© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998

   
 
Alte Lager – Neue Politik: Die Frage nach der Nation sorgt in der PDS für Unruhe
Grenzen des Zumutbaren
von Werner Olles

In der Freitags-Debatte des Neuen Deutschland (ND) vom 31. Juli hat Roland Wehl, Redakteur bei wir selbst und auch Autor der Jungen Freiheit, unter dem Titel "Die Nation zur Sache des Volkes machen" die Linke und namentlich die PDS aufgefordert, nicht die Fehler einer alten West-Linken zu wiederholen, für die das "Volk immer nur eine reaktionäre Größe war": "Die Defizite einer westdeutschen Linken, deren antinationale Reflexe in der Vergangenheit nur der Rechten genützt haben", hätten "längst auch die PDS erreicht".

In der gleichen Ausgabe erwidert Ellen Brombacher, Sprecherin einer Berliner PDS-Basis-Organisation und der "Kommunistischen Plattform". Die "rechtsintellektuelle Junge Freiheit" bekommt als "feines Kotzbrockenblatt" (Gerhard Zwerenz) ihr Fett weg: sie stehe für die "Praxis der Neuen Rechten, einen Teil der Linken für sich zu gewinnen". Brombacher mischt ihren Angriff mit dem nationalen Pessimismus Heinrich Bölls oder Christa Wolfs, ins Leere aber geht ihr Rekurs auf Kurt Gossweilers "Strasser-Legende": Immerhin hat kein Geringerer als Wolfgang Abendroth – der der DDR wahrlich nicht abgeneigt war – nach Strassers Rückkehr aus dem Exil diesem vor einem westdeutschen Gericht zu einer Wiedergutmachungsrente für Widerstandstätigkeit gegen das NS-Regime verholfen. Und der Hinweis von Brombacher, daß sich bei zunehmender Globalisierung "die Herrschenden desto intensiver des Nationalismus bedienen", ist Unsinn und verrät mangelnde Kenntnis des Marxschen Kapitals.

Von anderem Gewicht ist der Debatten-Beitrag des ND-Redakteurs Hans-Dieter Schütt, ehemals Chefredakteur der Jungen Welt. Schütt erinnert daran, daß "links und intellektuell nicht mehr identisch sind". Er zitiert Nietzsche, hat mittlerweile Benn und Botho Strauß entdeckt, warnt vor der Brombacherschen "Allianz von Tugend und Terror, die die Wahrheit zur Indoktrination verkommen läßt". Er kommt zu der Erkenntnis, daß es "handfeste Argumente gegen Links" gibt, und eine intellektuelle Rechte mache "allein durch ihre Existenz auf langjährige Verfehlungen linken politischen Handelns" aufmerksam.

Für die frühere stellvertretende PDS-Vorsitzende Angela Marquardt war die "Grenze des Zumutbaren" dagegen mit Wehls Beitrag erreicht. Per Jungle World teilte sie ihre ND-Abokündigung mit. An Brombacher kritisierte sie deren "positiven Bezug auf das Nationalgefühl des Volkes"; schon die Benutzung des Lenin-Zitates vom Vaterland als dem "stärksten Faktor im Klassenkampf" geht ihr zu weit: derlei finde sich auch "in den Schriften der NPD-Jugend". Marquardt fordert die PDS-Führung auf, dem Treiben des Neuen Deutschland "auf dem Weg nach rechts" ein Ende zu setzen, sonst werde "das Profil der PDS dauerhaft beschädigt".

Das Neue Deutschland und der "braun-rote Dialog"

In einem Beitrag am 12. August "Neues aus Deutschland – Das ND setzt den Kampf um Nation und Volk fort" macht Justus Wertmüller in der Jungle World ND-Chefredakteur Oschmanns "nationale Truppe für den Dreck" verantwortlich. Und unter dem Titel "Wolle mer se reilasse?" heißt es am 18. August in der Zeitung, das Neue Deutschland "inszeniere den braun-roten Dialog". Gleichzeitig äußert Ulla Jelpke, die für die PDS im Bundestag sitzt, ihr "Befremden" in der Jungle World: wir selbst sei ein "ausgemachtes Nazi-Blatt"; vorausgegegangen sei dem Wehl-Beitrag im ND ein Gastbeitrag des ND-Redakteurs Marcel Braumann "in eben jener Nazi-Zeitung", und Braumann hätte auch in der "nationalrevolutionären" Zeitschrift Mut Artikel veröffentlicht. Die neue Unübersichtlichkeit macht Jelpke zu schaffen. In einem Offenen Brief an das ND schrieb sie am 21. August, daß die "Querfront-Strategie der Rechten", die von der ND-Redaktion mitgetragen würde, zu einem "Glaubwürdigkeitsverlust des antifaschistischen und antirassistischen Selbstverständnisses der PDS" führe. "Auch Antifa-Initiativen wird dadurch ihre politische Arbeit erschwert."

