© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Vertriebene: Störungen bei zentraler Veranstaltung in Berlin
"Nie wieder Heimat"
von Till Koch/Christian Uebach

Kommunistisches Pack", ereiferte sich der Berliner Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), als drei Störer auf der Pressekonferenz mit BdV-Präsidentin Erika Steinbach erschienen und ein rotes Transparent mit der Aufschrift "Nie wieder Heimat" entrollten. Zum Auftakt der Großveranstaltung am vergangenen Sonntag in der Sporthalle Charlottenburg hatte die Anfang Mai neugewählte Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, zu einer Pressekonferenz ins gegenüberliegende Hotel Econtel geladen. Frau Steinbach gab den Inhalt des für diesen Sonntag verfaßten Berliner Appells wieder (siehe Dokumentation unten).

Hintergrund dieser Erklärung sei die anstehende Osterweiterung der Europäischen Union, die die Möglichkeit böte, Unrecht wieder gut zu machen. Die BdV-Präsidentin betonte, daß die EU eine Wertegemeinschaft sei, deren Mitglieder Menschen- und Minderheitenrechte anzuerkennen haben. Sie erinnerte an eine geltende Resolution der UN-Menschenrechtskommission, nach der Vertreibung grundsätzlich rechtwidrig sei und Vertriebene ein Recht auf Rückkehr und Entschädigung hätten. Der BdV wolle jede Möglichkeit ausschöpfen, um dieses Recht der Vertriebenen geltend zu machen. Frau Steinbach betonte jedoch, daß ihr vorrangig ein freiwilliges Entgegenkommen der osteuropäischen Nachbarn am Herzen liege. Dem tschechischen Ministerpräsidenten Zeman warf sie vor, mit seinen Diffamierungen der Sudetendeutschen in der jüngsten Vergangenheit suggerieren zu wollen, daß die Vertriebenen Täter und nicht Opfer seien. Sie widersprach Bundesaußenminister Kinkel in seiner Haltung, die Interessen der Vertriebenen bei den Beitrittsverhandlungen nicht zu berücksichtigen. Dabei berief sie sich auf die Ankündigung Helmut Kohls, die Vertriebenen in den EU-Eingliederungsprozeß Polens und Tschechiens einzubeziehen.

Nach Anfrage von Journalisten äußerte Frau Steinbach die Einschätzung, daß tatsächlich nicht sehr viele Vertriebene in ihre Heimat zurückkehren würden, was mit dem hohen Alter der Erlebnisgeneration zusammenhänge. Es sei jedoch wichtig, denen, die tatsächlich zurückkehren wollten, ein Recht darauf zuzugestehen. Auf die Frage, ob sich das Vertriebenenproblem nicht bald von selbst lösen würde, lobte sie das Engagement vieler junger Menschen in den Vertriebenenverbänden. Generell fehle jungen Menschen in der Bundesrepublik aber das Verständnis für die Belange der Vertriebenen. Dieser Teil der deutschen Geschichte werde lediglich in Bayern und Baden-Württemberg im Schulunterricht behandelt.

Die Straßenzüge um die Sporthalle waren durch Hundertschaften der Polizei abgeriegelt, denen man glaubhaft machen mußte, daß man den Tag der Heimat besuchen wolle, um an ihnen vorbeizukommen. Alle paar Minuten fuhr ein Reisebus mit Besuchern der Veranstaltung vor. Um in die Sporthalle zu gelangen, mußte man an zahlreichen Ordnern und an einem privatem Sicherheitsdienst vorbei. Dies war notwendig, denn linke Chaoten hatten massiv zu Gegendemonstrationen aufgerufen und schon vierzehn Tage vorher versucht, Leute für ihre Aktionen zu mobilisieren. Dies war ihnen offensichtlich nicht gelungen, lediglich eine kleine Schar von etwa dreißig Anhängern versuchte, durch Pfeifen zu stören. Auch hatten sie einen offenen LKW aufgestellt, von dem aus eine Musikgruppe landsmannschaftliche Lieder verballhornte.

Die Erlebnisgeneration stellte den größten Teil der Besucher, lediglich in kleiner Zahl sah man Angehörige der Bekenntnisgeneration. Zur Eröffnung spielte die Märkische Kappelle aus Eisenhüttenstadt, und eine siebenbürgische Volkstanzgruppe führte einige folkloristische Tänze vor. Am Rande der Veranstaltung verkauften Vertreter der einzelnen Landsmannschaften an ihren Ständen heimatkundliche Karten, Bücher und sonstige Publikationen.

Die Rednerliste der Großveranstaltung war vom Wahlkampf gezeichnet. Eröffnend wurden Grußworte von Bundeskanzler Kohl verlesen, in denen er versprach, die Vertriebenen in den EU-Integrationsprozeß mit einzubeziehen. Ebenfalls Grußworte an die Vertriebenen richteten Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und BdV-Präsidentin und CDU-Bundestagsabgeordnete Steinbach. Auf den Wahltermin anspielend, mahnte Diepgen an, daß auch in Zukunft das Brauchtum der Vertriebenen vom Bund gefördert werden müsse. Er werde selbstverständlich dafür eintreten, daß der Tag der Heimat in Berlin weiterhin stattfinden könne. Frau Steinbach beklagte, daß die SPD den Konsens mit den Vertriebenen schon lange aufgekündigt habe. Den Zuhörern legte sie ans Herz, ihre Stimmen bei der Bundestagswahl "klug" abzugeben. Als sie schließlich postulierte: "Wir wollen nicht, daß andere Menschen vertrieben werden", applaudierte das Publikum. Der Hauptredner, Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), lobte die Entschlossenheit, mit der Erika Steinbach für die Sache der Heimatvertriebenen eintrete. Im Hinblick auf die Wahlen warnte er die Zuhörer vor "Extremisten von Links und Rechts". Nur die Demokraten seien die rechtmäßigen Vertreter der Vertriebenen.

Bei Gesprächen der jungen freiheit am Rande der Veranstaltung mit einzelnen Vertriebenen wurde deutlich, daß viele in ihrem Alter nicht mehr umsiedeln wollten, da sie sich schon seit Jahrzehnten in ihrer neuen Heimat wohl fühlen. Aber viele wollen, daß ihnen Gerechtigkeit geschieht, daß zum Beispiel die Benesch-Dekrete, die die rechtliche Grundlage für die Vertreibung der Volksdeutschen bilden, zurückgenommen werden. Viele Vertriebene können das Leid nicht vergessen und hoffen auf eine Entschuldigung für das ihnen widerfahrene Unrecht.


 
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