© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


Europäische Verkehrspolitik: Die EU will die Verkehrsbeschränkung für den Brenner kippen
Subventionsbetrug greift um sich
von Christian Uebach 

Während der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft Österreichs wird die Regierung Viktor Klimas mit einem ebenso innen- wie außenpolitisch brisanten Problem konfrontiert werden. Beim Europäischen Gerichtshof liegt eine Klage gegen Österreich wegen der geplanten Erhöhung der Brennermaut vor. EU-Mitgliedsstaaten wie Italien und Deutschland vertreten dagegen in Brüssel vehement die Interessen der LKW-Lobby. Im März dieses Jahres schlug die EU-Kommission vor, LKW-Fahrverbote innerhalb der EU einheitlich auf die Zeit von sonntags 7 Uhr bis 22 Uhr zu beschränken, womit die bisher auch samstags geltende Wochenendpause in Österreich entfallen würde.

Derartige Bestrebungen wecken bei Umweltschutzorganisationen und Ini-tiativen der vom Transitverkehr betroffenen Bevölkerung wieder vermehrten Protest gegen den Alpentransit. Erst im vergangenen Juni wurde die Paßstraße wieder von österreichischen Bürgern blockiert, die von Wien verlangen, für die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse einzutreten.

Die EU will LKWs den Weg über die Alpen frei halten

Die Brennerautobahn gilt als die bedeutendste Transitstrecke der Alpen. Von den 110 Millionen Tonnen Gütern, die jährlich über die Alpen transportiert werden, entfallen alleine 22 Mio. Tonnen auf den niedrigsten der Alpenpässe. Und das Transitvolumen steigt ständig. Während 1990 noch 925.000 LKWs über den Brenner rollten, waren es 1997 schon 1.217.848 Transporte. Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres wuchs das LKW-Aufkommen am Brenner um 4,6 Prozent. Eine neue Eisenbahntrasse zwischen München und Verona soll das wachsende Volumen des Alpentransits in Zukunft kompensieren. Dieses Projekt wird jedoch frühestens in 20 Jahren fertiggestellt sein. Auch sind noch nicht alle technischen Probleme des Baus gelöst.

Im Frühjahr 1992 hatten sich deshalb die Europäische Gemeinschaft und Österreich auf das "Transitabkommen" geeinigt. Es sah vor, die Stickoxid-Emission des LKW-Verkehrs in den Alpentälern zwischen 1993 und 2004 um 60 Prozent zu reduzieren und den Transitverkehr in diesem Zeitraum deutlich zu verringern. Erreicht werden sollte die Schadstoffreduzierung durch das sogenannte "Ökopunkte-System". Ein LKW, der größere Mengen an Stickoxiden (NOX ausstößt, sollte eine entsprechend größere Anzahl von Ökopunkten verbrauchen und damit seltener durch Österreich fahren dürfen als ein schadstoffärmerer LKW. Grundlage für die Bestimmung der Anzahl der Ökopunkte war eine Schätzung der EG im Jahr 1991, derzufolge ein LKW durchschnittlich 15,8 Gramm NO X/Kilowattstunde ausgestoßen habe. Bis jetzt reduzierte sich jedoch die Schadstoffemission nach Berechnungen der Tiroler Landesregierung lediglich um 37 Prozent. Greenpeace-Recherchen ergaben, daß die Schätzung der EG zu hoch angesetzt war. Tatsächlich stießen LKWs durchschnittlich nur 11,8 Gramm NO X/Kilowattstunde aus. Damit war genug Freiraum für die weitere Zunahme des Alpentransitverkehrs geschaffen. Mehr LKWs als von Österreich gewünscht konnten so die Alpen passieren, so daß die angestrebte Schadstoffreduzierung nicht erreicht wurde.