Tatsächlich hatten bereits im Sommer 1995 in der Berliner Akademie "Helle Panke" mehrere Fachtagungen zum Thema "Die Sache mit der Nation – Nachdenken über ein für die Linke schwieriges Thema" stattgefunden. Die von der Zeitschrift Bahamas als "völkische Strömung" innerhalb der PDS diffamierten Professoren Lötzsch, Engelstädter und Kasper vertraten auf diesem Seminar das "Völkerrecht auf Selbstbestimmung" und kritisierten Parolen wie: "Die Linke braucht kein Vaterland!" Lötzsch plädierte für eine Hinwendung zur nationalen Frage und warf der Linken "bewußte Mißachtung der eigenen nationalen Interessen" vor; Engelstädter forderte, die nationale Thematik dürfe nicht der Rechten zu überlassen werden.

Ein Wort ist zur "Zeitschrift für nationale Identität" wir selbst nötig: Diese beschäftigt sich seit dem Dezember 1979 überwiegend mit der nationalen Frage. Im Mai 1983 druckte sie eine Rede Rudolf Bahros "Unabhängigkeit für Deutschland", die dieser bei einer Veranstaltung der Grünen gehalten hatte. Ihr schlossen sich im Februar 1984 die Veröffentlichung von Bahros "25 Thesen für eine grüne Deutschland-Politik" an, und auch Thesen der Arbeitsgemeinschaft für Berlin- und Deutschland-Politik der Alternativen Liste in Berlin wurden in wir selbst vorgestellt. Im Februar 1985 publizierte Wolfgang Venohr in wir selbst seinen "Zehn-Punkte-Plan für die Herstellung einer Konföderation Deutschland". Im Oktober 1985 dokumentierte wir selbst die Denkschrift "Friedensvertrag – Deutsche Konföderation – Europäisches Sicherheitssystem", unterschrieben u.a. von Herbert Ammon, Gerd Bastian, Joseph Beuys, Karola Bloch, Peter Brandt, Tilman Fichter, Richard Sperber, Wolf Schenke, Theodor Schweisfurth und Martin Walser, die alle von der Linken kamen. In dieser Zeit fand auch der Gedankenaustausch mit der Frankfurter Sponti-Zeitschrift Pflasterstrand statt, deren Herausgeber damals Daniel Cohn-Bendit war. Der wir-selbst-Redakteur Walter Hohenstein konnte in Pflasterstrand seine Gedanken zu einer nationalrevolutionären Politik erläutern. Ein Neuanfang, anschließend an die Pflasterstrand-Beiträge von Klaus Schönkäs zum Plan einer Neuen Rechten, scheiterte jedoch an der Diskussionsunwilligkeit der Linken.

Annäherungen in der Weimarer Zeit

Grenzüberschreitende Diskussionen sind Gratwanderungen. Wann kommt es von der intellektuellen Debatte zum totalitären Flirt? Angela Marquardts polemische, nicht differenzierende Gleichsetzung der nationalen Debatte im ND mit Bündnisangeboten der Kommunisten an Nationalsozialisten in der Weimarer Zeit soll die Atmosphäre vergiften.

