© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Der Fall "Mehmet"
von Dieter Stein
 

Ein junger Türke erhitzt über Bayern hinaus die Gemüter: Der zunächst strafunmündige Muhlis A., von den Medien "Mehmet" getauft, beging seit seinem zehnten Lebensjahr bis heute 62 registrierte Straftaten. Ein unglaublicher Katalog von Verbrechen rollt sich da ab: Einbrüche, Schlägereien, Ladendiebstähle, Raubüberfälle, Körperverletzungen, räuberische Erpressungen. Erst nach seiner 62. Straftat, einem Raubüberfall mit schwerer Körperverletzung, wird Haftbefehl gegen ihn erlassen, weil er inzwischen 14 und damit strafmündig geworden ist.

Der Fall "Mehmet" kommt insbesondere der bayerischen CSU im Landtagswahlkampf gelegen, um sich – ängstlich vor dem Wahlerfolg rechter Listen – daran markig ihr Mütchen zu kühlen. Die Abschiebung der Eltern samt Sohn soll es nun bringen.

Doch wie kann es überhaupt dazu kommen, daß ein Jugendlicher – ausländisch oder nicht – 62 Straftaten begehen kann? In Hamburg wurden jetzt zwei sechzehnjährige deutsche Jungen verknackt, die gemeinsam 70 Straftaten auf ihr Konto buchen können. Zuletzt erstachen sie wegen 220 Mark einen Ladenbesitzer. Beide, Patrick E. und Christian L., kommen aus problematischen sozialen Verhältnissen. Beide wuchsen ohne Väter auf.

Muhlis A., dessen Eltern unfähig waren, ihren Sohn richtig zu erziehen, ging auf Schulen, die lässig mit dem jungen Querulanten umgingen. Wo wird denn heute – ausländischer Schüler hin, deutscher Schüler her – noch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit durchgegriffen, wenn Disziplinlosigkeiten auftreten?

Logo: Es hagelte "blaue Briefe", die Eltern wurden "zum Gespräch gebeten" – währenddessen schwänzte Muhlis die Schule, verprügelte nach Herzenslust Mitschüler, bediente sich in den Supermärkten der Umgebung. Schließlich wurden "härtere Saiten" aufgezogen. Als Muhlis zwölf ist, quartiert ihn das Stadtjugendamt in ein "Wohnheim für Schwererziehbare" ein. Ein Paradies für angehende Knastbrüder!

Der Fall "Mehmet" ist nur vordergründig ein Fall von Ausländerkriminalität. Er fokussiert in Wirklichkeit den Blick auf ein desolates Erziehungs- und Sozialsystem in Deutschland, das nicht mehr in der Lage ist einen erheblichen Teil von Jugendlichen in ein Wertesystem zu integrieren. Immer mehr Jugendliche wachsen – immer öfter ohne Väter – in einer Gesellschaft ohne Halt auf. Grenzen werden immer lascher gezogen, Verantwortung wird wegdiskutiert und in Terapien zerredet. Die Autoritäten verschwinden – dennoch wird rundum betreut, belehrt, bequatscht. Was fehlt, ist eine Erziehung, die aus Jugendlichen erwachsene, selbständige Menschen macht.


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