© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/98 04. September 1998

 
Verbot der Republikaner: Ein parlamentarisches Lehrstück im Wendejahr
Drucksache Nr. 64
von Kai Guleikoff

Für den 5. Februar 1990 wird die 16. Tagung der Volkskammer der DDR einberufen. Der Verfassungs- und Rechtsausschuß des alten DDR-Parlaments soll hier sein Ergebnis zur Beschlußvorlage zu "Aktivitäten rechtsextremer und neofaschistischer Kräfte" auf dem Gebiet der DDR verabschieden. Zur Debatte steht vor allem ein rechtzeitiges Verbot der Partei "Die Republikaner" in der DDR und in Ost-Berlin noch vor den ersten demokratischen Volkskammerwahlen in der DDR, die für den 18. März 1990 vorgesehen sind.

Doch dieses Gremium, das da über drohende Gefahren gegen die Demokratie entscheiden soll, ist selbst in keiner Weise demokratisch zustande gekommen. Es wurde bereits am 8. Juni 1986 bei den "Wahlen" zur 9. Volkskammer der DDR bestimmt. Bei einer Wahlbeteiligung von 99,74 Prozent der Wahlberechtigten stimmten, so wollte es die DDR-offizielle Statistik, 99,94 Prozent für die Einheitsliste der Kandidaten der Nationalen Front. Die 541 Sitzplätze im Parkett für die Abgeordneten und das Präsidium konnten trotz der Veränderungen der Wendezeit mehrheitlich gehalten werden. Und diese Aufteilung der Macht sollte nach Möglichkeit auch zukünftig nicht wesentlich behindert werden. Aufgabe der derzeitigen "Volksvertretung" soll es sein, diesen Schritt zur Demokratie vorzubereiten.

Zu diesem Zweck trifft am 1. Februar 1990 Bundeskanzler Helmut Kohl mit Lothar de Maizière, dem Vorsitzenden der DDR-CDU, zusammen, um die Bildung eines Wahlbündnisses bürgerlicher Parteien zu beraten. Ein Parteiengesetz gibt es in der DDR nicht. Kohl und die Ost-CDU sind entschlossen, diesen rechtsfreien Raum zu nutzen.

Amtierender Vorsitzender dieser denkwürdigen Volkskammer-Sitzung vom 5. Februar 1990 ist Manfred Mühlmann, ein LDPD-Politiker. Der Sachse ist bereits seit 1976 Abgeordneter der Volkskammer und seit 1986 Erster Stellvertreter des Verfassungs- und Rechtsausschusses. 1986 wurde er mit dem "Vaterländischen Verdienstorden" in Gold ausgezeichnet, einer der höchsten Staatsauszeichnungen der DDR. Als Vertreter seiner Partei war er außerdem in der Wendezeit vom 17. November 1989 bis zum 3. April 1990 einer der Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR. Mühlmann informiert am Vortage (4.2.1990) den Präsidenten der Volkskammer, Günther Maleuda, Mitglied der "Demokratischen Bauernpartei Deutschlands" (DBD), einer anderen Blockpartei, schriftlich: "Der Ausschuß stimmt dem Entwurf des Beschlusses mit den eingearbeiteten Änderungen zu empfiehlt dem Plenum die Annahme. Auf eine Berichterstattung im Plenum wird verzichtet."

