© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


Wahlkampf I: Der Republikaner-Vorsitzende Rolf Schlierer wirbt in Berlin um Stimmen
Pleiten, Versager, Bankrotteure
von Christian Uebach  

Mit Großveranstaltungen der Union in Dortmund und der SPD in Berlin, München und Bonn hat am vergangenen Wochenende die Schlußphase des Bundestagswahlkampfes begonnen. Nach Emnid-Umfragen ist sich nur jeder zweite Wähler über seine Stimmabgabe am 27. September im klaren. Jede Partei scheint also noch gute Chancen zu haben, Wähler für sich zu gewinnen.

Für vergangenen Donnerstag hatten auch die Berliner Republikaner zu einer Wahlkampfveranstaltung mit ihrem Bundesvorsitzenden und Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag Rolf Schlierer ins Rathaus Tempelhof geladen. Das Gebäude wurde von der Polizei gesichert, die mit elf Einsatzwagen angerückt war. Es sollten sich jedoch den ganzen Abend über keine gewalttätigen Störer vor dem Rathaus einfinden.

Die 100 Plätze im Tagungssaal der Bezirksverwaltung füllen sich zeitig. Auch die Lokalpresse zeigt reges Interesse. Rolf Schlierer läßt noch auf sich warten. Den Anwesenden wird Mineralwasser gereicht; geduldig warten sie. Gegen 19.30 Uhr ertönt Beifall. Schlierer betritt den Saal, gefolgt von der Berliner Parteispitze. Nachdem man auf dem Podium Platz gefunden hat, begrüßt der Landesvorsitzende Werner Müller die Zuhörer und Rolf Schlierer, der erneut mit Beifall bedacht wird. Müller lobt Schlierers Wahlkampforganisation, nichts könne mehr schiefgehen. Das Publikum versteht die offensichtliche Anspielung auf die Landtagswahlen im Bayern am 13. September. Er äußert sich kurz zur Landespolitik und beklagt, daß ein PDS-Stadtrat die Republikaner bei der Suche eines Veranstaltungsraums behindert habe. Er bezeichnet es als Schamlosigkeit, daß die SED-Nachfolgepartei bei einer Gedenkveranstaltung für das Maueropfer Peter Fechter einen Kranz niedergelegt hätte. Als im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung der Name Rita Süssmuths fällt, bricht im Saal schallendes Gelächter aus. Die ersten drei Kandidaten für die Berliner Landesliste, der ehemalige Landesgeschäftsführer Sven Thomas Frank, die Apothekerin Ingeborg Seifert und der Ingenieur im Frühruhestand, Jürgen Brey, werden vorgestellt. Müller befürchtet, daß der Osten bei der Wahl die DVU stärken könnte, wobei er die Formulierung "Unwort DVU" wählt; von der NPD wolle er erst gar nicht sprechen. Darauf übergibt er das Wort an den Hauptredner.

Rolf Schlierer leitet seine Ansprache mit einer Bilanz der Regierung Kohl ein. Er beklagt die hohen Arbeitslosenzahlen, die Rekordwerte der Sozialausgaben, die Rolle Deutschlands als Nettozahler in der EU. Für 6,6 Millionen Straftaten macht Schlierer die Bundesregierung verantwortlich und verweist auf den hohen Anteil der Ausländer daran. Den Zuhörern attestiert er eine Pro-Kopfverschuldung von 29.000 DM. Er faßt zusammen: Pleiten, Versager, Bankrotteure; Kohl müsse weg. Schlierer gibt sich kämpferisch, reckt geballte Fäuste. Schröder und Lafontaine versprächen zwar den neuen Aufbruch, doch wiesen deren Länder Niedersachsen und Saarland selbst Schuldenberge und einen "Verwaltungswasserkopf" auf. Schlierer zweifelt daher, daß die SPD den Schuldenberg abbauen könne. Dem Publikum stellt er im Falle einer Regierungsbildung der SPD die Beteiligung von Grünen und PDS in Aussicht. In scharfem Ton greift der Republikaner-Vorsitzende das grüne Spitzenduo Joschka Fischer und Jürgen Trittin an. Trittin sei ein "knallharter Bolschewist", der sich in der autonomen Szene am wohlsten fühle. Unter dem Deckmäntelchen der Ökologie versuchten die "Ökofaschisten" den Bürgern die Freiheit zu nehmen, ihnen alles vorzuschreiben. Die PDS sei immer gegen die Wiedervereinigung gewesen und habe daher gar keinen Anspruch, in einem vereinigten Deutschland mitzuregieren.

Dann leitet Schlierer zu den eigenen politischen Konzepten über. Die Republikaner hätten in Baden-Württemberg bewiesen, daß sie aus der Opposition heraus die etablierten Parteien unter Druck setzen können: Die Referendarin Ludin hätte nicht mit Kopftuch in die Schule gedurft, weil die Landesregierung Stimmengewinne der Republikaner gefürchtet habe. Bezug nehmend auf diese Affäre erklärt er, daß intoleranter Islamismus nichts im Staatsdienst zu suchen habe. Eine Gemeinschaft könne nur friedlich zusammenleben, wenn sie sich auf gemeinsame Werten stütze.

Mit der Bemerkung, daß die deutsche Gesellschaft wachsam sein müsse und ihre eigenen Interessen im Auge behalten solle, benennt er die zentrale These seines Programms. Diese zieht sich wie ein roter Faden durch seine bildungs-, arbeitsmarkt-, europa- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen. So ist zum Beispiel für Schlierer neben den Lohnnebenkosten die Zuwanderung für Arbeitslosigkeit verantwortlich. Den Zuhörern stellt er in Aussicht, daß sie später keine Renten bekämen. Er fordert, Sozialmißbrauch durch Ausländer einzudämmen und Leistungen danach zu bemessen, was der einzelne für die Gesellschaft gegeben habe. In bezug auf die Europapolitik bemängelt Schlierer, daß die Bundesregierung den Deutschen eine Entscheidung über die für sie schicksalhafte Politik vorenthalten habe. Außerdem sei zuerst Mitteldeutschland aufzubauen, bevor man Geld ins Ausland gebe. Schlierer bekennt sich auch klar zur allgemeinen Wehrpflicht. Deutsche Soldaten sollen seiner Meinung nach nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden, nicht aber für UN-Einsätze. Außerdem verlangte er einen staatlich garantierten Ehrenschutz für Soldaten. Das Publikum scheint mit ihm in allen Punkten übereinzustimmen.

Als Schlierer die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal anspricht, geht ein Raunen durch den Saal. Zwar hält er die Bereitschaft zur Sühne für wichtig, aber das deutsche Volk habe inzwischen Anspruch auf Vergebung. Nur wenn ihm diese gewährt würde, könne es Versöhnung geben. Mit der Anzahl der Mahnmale solle man "den Bogen nicht überspannen".

Nach eineinhalb Stunden verabschieden die Zuhörer, die eher sachliche Zustimmung als flammende Begeisterung erkennen lassen, Rolf Schlierer mit stehenden Ovationen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen