© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/98 04. September 1998

 
Wahlkampf: Heinrich Lummer über den Zustand der CDU, Rot-Grün und rechte Parteien
"Einen nationalen Konsens stiften"
von Dieter Stein/ Thorsten Thaler

Herr Lummer, Sie verabschieden sich aus dem Bundestag. Dennoch legen Sie sich noch einmal kräftig für den Kanzler ins Zeug. Warum?

LUMMER: Weil einem das Wohl der Heimat und des Vaterlandes am Herzen liegt. Das hört ja nicht auf, wenn man einen bestimmten Beruf aufgibt. Das ist etwas, was man als eine Lebensaufgabe bezeichnet. Und ich bin daran interessiert, daß es nicht zu einer rot-grünen Koalition kommt, weil ich glaube, daß das schädlich für unser Land wäre. Die Regierung ist zwar nicht im besten aller denkbaren Zustände, aber die Opposition ist in noch schlechterem Zustand, und bedauerlicherweise muß man dann nach dem Gesichtspunkt handeln, was ist für das Land das Beste, möglicherweise, was ist das kleinere Übel. Und das ist nunmal immer noch die CDU/CSU.

Nun ziehen Sie sich aber auch aus Enttäuschung über die Politik Ihrer eigenen Partei aus dem aktiven Geschehen zurück. Wie paßt das zusammen: einerseits sich enttäuscht zu zeigen, andererseits sich aber noch einmal in die Bresche zu werfen?

LUMMER: Das kann man als Widerspruch deuten. Doch widerspruchsfrei ist ja überhaupt kein menschliches Leben. Aber Enttäuschung ist nicht das zentrale Motiv für meinen Rückzug aus der Politik, sondern weil es für mich ein Leben nach, aber auch noch vor dem Tode gibt.

Es gibt konservative Politiker und Publizisten, die diese Widersprüche in der Union nicht mehr aushalten und sagen, Kohl sei nicht mehr das kleinere, sondern das größere Übel. Heimo Schwilk hat mal geschrieben: "Helmut Kohl liegt wie eine Grabplatte auf der Union und Deutschland."

LUMMER: Ich glaube nicht, daß das in diesem Sinne zutrifft. Sicherlich ist es so, daß ein Politiker, wenn er mehr als zehn Jahre in einem wichtigen Amt ist, sich immer die Frage vorlegen sollte, ob es nicht richtig wäre, einen Wechsel zu gestatten. Klar ist, daß die Menschen nach einer gewissen Zeit neue Gesichter sehen wollen. Und wenn man erfolgreich sein will in der Politik, dann muß man diesem Bedürfnis entgegenkommen, sonst wirkt einfach die Formel: der Wechsel ist fällig, wir wollen neue Gesichter sehen. Die Entscheidung aber zu Gunsten von Helmut Kohl ist getroffen worden, weil sein politisches Gewicht so beachtlich war, und international auch immer noch ist. Ob das eine sehr kluge Entscheidung war, kann man in Frage stellen. Aber solche Fragen soll man dann nicht stellen, wenn man es eh nicht ändern kann.

Hat die Theorie des kleineren Übels, die Sie propagieren, nicht genau zu den Zuständen geführt, in denen sich dieses Land befindet?

LUMMER: Überhaupt nicht. Zu Politikverdrossenheit führt jedoch bei vielen Leuten, daß die politische Führung nicht in der Lage ist, bestimmte Fragen zu entscheiden, daß sie diese vor sich herschiebt über längere Zeiträume. Das trifft auf Fragen der inneren Sicherheit und der Ausländerpolitik zu, auf Fragen der Wirtschaft, insbesondere des Steuersystems.

Warum sind diese Fragen nicht entschieden worden?

LUMMER: Das liegt einmal daran, daß man einen Koalitionspartner hat, auf den man Rücksicht zu nehmen hat, so daß man sein eigenes Profil, sein eigenes Programm nicht durchzusetzen vermag. Und es hat etwas mit dem Bundesrat zu tun, der unter Lafontaine bewußt blockiert hat, damit die Regierung die Karre an die Wand fährt. Diese Situation muß man auflösen durch die Bereitschaft und die Fähigkeit, einen nationalen Konsens zu stiften. Das bedeutet, zu sagen: "Die Partei ist nicht alles, wohl aber das Land." Dann muß man auch über seine Parteigrenzen hinwegspringen – das ist nicht geschehen.

Aber genau dieses Nicht-Entscheiden der Politik, das Sie beklagen, wollen Sie jetzt fortgesetzt wissen, indem Sie für eine Neuauflage der Regierungskoalition plädieren.

LUMMER: Wenn kein Wahlerfolg für die SPD eintritt, dann wird die Blockadepolitik durch Lafontaine sofort gestoppt, das ist meine feste Überzeugung. Dann wird die SPD zu einem akzeptablen Kompromiß in allen wichtigen Fragen bereit sein. Es gab ja in der SPD genug Leute, die bereit waren, dem Steuerkompromiß der Regierung mit geringfügigen Änderungen zuzustimmen, aber das haben die Bundesratsmehrheit und Lafontaine nicht gewollt.

In Zeitungsanzeigen warnen Sie eindringlich vor einer rot-grünen Koalition. So schlimm können die Grünen aber nicht mehr sein, wenn Helmut Kohl in Interviews Joschka Fischer für ministrabel hält und über schwarz-grüne Koalitionen nachdenkt.