Am Montag, dem 5. Februar 1990, wird dann zwischen 13.00 Uhr und 13.25 Uhr das Verbot der Republikaner inszeniert. Der Auszug aus dem stenographischen Protokoll spricht für sich selbst: "Präsident Dr. Maleuda: … Meine Damen und Herren! Wir hatten vereinbart, um 13.00 Uhr eine Mittagspause einzulegen. Es steht noch ein Tagesordnungspunkt zur Diskussion. Wenn Sie einverstanden sind, würden wir die Tagesordnung abarbeiten, die Tagung beenden und dann mittag essen. Können wir so verfahren? – Ich danke Ihnen. Ich rufe dann den letzten Punkt der Tagesordnung auf: 7. Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zu Aktivitäten der Partei ‘Die Republikaner’ auf dem Territorium der DDR. Drucksache Nr. 64. (Unruhe im Plenum) Liegt die Drucksache nicht vor? – Meine Damen und Herren! Es war vorgesehen, diese Drucksache in der Mittagspause zu überreichen. Ich hatte in Anbetracht der Bedeutung dieses Beschlusses auch für die Öffentlichkeit jetzt vor, diese Erklärung, diesen Beschlußentwurf vorzulesen. Wenn Sie einverstanden sind, würden wir so verfahren. Es war heute früh offensichtlich nicht zu übersehen, daß wir so zügig arbeiten und bereits um diese Zeit die Tagesordnung abschließen können. …"

Drei CDU-Abgeordnete, einer von der PDS und eine vom "Demokratischen Frauenbund Deutschlands" (DFD) bekräftigten mit ihren Wortmeldungen den Beschlußentwurf. Mit einer Gegenstimme und vier Stimmenthaltungen erfolgte die Annahme. Maleuda weiter im Wortlaut des Protokolls:

"Meine Damen und Herren! Damit ist eine eindeutige Beschlußfassung erfolgt. Ich danke Ihnen. … Die 16. Tagung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik ist beendet."

Veröffentlicht wurde der Beschluß im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 7, vom 12. Februar 1990, Blatt 40. Als gesetzliche Grundlage wurden die Artikel 6, 29, und 105 der Verfassung der DDR zugrunde gelegt.

Auch der Hinterpommer Maleuda hat in der DDR eine glänzende Karriere durchlaufen. 1984 war er bereits Stellvertreter des DBD-Vorsitzenden, 1986 wurde er ebenfalls mit dem "Vaterländischen Verdienstorden" in Gold ausgezeichnet. 1987 wurde er Vorsitzender der DBD und damit einer der Stellvertreter Honeckers als Staatsratsvorsitzender. Am 30. Juni 1990 erfolgte sein Rücktritt und Austritt aus der DBD wegen der Fusion mit der CDU. 1994 kandidierte er mit Erfolg auf der offenen Liste der PDS in Mecklenburg-Vorpommern für den Bundestag.

Am 27. März 1990 schrieb Maleuda an den Generalstaatsanwalt der DDR, Hans-Jürgen Joseph: "Ich bitte zu prüfen, ob Ziele und Tätigkeiten der genannten Partei gemäß den Bestimmungen des § 3, Absatz 2 des Parteiengesetzes vom 21.2.1990 die Einleitung eines Verbotsverfahrens gemäß § 21 des genannten Gesetzes vor dem Großen Senat des Obersten Gerichts der DDR erforderlich machen. In diesem Fall ersuche ich Sie, den entsprechenden Antrag zu stellen."

Inzwischen war am 21. Februar 1990, nur 16 Tage nach dem Verbot der Republikaner, ein Parteiengesetz beschlossen und im Gesetzblatt Teil I Nr. 9 vom 23. Februar 1990, Blatt 66-68, veröffentlicht worden. Kurz darauf, am 18. März, fand die erste demokratische Volkskammerwahl statt. Die CDU vereinte 40,6 Prozent der Wählerstimmen auf sich. Der Generalstaatsanwalt antwortete am 25. April 1990 der neuen Präsidentin der Volkskammer, Bergmann-Pohl: "Die Prüfung ergab keine Feststellung, die geeignet wären, von meiner Seite einen derartigen Antrag zu stellen." Trotzdem wurde das Verbot der Republikaner auch zu den Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990 aufrecht erhalten. Erst das Präsidium der Volkskammer beschloß am 7. August 1990 die "Rücknahme" des Parteienverbotes – natürlich ohne jede Entschuldigung.


 
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