In Weimar entwickelte sich – wie bei dem Bündnisangebot der KPD an die Rechte im Juni 1923 – eine belebende Auseinandersetzung. Karl Radek erklärte auf dem 3. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI), die KPD dürfe die nationalistischen Ideale und Ziele in ihrer Propaganda nicht venachlässigen; sie müsse sich in eine nationale Organisation verwandeln. Zu den interessantesten Episoden in der Annäherungstaktik an die deutsche Rechte gehört indes Radeks Schlageter-Rede: Radek huldigte dem von einem französischen Militärgericht verurteilten und hingerichteten Freikorps-Kämpfer Leo Schlageter. Die Rede enthielt auch ein Bündnisangebot an die Rechte; diese reagierte jedoch ablehnend auf die Offerte der Kommunistischen Internationale (Komintern) und der KPD, die von ihr als Agentur einer fremden Macht auf deutschem Boden angesehen wurde. Moeller van den Bruck und Graf Reventlow aber waren bereit, den Dialog mit den Kommunisten aufzunehmen. Bereits diese Bereitschaft wurde von der Komintern als Erfolg des nationalen Kurses der KPD gedeutet. Immerhin hatte Moellers Zeitschrift Das Gewissen die KPD als nationalistische Partei bezeichnet. Gleichwohl war die Kluft zwischen den Konzepten der "Nationalbolschewisten" und der Kommunisten unüberbrückbar. So führte der Dialog der Komintern mit den Nationalbolschewisten, die nur Splittergruppen innerhalb der deutschen Rechten bildeten, zu keinen bedeutenden Ergebnissen. Aber bereits 1924 vertrat Clara Zetkin auf dem 5. Kongreß der Komintern die Auffassung, Einsteins Relativitätstheorie und Freuds Psychoanalyse seien "Zeichen der Dekadenz". Sie sehnte sich nach der Naivitität der positivistischen Epoche. Ihre Rede war ein marxistischer Versuch, das eigentümliche Verhältnis linker Intellektueller zum Nationalen zu erklären.

Im Juni 1931 forderte die Führung der Komintern die KPD auf, sich an dem von der NSDAP initiierten Volksentscheid gegen die sozialdemokratische Regierung Preußens zu beteiligen. Albert Norden rechtfertigte später die Teilnahme der KPD am Volksentscheid mit der Begründung, man hätte Hitler nur schlagen können, wenn man zuvor die Regierung Braun-Severing geschlagen hätte. In den Jahren 1930 bis 1932 kooperierte die KPD häufig mit der NSDAP. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte der Streik der Berliner Verkehrsbetriebe sein, bei dem SA-Leute und Kommunisten nebeneinander als Streikposten aufzogen. Solchen gemeinsamen Aktionen waren Diskussionen zwischen Walter Ulbricht und Joseph Goebbels vorausgegangen. Auch linke und rechte Intellektuelle debattierten öffentlich miteinander, so der nationalrevolutionäre Schriftsteller Franz Schauwecker mit dem Herausgeber der Weltbühne Kurt Hiller im Rundfunk. Und Ernst Niekisch bezeichnet im August 1931 im Widerstand die KPD als eine "elementare Kraft". Als Beppo Römer mit anderen ehemaligen Freikorpsmännern und Nationalisten 1932 zur KPD wechselte, folgte er dem ein Jahr zuvor in die KPD übergetretenen nationalistischen Offizier Richard Scheringer, dem früheren "Oberländer" Bodo Uhse und dem "Landvolk"-Agitator Bruno von Salomon. Der KPD-Funktionär Kippenberger bot Karl Otto Paetel, dem Führer der "Gruppe sozialrevolutionärer Nationalisten", einen Sitz im Reichstag an, aber Paetel wollte "neben der KPD" marschieren. Wenig später lehnte er auch ein Angebot der NSDAP ab.

Die wechselseitigen Annäherungsversuche von links und rechts waren in der Weimarer Zeit ein vielschichtiges Phänomen. Teile der revolutionären Rechten sahen im Kommunismus wohl ein Vorbild, maßen einer Annäherung jedoch letztlich nur instrumentale Bedeutung zu.

In der Weimarer Zeit fehlte eine sozialistische und demokratische Bewegung, die sich glaubwürdig der Nation annahm. Die Kommunisten besaßen diese Glaubwürdigkeit nicht. Ihr Umgang mit der Nation war offensichtlich taktisch bestimmt. Auch wegen dieser fehlenden Glaubwürdigkeit siegten die Nationalsozialisten. Kommunsimus und Nationalsozialismus endeten in epochalen Katastrophen.

Deshalb ist es absurd, die aktuelle Debatte, "Wie national muß die Linke sein?" mit den Schulterschlüssen der Weimarer Extreme zu vergleichen. Die Debatte im ND kann zeigen, daß Demokratie und Nation nicht voneinder zu trennen sind.


 
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