Am 1. März 1994 ließ Klima, damals österreichischer Verkehrsminister, verlauten, daß Österreich sich in den schwierigen Transitverhandlungen gegenüber der EU durchgesetzt habe und dem EU-Beitritt nichts mehr im Wege stehe. Die Kommission sei beauftragt worden, die durch den Güterverkehr verursachten Probleme zu lösen und Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor der Transitbelastung auszuarbeiten. Auf europäischer Ebene besteht jedoch nur ein geringes Interesse daran, den LKW-Verkehr in den Alpen einzuschränken. Der Vorschlag von EU-Verkehrskommissar Neil Kinnock, auf ökologisch sensiblen Strecken eine Abgabe pro LKW von 0,03 Ecu/Kilometer zu erheben, stieß beim EU-Verkehrsministerrat auf Ablehnung. Auch der Verkehrsausschuß des EU-Parlaments sprach sich am 17. Juli 1997 gegen eine "einseitige Belastung des Güterstraßenverkehrs" aus. Daher plant Österreich nun, dem steigenden LKW-Aufkommen mit höheren Maut-Gebühren zu begegnen.

Subventionstransit ist ein einträgliches Geschäft

Zirka 30 Prozent der Gütertransporte über den Brennerpaß sind sogenannte Umwegtransporte, bei denen die Speditionen teilweise einen Umweg von 200 Kilometern in Kauf nehmen, um Mautgebühren zu sparen. Weitere 13 bis 20 Prozent entfallen auf Leertransporte, bei denen LKWs aufgrund logistischer Mängel ohne Fracht zurückkehren. Der Verkehrskommissar der EU, Neil Kinnock, ließ errechnen, daß europaweit leere Lastkraftwagen 60 Milliarden Kilometer im Jahr zurücklegen.

Wie erkärt sich aber der horrende Zuwachs des Gütertransits in den Alpen während der letzten Jahre? Der Grund für den Anstieg der Transittransporte ist nach Expertenmeinung der vermehrt um sich greifende Exportsubventionsbetrug. Im Februar dieses Jahres kamen italienische Zollbeamte auf die Idee, häufig zwischen Verona und München pendelnden LKWs Nylonschnüre durch die Verschlüsse der hinteren Ladetür zu ziehen. Als die LKWs erneut die Grenze passierten, führten sie zwar neue Frachtpapiere, die Nylonfäden waren jedoch noch immer zwischen den Verschlüssen. Sie waren also nicht geöffnet worden. Wenig später wurde ein Transport von 18.000 Tonnen Zucker dabei beobachtet, wie er nach dem Passieren der Grenze von Italien nach Österreich wendete und umgehend nach Italien zurückfuhr. Die Polizei überprüfte die Frachtpapiere, wobei sich das Motiv für dieses scheinbar sinnlose Manöver offenbarte: Mehrwertsteuerbetrug. Zucker, der von Italien nach Österreich, ist ebenso mehrwertsteuerfrei wie Zucker, der von Österreich nach Italien exportiert wird. Mit diesem Ausflug nach Österreich konnte man 20 Prozent Mehrwertsteuern sparen. Hierbei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Güter, deren Export subventioniert wird, über Grenzen zu kutschieren, ist ein einträgliches Geschäft. Ein Vertreter der Zollfahndung Innsbruck schätzte, daß zehn Prozent des EU-Gütertransits reiner Subventionstransit sei, die Dunkelziffer jedoch weit höher liege, denn die einzelnen Staaten seien mit der Aufklärung völlig überfordert. Experten sehen keine Möglichkeit, durch Grenzkontrollen dem Subventionstransit Einhalt zu gebieten, zumal seit Inkrafttreten des Schengener Abkommens nicht genau feststeht, wie Transporte in Zukunft effektiv zu kontrollieren sein sollen.

Ein Bericht des Europaparlaments warnt vor dem ständig wachsenden Ausmaß des Subventionsbetrugs, das der Entstehung eines rasch wachsenden grauen Marktes entspreche, der die gesamte europäische Wirtschaft erfaßt habe.


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