© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Zeitgeschichte: Der Historiker Walter Post über Pearl Harbor und den Umgang mit der Historie
"Roosevelt wollte den Krieg"
von Burckhart Berthold
 

Herr Post, vor kurzem erschien auch bei uns der Roman "Smithsonian Institute" des amerikanischen Autors Gore Vidal. In ihm spricht Vidal davon, wie Roosevelt im Jahr 1941 die Japaner zum Angriff auf Pearl Harbor provoziert hätte. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Herausgabe eines Werkes gesammelt, das Roosevelts Kriegspolitik gegenüber Japan untersucht?

Post: Über die amerikanische Politik unter Roosevelt isAt nur sehr wenig bekannt. Das gilt besonders für das Thema Pearl Harbor. Obwohl es sich um eines der zentralen Kapitel des Zweiten Weltkrieges handelt, kennt sich im deutschsprachigen Raum so gut wie niemand damit wirklich aus. Die bisher bemerkenswerteste Reaktion auf das von mir vor kurzem erstmals in Deutsch herausgegebene Buch von George Morgenstern fand sich in der Welt. Dort erklärte der Rezensent, der Post und andere Revisionisten wären daran schuld, daß in Sachsen-Anhalt 35 Prozent der Wähler extremistische Parteien gewählt hätten.Wenn man diese Argumentation ernst nehmen würde, dann hätten PDS und DVU ihren Wahlkampf mit einem Streit um Roosevelts Außenpolitik bestritten – eine kuriose Vorstellung.

Hat der von Ihnen wiederentdeckte Morgenstern einen Nerv getroffen?

Post: Das nehme ich an. Es ist sicher ungewöhnlich, dem deutschen Publikum ein 50 Jahre altes Buch aus Amerika vorzustellen und zu behaupten, dies sei das beste, was es zu dem Thema gebe. Was die Rezensenten besonders beunruhigt haben mag, ist vielleicht die Tatsache, daß in Sachen Pearl Harbor die Revisionisten auf einer Linie argumentieren, die ein Untersuchungsausschuß des amerikanischen Kongresses erarbeitet hat.

Würden Sie das bitte erklären?

Post: Der japanische Angriff auf die amerikanische Pazifikflotte im Dezember 1941 war eine militärische Katastrophe. Nach amerikanischer Tradition war deshalb eine offizielle Untersuchung notwendig. 1945/46 trat ein Ausschuß des Kongresses zusammen, das Joint Committee on the Investigation of the Pearl Harbor Attack. Die Anhörungen zogen sich über ein halbes Jahr hin; ihre Ergebnisse waren derart skandalös, daß es zwei verschiedene Abschlußberichte gab, den Majority Report der Demokratischen Partei und den Minority Report der Republikaner. In letzterem beschuldigen die Senatoren Ferguson und Brewster den Präsidenten Roosevelt und die Washingtoner Führungsspitze ganz offen, für das Desaster von Pearl Harbor verantwortlich zu sein.

Können Sie die Ereignisse kurz darstellen?

Post: Präsident Roosevelt wollte die USA in den Krieg gegen Deutschland führen. Da er damit auf den Widerstand der Bevölkerungsmehrheit und des Kongresses stieß, wählte er den Umweg eines Krieges mit Japan. Das japanische Kaiserreich war bei Nahrungsmitteln und Rohstoffen von Importen abhängig. Deshalb mußten, wenn Japan sich nicht amerikanischen Forderungen unterwerfen wollte, Maßnahmen eines Wirtschaftskrieges, besonders ein Ölembargo, Japan zwingen, rohstoffreiche Gebiete in Südostasien zu besetzen. Roosevelt hatte mit der britischen Regierung und der niederländischen Exilregierung in London geheime Absprachen getroffen, aufgrund derer die USA im Falle eines japanischen Vorstoßes gegen den holländischen oder britischen Kolonialbesitz in Südostasien in den Krieg eintreten würden. Gleichzeitig war die amerikanische Funkaufklärung in der Lage, den Funkverkehr zwischen Tokio und der japanischen Botschaft in Washington zu entschlüsseln. Aus diesen Funksprüchen ging hervor, daß die japanische Regierung versuchte, zu einer diplomatischen Verständigung mit den USA zu gelangen. Roosevelt schraubte die Forderungen aber so hoch, daß Japan, das sich immerhin als Großmacht verstand, darauf nicht eingehen zu können glaubte und sich für Krieg entschied. Anfang Dezember 1941 wußte die amerikanische Regierung genau, daß ein japanische Angriff nur noch eine Frage von Tagen war. Sie beschloß aber, einen Erstschlag der Japaner hinzunehmen, um dadurch für die Öffentlichkeit in der Position des Überfallenen zu stehen. Daher gab es auch keine Warnung an die Flotte.

Wie reagierte die amerikanische Öffentlichkeit auf diese Feststellungen des Kongresses?

Post: Die demokratische Mehrheit im Ausschuß versuchte, die Ergebnisse zu entschärfen; ihr schloß sich der größere Teil der Presse an. Auch muß man die psychologische Situation kurz nach dem Sieg berücksichtigen. All dies konnte aber nicht verhindern, daß einige scharfsinnige Geister aus dem Material der Untersuchung die naheliegenden Schlüsse zogen. So George Morgenstern. Morgenstern war promovierter Historiker und Chefredakteur für Außenpolitik bei der Chicago Tribune. Während des Krieges diente er als Presseoffizier im Marine Corps.

Wie wurde sein Buch aufgenommen?