LUMMER: Es ist über solche Koalitionen schon früher innerhalb der CDU/CSU geredet worden, allerdings nur marginal. Das Kanzlerwort macht auch sehr deutlich, daß diese Aussage keineswegs für hier und heute gilt, sondern allenfalls für eine Zukunft, wenn sich die Grünen wesentlich geändert haben werden. Solche Änderungen bei den Grünen sind nicht nur möglich, sondern aufgrund ihrer Vergangenheit auch wahrscheinlich. Wenn man zehn Jahre zurückdenkt, dann waren sie partiell verfassungswidrig.

Hat sich nicht auch die Union weiter nach links bewegt, zum Beispiel in der Staatsbürgerschaftsfrage oder in der Familienpolitik?

LUMMER: In der Familienpolitik sehe ich das im Moment nicht, da sind es die Grünen und andere Linke gewesen, die zu einer Zerstörung der Familie beigetragen haben. Und nun beklagen sie bei der Jugendkriminalität, die Vernachlässigung der Kinder sei eine Ursache. Aber sie haben im Grunde alles dazu getan, daß solche Zustände erreicht worden sind im Laufe der Jahre. Bei der Staatsbürgerschaftsfrage sieht es anders aus. Die Position der sogenannten "Jungen Wilden" – von denen ich meine, daß sie weder jung noch wild sind – ist in der CDU wirklich eine Randposition, deckt sich aber teilweise mit den Grünen.

Die CDU-Generation nach Kohl liebäugelt eher mit den Grünen als mit der FDP.

LUMMER: Das ist nicht zutreffend. Diese sogenannten "Jungen Wilden" sind ja nicht die ganze Zukunftsgenerationder CDU, sondern nur ein Bruchteil davon. Sie sind zwar vielleicht lauter und nach außen hin erkennbarer, aber es ist nicht die Partei. Richtig ist wohl, daß wenn die CDU/CSU nicht in der Regierungsverantwortung sein sollte, dann wird es innerhalb der Partei eine Personal- und Programmdiskussion geben und auch geben müssen. Das ist zwangsläufig. Aber mein Eindruck ist, daß die CDU wieder konservativer wird, als sie es in der Regierungsverantwortung gewesen ist.

Wo sind denn die Köpfe in der Union, die für eine konservative Kurskorrektur stehen?

LUMMER: Ich könnte mir schon vorstellen, daß Schäuble dafür steht und auch Stoiber.

Das ist nicht gerade eine neue Generation.

LUMMER: Nein, aber Schäuble ist derjenige, der die größten Aussichten hat, die Partei zu führen. Und er ist im Herzen ganz gewiß kein "Junger Wilder", der die Gefahr mit sich bringt, daß die Partei nach links rutscht. Nehmen Sie Schröder in der SPD: Was er früher geredet hat und was er heute redet. Das ist ein Weg von links zur Mitte oder nach rechts. Wir haben das auch bei Herrn Voscherau erlebt, und wir erleben das bei den Grünen: ein Weg von links in die Mitte oder nach rechts, weil man Rücksicht nehmen muß auf das, was die Menschen denken, fühlen oder erwarten von der Politik. Von daher werden sich Sachzwänge ergeben, daß die CDU/CSU konservativer wird, als sie es in den letzten Jahren war.

Wird sich dieser Prozeß beschleunigen, wenn es im Bundestag eine rechte Partei gibt?

LUMMER: Das weiß ich nicht. Aber die Vermutung liegt nahe, denn das Bemühen der Union besteht darin, daß rechts von ihr keine demokratisch legitimierte Partei entsteht, wie das mal Strauß gesagt hat. Das bedeutet faktisch, daß die CDU/CSU sich der Themen intensiv annehmen muß, die eine rechte Partei in den Bundestag gebracht hat. Nur so wäre man ja in der Lage, eine solche Partei wieder wegzubekommen.

Halten Sie es für einen Fehler der Union, eine Verharmlosung des Linksradikalismus tendenziell zugelassen zu haben, auf der anderen Seite aber rechte parteipolitische Alternativen am leidenschaftlichsten bekämpft zu haben?

LUMMER: Ich halte es jedenfalls für falsch, daß man in der politischen Auseinandersetzung mit zweierlei Maß mißt, daß man auf der einen Seite links die Augen zudrückt, alles toleriert – mit Herrn Gysi darf jeder diskutieren –, die Zeitungen machen mit ihm auf und finden in ihm und anderen Interviewpartner, und auf der rechten Seite wird ignoriert und diskriminiert. Das halte ich nicht für richtig, beide Seiten müssen gleich behandelt werden.

Hielten Sie den Einzug einer Rechtspartei in den Bundestag für eine Katastrophe oder für ein notwendiges Korrektiv?

LUMMER: Ach, eine Katastrophe, das sehe ich nicht so. Ich weiß, in Sachsen-Anhalt kam gleich das große Wort: Nun ist die Katastrophe da. Ich sehe eher die Katastrophe darin, daß die PDS in Sachsen-Anhalt mitregiert, als daß da ein paar Hansel von der anderen Seite Opposition spielen. Die Gefahr besteht, daß die PDS mitbestimmt in unserem Lande. Andere Länder wie Frankreich leben auch damit, daß es Rechte und Linke gibt. Das ist etwas ganz Normales, daß es an den Rändern Profilierungen gibt. Aber mein politisches Ziel bestünde eben darin, dafür Sorge zu tragen, daß eine Partei diese Gruppierungen mit repräsentiert, daß sie nicht vagabundieren, sondern einbezogen werden. Dazu muß man sich derer Themen annehmen.


 
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