© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


1968 und die Beatles: Wie Pop-Ikonen mit einem Lied zu Feindbildern wurden
Nachhilfe für Schwarze Zwerge
von Erich Glück 

Vor genau 30 Jahren traten mitten in einem heißen Sommer die Panzerstiefel der Warschauer-Pakt-Ttruppen die Blüten des Prager Frühlings nieder und leiteten mit der Breschnew-Doktrin ("Allein Moskau diktiert die Richtung innerhalb des Ostblocks") eine neue weltpolitische Eiszeit ein. Diese Invasion war die blutig-bedeutendste Etappe der Aggression im gewaltüberfrachteten Jahr 1968 mit Bonner Notstandsverfassung und dem Berliner Revolver-Attentat auf die Galionsfigur der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, am 11. April. In den USA wurden eine Woche zuvor der Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis/Tennessee und am 6. Juni Robert F. Kennedy, jüngerer Bruder des am 22. November 1963 in Dallas/Texas erschossenen Präsidenten John F. Kennedy, getötet, während quer durchs Land immer massivere Demonstrationen gegen den eskalierenden Vietnamkrieg stattfanden.

"Hair" hieß das 68er Kultmusical mit der Antikriegsbotschaft im Mittelpunkt, das von Amerika aus auf Erfolgskurs ging. Es ließ dem durch die "Blumenkinder" der Flower-Power-Bewegung von den alten Zöpfen entledigten Pentagon-Establishment die Resthaare zu Berge stehen. "This is the dawning of the Age of Aquarius" versprach bereits der Eröffnungstitel einer restlos destabilisierten und miteinander feindselig verkeilten Welt Besserung. Drei Jahrzehnte später ist der Wassermann immer noch auf der verweifelten Suche nach der Friedensbahn, die ihm sein übermächtiger Konkurrent Mars so hartnäckig verstellt.

Als "Hair" rund um den New Yorker Broadway seine erste Dollar-Profitmillion auf Bühne und Platte eingespielt hatte, sollte auf der europäischen Seite des Atlantiks die längst zur lebenden Legende mutierte Nr.1-Band der Welt nach dem Willen der 68er Jungrevolutionäre gehörig Federn lassen. Für die Ideologen im knallharten, mitunter knallköpfigen Rock&Roll-Geschäft stand APO-diktisch fest: mit dem Text von "Revolution" hatten die Beatles Hochverrat an der eigenen Generation verübt. In der original-marxistischen Grundfarbe aus der politischen Palette pinselte die inzwischen in die grauhaarigen Jahre gekommene "Neue Linke" die Ikonen des Beat-Booms zu konterrevolutionären Feindbildern um. Das Lied "Revolution", in zweifacher Rhythmus-und Instrumentalversion aufgenommen, ist John Lennon von den Marschierern durch (besser: in) die Institutionen selbst knapp 18 Jahre nach seinem eigenen gewaltsamen Tod noch nicht verziehen worden.

Die erste Version kam im Juli 1968 als B-Seite der Single "Hey Jude" auf den Markt, die Paul McCartney Lennons Sohn Julian aus der geschiedenen Ehe mit Cynthia gewidmet hatte. Die Neubearbeitung des Liedes erschien unter dem Titel "Revolution Nr. 1" auf dem weißen Doppelalbum der Beatles im November.

"Wirklich beunruhigend an diesem Song ist, daß die Platte den intellektuellen Verkalkungsprozeß der Beatles bestätigt", rechnete Establishment-Aussteiger Helmut Salzinger (geb.1935) 1972, im Jahr der beginnenden Ping Pong-Diplomatie zwischen Maos China und der US-Administration unter Nixon, in seinem Buch "Rock Power – oder wie musikalisch ist die Revolution?" aus der verblendeten wie kurzsichtigen Zyklopenperspektive mit den "im falschen Moment unpolitischen Pilzköpfen" aus Liverpool ab.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte Konrad Bohmer mit besserwisserisch-ignoranter Polemik in seiner kontroversen Schrift "Zwischen Reihe und Pop –Musik und Klassengesellschaft" (1970) kein gutes Haar an den "Fabulous Four" gelassen: "Ihre Texte könnten Leitartikel einer Springer-Zeitung sein, wie etwa jenes scheußliche Lied ‘Revolution I’, in welchem die mittlerweile zu Großkapitalisten avancierten Sänger mit jenen revolutionären Bewegungen abrechnen, die in den letzten zwei Jahren gegen das System sich wendeten, dessen Nutznießer die Pop-Revolutionäre geworden sind und dem sie ideologisch sich anbiederten (…) Die schmalzige Musik mit welcher ihre Texte vorgebracht wird, macht die Intention noch deutlicher, daß die Songs der Beatles nicht im geringsten für einen Aufstand der Musik der unteren Sphäre stehen ....!"

