro-Rechten wäre, könnte dank der mit dem Mandat in Straßburg verbundenen materiellen und personellen Ausstattung ohne weiteres als Gegenpol zum derzeitigen FN-Chef fungieren. Bereits jetzt arbeitet die Partei durch Ausweitung ihrer internationalen Kontakte mit Hochdruck daran, wieder die Voraussetzung für eine rechte Fraktion im Europaparlament zu schaffen, die mangels einer genügenden Anzahl an rechtsgerichteten Abgeordneten aus unterschiedlichen Ländern 1994 nicht mehr zustande gekommen war. In Deutschland ist man einerseits um engere Kontakte zur DVU bemüht, andererseits werden auch die Republikaner, die lockere Verbindungen zum FN unterhalten, als mögliche Partner gehandelt. Welcher Zusammenarbeit hier die Zukunft gehört, entscheidet letztlich der deutsche Wähler.

Zwei Wochen vor den schwedischen Parlamentswahlen entsandten die französischen Rechtsnationalen außerdem den Europa-Parlamentarier Yvan Blot zur Unterstützung der kleinen Schwedischen Demokraten (SD) nach Stockholm. In Blots Gepäck befanden sich u. a. 250.000 Wahlbroschüren in schwedischer Sprache als "logistische Hilfe". Die Rechten im Nachbarland Dänemark haben solcherlei Unterstützung nicht mehr nötig: Sie zeigten bereits, daß sie den Sprung ins Parlament aus eigener Kraft meistern können. Anders in Finnland: Dort intensiviert der FN seine Beziehungen zur Patriotischen National-Union (IKL). Und in Spanien unterstützen die französischen Rechten die Democratia National, deren Wahlplakate vom Erscheinungsbild her bereits sehr stark denen des FN gleichen. In Griechenland wiederum, wo man über lange Jahre die mittlerweile in der Versenkung verschwundene frühere Obristen-Partei Epen als Partner hatte, baut der FN auf die neugegründete Bewegung Hellenistische Front. Auch wenn die Frage des FN-Spitzenkandidaten für die Europawahlen 1999 noch unbeantwortet ist, so scheint es angesichts der europaweiten Konjunktur für Formationen auf dem rechten Flügel des Parteienspektrums gewiß zu sein, daß sich eine kräftige multinationale Fraktion der Euro-Rechten herausbildet, in der ein Jean-Marie Le Pen wie auch ein Bruno Mégret ein gehöriges Wort mitreden werden.


 
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