© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Bayreuth: Symposium "Wagner und die Juden"
Nach der Katastrophe
UBT 

"Daß mit israelischer Beteiligung dieses Symposium zu Richard Wagners Verhältnis zu den Juden in Bayreuth stattfindet, zeigt, daß man die Vergangenheit nicht mehr verdrängen will." Dieser mit viel Beifall aufgenommene Satz von Avi Primor, Israels Botschafter in Bonn, zum Auftakt der dieser wissenschaftlichen Veranstaltung wirkte wie befreiend. Denn das Thema lastete merklich auf der Eröffnung des Symposiums. Botschafter Primor beschrieb Wagner als komplizierte und zwiespältige Persönlichkeit, der die Juden einerseits angriff, andererseits mit jüdischen Dichtern, Dirigenten Levy und Komponisten zusammenarbeitete.

Der sichtlich bewegte Leiter der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner, verwies darauf, daß er und sein Bruder Wieland nach dem Krieg versucht hätten, "das Humane, das rein Menschliche in den Werken Richard Wagners vorzustellen". Auch er beschwor, daß "nach der Katastrophe" die Vergangenheit nicht vergessen werde.

Ihn interessiere bosonders, sagte Rektor Professor Dinstein, warum in Israel ein Bann auf Wagners Musik gelegt worden sei, der sich darin ausdrücke, daß das israelische Symphonie Orchester keine Werke Wagners spielen dürfe, Künstler quasi mit Gewalt daran gehindert würden, Kompositionen des umstrittenen Komponisten zu spielen, andererseits aber die Werke Wagners auf CD, Schallplatte und Video käuflich zu erwerben seien.

Udo Bermbach (Universität Hamburg) sprach zum Thema "Antisemitismus als ästhetisches Programm im Kontext der ’Zürcher Musikschriften‘". Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" wird üblicherweise als impulsiver Schlag gegen den Konkurrenten Giacomo Meyerbeer gedeutet. Möglicherweise ist sie jedoch nur im Vergleich mit den gleichzeitig verfaßten "Zürcher Kunstschriften" angemessen zu interpretieren. Somit nimmt sie poetologische und politische Gedanken auf, die im Zusammenhang mit dem neu zu schaffenden "Musikdrama" relevant sind. Die Sprache und der Volksbegriff hängen bei Wagner so eng zusammen, daß die in der Judenschrift denunziatorisch kritisierte "Sprechweise" der Juden wesenlich dazu beiträgt, sie von der zukünftigen Kunst auszuschließen. Politisch aber gibt es, interpretiert man den Schlußsatz der Judenschrift nur richtig, durchaus eine Hoffnung für die Juden, gemeinsam mit den Nicht-Juden "erlöst" zu werden. Der "Untergang", das ist in Wagners Sicht die Aufhebung der gesellschaftlichen Sonderexistenz der Juden durch Revolutionierung der Gesellschaft insgesamt. Der Begriff "Erlösung" meint die politisch-gesellschaftliche Revolution, die ihre Entsprechung auf dem Gebiet der Ästhetik des Gesamtkunstwerks hat. Für Wagner ist hier die Frage der Judenemanzipation vor allem eine künstlerische. Indem er die Juden auffordert, an dem "durch Selbstvernichtung wiedergebärenden Erlösungswerk" (also der Revolution) teilzunehmen, lädt er sie dazu ein, mit den Deutschen zusammen die in den "Kunstschriften" entwickelte Perspektive einer aktiv gestaltenden Kunst zu verwirklichen.

Die Erlösung des Judentums durch die Kunstreligion erfährt in Wagners letztem Werk, "Parsifal", eine Behandlung, die sich Wagners Beschäftigung mit den Büchern August Friedrich Gförrers über das Urchristentum verdankt. Wie Wolf-Dieter Hartwich (Universität Heidelberg) in "Das Judentum in Wagners Spätwerk: Kunstreligion und Kabbala" darlegte, hatte Gförer sich u. a. mit den Geheimlehren des antiken Judentums, der sogenannten Kabbala befaßt. Viele Ideen des "Parsifal", die meist auf Wagners Beschäftigung mit dem Buddhismus zurückgeführt werden, haben Entsprechungen in dieser Lehre. Das Gottesbild im "Parsifal" ist auf den Einfluß des esoterischen Judentums zurückzuführen; der Gral hat seine mystische Entsprechung in der jüdischen Theosophie. Die Mittlerrolle Titurels zwischen Gott und den Menschen entspricht der des Moses, während der "neue Moses" in Parsifal, dem Wiederhersteller des Gralskults, wiederkehrt. Der Karfreitagszauber entspricht der Lehre der Parlingenieses (der Wiederherstellung des Paradieses). Das Schicksal der nach Erlösung suchenden Kundry findet sich in der kabbalistischen Lehre des Gilgul. So finden sich wesentliche Elemente des "Parsifal" in der jüdischen Geheimlehre wieder – ein Hinweis, daß Wagner, der das Judentum als religiöse und gesellschaftliche Erscheinung bekämpfte, an eine totale Integration des Judentums jenseits von religiösen, nationalistischen oder rassistischen Begriffen glaubte im Sinne einer "ästhetischen Kabbala".

Bekanntlich hat Richard Wagner niemals eine seiner Bühnenfiguren als "jüdisch" bezeichnet, so Hermann Danuser in "Jüdische Charakterzeichnung in Wagners Werk? Dramaturgische und musikalische Aspekte". Gleichwohl wurde immer wieder behauptet, daß Gestalten wie Mime, Alberich, Beckmesser und Kundry Judenporträts bzw. -karikaturen darstellen, da Wagners Texte zur jüdischen Frage die Subtextualisierung der musikdramatischen Werke förmlich provozieren. Negativ gezeichnete Figuren wie der Zwerg Mime sind nicht als Judenkarikaturen, sondern als allgemeine Darstellungen des Bösen aufzufassen. Mime ist schon deswegen kein Jude, weil auch er den Stabreim benutzt, den Wagner als Grundlage der deutschen Sprache ansah.

Tatsache ist, daß Wagner selbst seinen "Fliegenden Holländer" und die Kundry des "Parsifal" in die Nähe des "Ahasver", also des unerlöst umherziehenden Juden, gerückt hat. Allerdings wird diese jüdisch-mythische Figur von ihm in das Allgemein-Menschliche gehoben: beide erfahren am Ende die positiv aufgefaßte "Erlösung". Dies ist auch musikalisch zu belegen; die charakteristische Notenfolge in den jeweiligen Finali weist auf die allgemeine Dimension der Erlösungsproblematik hin. (ubt)


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