Die hitzköpfigen Kritiker unter den Ho Tschi Minh-Bannern und Che-Guevara-Konterfeis ballten ihre Fäuste nicht nur zum Genossen-Gruß, sondern zur Kampfansage an Lennon/McCartney, obwohl das Duo zu keiner Zeit das Prädikat "revolutionär" für sich und seine Musik beansprucht oder gar mißbraucht hatte. Lennon forderte in "Revolution" zu geistig-seelischer Umkehr auf, statt geifernd als Weltverbesserer Parolen zu skandieren, und versicherte, daß die Demos unter den Porträts des Vorsitzenden Mao Märsche auf dem Holzweg seien. Der parteipolitisch neutrale, zeithistorisch aber durchaus versierte Beatle erteilte den Redakteuren des Black Dwarf (Schwarzer Zwerg), Zentralorgan des trotzkistischen Vietnam-Solidaritätskomitees in den USA, im Januar 1969 Nachhilfe, nachdem ihm vorgeworfen worden war, er hätte als Multimillionär nur noch Häme für die Idole der Arbeiterklasse, der er selbst entstammte: "Wenn ihr Euch zu einem Despoten wie Mao Tse Tung bekennt, dessen Kulturrevolution Millionen von Opfern gefordert hat, und dessen verfehlte Wirtschaftspolitik eine dreijährige Hungersnot mit 40 Millionen Toten verursacht hat, ist das Eure Sache, nicht meine !"

"Ich würde erst dann an die Revolution glauben, wenn ich mit den Verzweifelten in Prag Blumen in die sowjetischen Panzerrohre stecken könnte ohne Gefahr zu laufen, sofort niedergeschossen zu werden", konterte Lennon in der hitzigen Diskussion mit den Rothemden des Black Dwarf im Zusammenhang mit den Folgen des August 1968 in der CSSR. Lennon sprach’s, ging und schrieb demonstrativ das Lied "Give Peace a Chance" für seine "Plastic Ono Band", ehe er in der Londoner Abbey Road mit den Beatles die LPs "Abbey Road" und "Let it Be" aufnahm, den "Schwanengesang" der erfolgreichsten Popgruppe der Musikgeschichte.

Am 8. Dezember 1980 trafen John Lennon in New York die tödlichen Kugeln des 25jährigen Psychopathen Mark Chapman, der den 40jährigen Musiker unmittelbar zuvor um ein Autogramm gebeten hatte.

Drei Jahrzehnte nach dem blutigen Jahr 1968 blickt Professor Eduard Goldstücker, im Prager Frühling Vorsitzender des CSSR-Schriftstellerverbandes, in seinem Exil im englischen Seebad Brighton in den Rückspiegel der Ereignisse: "Unsere Reformpolitiker wie Alexander Dubcek, Jiri Hajek oder Ota Sik waren wie wir alle zunächst naiv genug zu glauben, daß es der Sowjetführung wirklich um den Sozialismus ging. Viele westliche Jungmarxisten gaben sich ebenso dieser Illusion hin. Doch Lennon durchschaute jene von den Gefühlen und Sehnsüchten der damaligen Jugend profitierenden Geschäftemacher, die Popmusik pseudo-revolutionär und krypto-kommunistisch einfärbten, um daraus millionenschweres Kapital zu schlagen."

Heute sei bewiesen, so Goldstücker, "daß sich Lennon nicht geirrt hat. Schade, daß er die friedliche Revolution von 1989 nicht mehr erlebt hat!"


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