Post: Morgenstern blieb nicht allein. 1948 folgte das Buch von Charles A. Beard "President Roosevelt and the Coming of the War". Beard zählte zu den bekanntesten Historikern der USA und gelangte zu den gleichen Schlußfolgerungen wie Morgenstern. Ein Teil der amerikanischen Presse versuchte zwar, diese Bücher totzuschweigen, und weitgehend ist ihr das auch gelungen. Bei einer Minderheit von kritischen Historikern und Lesern aber hatten Morgenstern und Beard eine große Wirkung. Vor dem Krieg hatten diese Leute den America Firsters angehört, den Isolationisten also, und sie waren gegenüber Roosevelts Außenpolitik kritisch eingestellt. Die Erkenntnisse von Morgenstern und Beard übertrafen ihre Befürchtungen.

In Deutschland sind diese amerikanischen Revisionisten weitgehend unbekannt geblieben?

Post: Ja, mit der Ausnahme von "Die Hintertür zum Kriege" von Charles C. Tansill. Es erschien 1956 bei uns. Tansill war Professor für Diplomatiegeschichte an der Georgetown University und Berater für Diplomatiegeschichte des amerikanischen Senats. Sein Buch zählt bis heute zum besten, was es zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges gibt.

Was hat es überhaupt mit dem Begriff "Revisionismus" auf sich?

Post: "Revisionismus", das heißt Überprüfung und Neuinterpretation eines historischen Sachverhalts, ist eigentlich das täglich Brot der Historiker und so alt wie die Geschichtsschreibung selbst. Als Kampfbegriff wurde er aber erstmals in den Zwanziger Jahren in den USA benutzt. Damals stellten einige Historiker aufgrund der Aktenpublikationen nach 1918 fest, daß die deutsche Reichsregierung einen viel geringeren Anteil am Ausbruch des Erste Weltkrieges hatte als die Regierungen Frankreichs und Rußlands. Der Kriegsschuldartikel des Versailler Vertrages wurde damit wissenschaftlich völlig unhaltbar. Im übrigen hat sich auch der "Untersuchungsausschuß des Deutschen Reichstags", wie er offiziell hieß, in den Zwanziger Jahren mit den strittigen Fragen des Weltkriegs in vorbildlicher Weise auseinandergesetzt. Wenn man dieses Material liest, dann weiß man, was "Aufarbeiten von Geschichte" wirklich heißen kann.

Wie ist das Verhältnis von Morgenstern zum heutigen Stand der Forschung in den USA?

Post: Das ist eher ein Nichtverhältnis. Da die amerikanischen Regierungen bis heute an Roosevelts Darstellung mehr oder minder festhalten, haben sie an der kritischen, aktenmäßig nachprüfenden Geschichtsschreibung über Pearl Harbor kein Interesse. Sie haben ihren Einfluß auf die Medien eher dazu benutzt, um die Angelegenheit möglichst totzuschweigen, denn eine sachliche Widerlegung von Morgenstern und Beard ist kaum möglich. Aber in der amerikanischen Öffentlichkeit haben die revisionistischen Thesen im Laufe der Jahrzehnte dennoch weite Verbreitung gefunden, wie das erwähnte Buch des linken Schriftstellers Gore Vidal zeigt.

1995 erschien Ihr Buch "Unternehmen Barbarossa". Woher dieses Interesse für das Jahr 1941?

Post: Weil sich in diesem Jahr der europäische Krieg und der chinesisch-japanische Konflikt durch den Eintritt der Sowjetunion und der USA zum Weltkrieg ausweiteten. 1941 wurden die Grundlagen für den Sieg der USA und der UdSSR im Zweiten Weltkrieg sowie für ihren Aufstieg zu Supermächten gelegt. Damit wurde zugleich der Kalte Krieg programmiert. 1941 ist wie 1917 und 1989 eines der Epochenjahre des 20. Jahrhunderts.

Wie hat sich die Diskussion um das Unternehmen "Barbarossa" jüngst entwickelt?

Post: Es sind natürlich eine ganze Reihe vom Aufsätzen und Artikeln erschienen, in denen wir Revisionisten, worunter man meist die Vertreter der "Präventivkriegsthese" versteht, angeblich widerlegt werden. Das Gemeinsame an all diesen Arbeiten ist, daß sie um alle wesentlichen Punkte einen großen Bogen machen. Wirklich interessant war nur ein Beitrag von Professor Hans-Adolf Jacobsen, der Ende 1996 in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift erschienen ist. Jacobsen ist eigentlich Anti-Revisionist, kommt uns aber in diesem Artikel in den wichtigen Fragen entgegen. Ein ernsthaftes Argument gegen uns ist, daß wir noch nicht genug russische Dokumente vorlegen könnten, um unsere Thesen einwandfrei zu beweisen.

Wie schwerwiegend ist dieser Einwand?

Post: Was wir in den vergangenen Jahren aus russischen Archiven erhalten haben, ist tatsächlich nicht sehr umfangreich und offensichtlich lückenhaft. Wir sind daher gezwungen, oft noch mit Indizienbeweisen zu arbeiten. Bei Pearl Harbor ist die Situation ähnlich. Da in den amerikanischen Archiven unmittelbar nach dem Krieg offenbar einiges Material verschwunden ist, mußte auch Morgenstern einen Indizienbeweis führen. Die grundsätzliche Frage ist die, ob man Indizien anerkennt oder nicht. Im Strafprozeß ist ein Indizienbeweis zulässig, warum sollte das nicht auch in der Geschichtsschreibung gelten?

Wie unabhängig ist die Geschichtsschreibung?

Post: Die meisten Historiker sind in irgendeiner Form von staatlichen Geldern abhängig und fühlen sich – mehr oder minder zu Recht – genötigt, den Wünschen ihrer Brötchengeber zu entsprechen. Außerdem sind nur wenige bereit, sich gegen den Zeitgeist zu stellen. Zeitgeschichtsschreibung braucht geistige wie finanzielle Unabhängigkeit.
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