© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


Wahlkampf: Umweltverbände ziehen düstere Bilanz der Kohl-Regierung
Wenig versprochen, nichts gehalten
von Gerhard Quast 

Sie kandidieren auf keiner Liste und machen dennoch Wahlkampf: Vier Wochen vor der Bundestagswahl ziehen die Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Hubert Weinzierl und Jochen Flasbarth, als "Tandem für die Umwelt" durch die deutschen Lande. Anders als bei Ernst-Ulrich von Weizsäcker (SPD), dem Vorsitzenden des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, und Reinhard Loske (Bündnis 90/Die Grünen), einem führenden Mitarbeiter Weizsäckers – die momentan beide in eigener Sache Wahlkampf betreiben –, ist die Wahl-Tour des Umwelt-Duos keiner Partei verpflichtet. Es gehe ihnen nicht um Stimmprozente, sondern um Themen und Forderungen zu gunsten der Umwelt. Dem Wahlkampfgetöse der Parteistrategen solle die viel wesentlichere Frage nach der zukünftigen Entwicklung Deutschlands entgegengehalten werden, begründen die beiden ihr ungewöhnliches Unterfangen.

Ihr Weg führte zu Stationen, "an denen deutlich wird, was sich ändern muß und wie es anders gehen könnte"; an umweltpolitische Brennpunkte wie den geplanten Braunkohle-Tagebau Garzweiler II und Projekte, "die den Weg weisen in eine ökologisch verträglichere Zukunft des Wirtschaftens". Gemeint sind beispielsweise Unternehmen wie die Ludwig Stocker Hofpfisterei in München, ein mittelständischer Backbetrieb, der nur regional hergestellte Zutaten aus dem Öko-Landbau einsetzt.

Am heutigen Freitag endet die Umwelt-Tour mit einer Pressekonferenz in Berlin, auf der die beiden Vorsitzenden ihre Kernforderungen an die nächste Regierung unterbreiten wollen. Daß Handlungsbedarf besteht, machte NABU-Präsident Flasbarth wenige Tage vor seiner Abreise deutlich. Bei der Vorstellung der "Öko-Bilanz der Regierung Kohl" bezeichnete er die zurückliegende Legislaturperiode als eine "Kette verpaßter Chancen, umweltpolitischer Versäumnisse und fataler Fehlentscheidungen". Die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP habe in Sachen Umweltschutz "nichts bewirkt außer Stillstand und Rückschritt". Ob beim Ozonsmog, in der Atompolitik, bei der Bürgerbeteiligung oder im Naturschutz, überall habe diese Regierung Standards abgebaut und Rechte eingeschränkt. Deutschland, das einst als Vorreiter im Umweltschutz gegolten habe, blamiere sich im internationalen Maßstab immer häufiger als "Sitzenbleiberin".

Hart ins Gericht ging Flasbarth mit dem amtierenden Kanzler. Kohl habe in der Umweltpolitik "wenig versprochen und nichts gehalten, aber alles umgesetzt, was er angedroht hat": Die in der Koalitionsvereinbarung von 1994 noch groß angekündigten Pläne für eine Energiesteuer seien ebenso "kläglich gescheitert" wie die Reform des Bundesnaturschutzgesetzes und des Bodenschutzgesetzes. Statt dessen habe die Koalition eine "technokratische Deregulierungs- und Beschleunigungswut" an den Tag gelegt, die in zahlreichen Gesetzen ihren Niederschlag gefunden und einen beispielslosen Abbau von Beteiligungsrechten in Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Folge gehabt habe.

Fatal sei außerdem gewesen, daß die Regierung in der letzten Legislaturperiode den Natur- und Umweltschutz als eigenständiges Politikfeld aufgegeben und ihn statt dessen der Wirtschaftspolitik untergeordnet habe. Was die Industrie nicht wollte, wurde "umweltpolitisch auch nicht gemacht", so Flasbarth.

Auch beim Klimaschutz sehe die Bilanz der letzten vier Jahre düster aus. Zwar habe Bundeskanzler Kohl auf dem Berliner Klimagipfel 1995 die Klimaschutzziele der Bundesregierung bekräftigt, an konkreten Maßnahmen mangele es jedoch bis heute. Noch immer lehne die Regierung die Einführung einer Energie-/CO2-Steuer mit der Begründung ab, daß ein EU-weites gemeinsames Vorgehen notwendig sei. Dabei seien es doch die Deutschen, die eine Einigung auf europäischer Ebene immer wieder verhindern würden.

Den Vorwurf der "Industriehörigkeit" Kohlscher Politik belegte Flasbarth mit der seit 1991 geplanten Wärmenutzungsverordnung, mit der die Industrie zu einer stärkeren Nutzung ihrer Abwärme verpflichtet worden wäre. Diese sei "auf Drängen der Wirtschaftslobby vom Kabinettstisch gefegt worden". Statt dessen habe man sich mit "völlig unzureichenden, nebulösen und halbgaren Selbstverpflichtungserklärungen" zufriedengegeben. Wie man "angesichts dieser blamablen Umweltbilanz" glauben könne, daß das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung erfolgreich sein werde, sei ihm "absolut rätselhaft".

Als "absolutes Desaster" bezeichnete der NABU-Präsident die Entwicklung in der Naturschutzpolitik. Die im März erfolgte kleine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, die mit einer "verfassungsrechtlich fragwürdigen Konstruktion" am Bundestag vorbei durchgesetzt worden sei, stelle nach Ansicht des NABU den größten Rückschritt für den Naturschutz in der ganzen Nachkriegszeit dar. "Gegen jede Vernunft" habe die Kohl-Regierung festgelegt, daß Landwirte künftig für die Beachtung von Naturschutzauflagen Ausgleichszahlungen durch die Bundesländer erhalten sollen – auch dann, wenn die Naturschutzanforderungen noch innerhalb der Sozialbindung des Eigentums erfolgen, also nach bisheriger Rechtssprechung nicht entschädigungspflichtig gewesen seien.

Die Novellierung des Naturschutzgesetzes sei nicht mehr und nicht weniger als "ein plumpes, aber für die Wähler teures Wahlgeschenk an die Landwirtschaft", da es inbesondere die Handlungsfähigkeit der Länder allein aus finanziellen Gründen dramatisch einschränke.

Daß die einst als "Tafelsilber der deutschen Einheit" gewürdigten Nationalparks der Ex-DDR noch immer von der Treuhand-Nachfolgerin BVVG veräußert werden, obwohl Kohl im April erklärt habe, diese Verkäufe seien gestoppt, dokumentiert nach Ansicht Flasbarths sehr eindrücklich den geringen Stellenwert, den der Naturschutz für die Koalition habe. Während in anderen Ländern das nationale Naturerbe vom Staat angekauft werde, lasse Deutschland seine bundeseigenen Grundstücke in Schutzgebieten an private Interessenten veräußern. Bereits jetzt seien größere Waldflächen des Müritz-Nationalparks, des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin und des Nationalparks Uckermärkische Seen privatisiert worden.

Nicht viel anders dürfte die Bilanz der "vier schwarzen Jahre" aussehen, die Jochen Flasbarth und Hubert Weinzierl am heutigen Freitag ziehen werden.


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