© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Brandenburg: "Autonome" blamieren sich bei einem feierlichen Bundeswehr -Gelöbnis in Wriezen
Senioren nehmen Feldjägern die Arbeit ab
Kai Guleikoff

Die Stadt Wriezen im Land Brandenburg wurde am 15. August 1998 von Uniformträgern beherrscht. Die alte Hauptstadt des Oderbruchs war bereits ein Jahr zuvor durch die Hochwasserkatastrophe an Oder und Neiße aus ihrer Abgeschiedenheit gerissen worden. Von hier aus erfolgte die Koordinierung der Einsätze der Bundeswehr und anderer Helfer zur Evakuierung der bedrohten Bevölkerung und zur Verstärkung der Deiche. Deshalb wurde zum Jahrestag des "Oder-Hochwassereinsatzes 97" der Marktplatz zum Ort des Feierlichen Gelöbnisses von 300 Rekruten aus den Standorten Storkow, Strausberg und Prenzlau bestimmt.

Gleichzeitig sollte eine Antwort auf das unwürdige Schauspiel vor dem Roten Rathaus zu Berlin aus gleichem Anlaß gegeben werden. Auch ohne Hochwasserhilfe gilt die Bevölkerung des Barnim als der jeweiligen Obrigkeit loyal ergeben. Sogar die Sonne schien auf die renovierte Stadt, die kurz vor Kriegsende zu 92 Prozent zerstört worden war.

Aber auch Leute, die Loyalität grundsätzlich ablehnen, haben sich über diesen Tag Gedanken gemacht. "Autonome" wollten ihn auffällig stören. Allerdings meiden sie normalerweise das flache Land, die "Provinz" mit ihrem täglichen Gleichmaß und Regelwerk der Arbeit. Sie fallen dort gleich auf, und das schadet der "Aktion". Deshalb erscheint ihr "Stoßtrupp" in angepaßter Kleidung mit notdürftig geordnetem Haupthaar. Mit der Bundesbahn erschien die Anreise wohl unauffälliger ("Schönes Wochenendticket" zu 35 DM), und zudem waren die Revoluzzer gleich in Marktplatznähe angelangt.

Im Schutz des Bahnhofsgebäudes überprüfen die Autonomen noch einmal die Ausrüstung: Trillerpfeifen, Signalmunition und kleine Steine. Die Brandenburger Polizei döst währenddessen vor sich hin und die Feldjäger der Bundeswehr interessieren sich vorrangig für die zahlreiche Weiblichkeit, obwohl hochrangige Gäste nahten: Bundesverteidigungsminister Volker Rühe und Landesinnenminister Alwin Ziel. Polnische Militärmusiker zeigten sich NATO-offen mit weißen Gamaschen, wie die Franzosen, und spielten in amerikanischer Manier auf Saxophonen. Gegen 18.15 Uhr senken sich die Fahnen des Pionierbataillons 801, des Transportbataillons 143 und des ABC-Abwehrbataillons 805 zum Gelöbnis. Für die "Autonomen" ist es das Startzeichen für ihren Angriff: Signalschuß, Überspringen des Sperrgitters, Pfiffe, Sprechchor, schrilles Kreischen. Darauf folgt ein Gegenangriff der Feldjäger und Flankenstoß stockschwingender Senioren auf die blaßgesichtigen Empörer. Dazu noch ein Wutschrei: "Immer diese Rechten!" Wer kennt sich hier überhaupt politisch aus in diesem Nest?

Wenig später finden sich die "Geschlagenen" am Bahnhof wieder; unbeachtet im Schutz der Polizei. Mit einem Handy suchen sie Kontakt zu Gleichgesinnten. Bloß weg hier, wo alles anders ist als in Berlin. Vom Marktplatz her schallt der "Yorcksche Marsch" und der Beifall für die abmarschierenden Kompanien.


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