© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Wahlkampf: Meinungsforscher beeinflussen vor allem Medien - und umgekehrt
Medien bluffen Medien
Peter D. Richard
 

Die Diskussion über die Rolle der politischen Meinungsforschung nimmt regelmäßig in der Wahlzeit an Intensität zu. Akteure, die sich in die wahlkampfpolitische Schlacht begeben, als Journalisten oder Parteimanager, überziehen die Demoskopie mit Verdächtigungen. Wollte Allensbach 1996 die Republikaner aus dem baden-württembergischen Landtag raushalten und veröffentlichte deswegen nur ungewichtete Daten? Normalerweise werden Umfrageergebnisse über einen längeren Trend für Prognosen herangezogen, früheres Wahlverhalten berücksichtigt und die unterschiedliche Exponierbereitschaft mit ins Kalkül gezogen. Oder war Allensbach vier Jahre vorher für den Wahlerfolg der Rechtspartei verantwortlich, weil das Institut gewichtige Daten publizierte?

Schon die unterschiedlichen Fragestellungen belegen, daß die Debatten über die Manipulationsmacht der Demoskopie sehr stark von Legenden, Sündenbocktheorien und einer monokausalen Wahrnehmung geprägt sind. Die Allensbach-Vizechefin Köcher kann ihren Kanzler Kohl noch so sehr verehren, ihre Analysen in der FAZ können den Politdinosaurier nicht mehr retten. Auch Forsa-Boß Güllner setzt alle Hebel in Bewegung, um seinen Auftraggeber, die Zeitung Die Woche, zufriedenzustellen und Rot-Grün an die Regierung zu hieven. Seine Möglichkeiten sind aber auf dieses Medium begrenzt.

Widersprüchliche Ergebnisse in der Meinungsforschung sind kein Beleg für unseriöse Forschung. Widersprüchliche Meinungen gehören zur Wirklichkeit, und die Demoskopie muß die Aspekte einer Frage breit genug erfassen, um die Widersprüchlichkeit sichtbar zu machen. Wenn sich dann Journalisten aus einem solchen Spektrum diejenigen Ergebnisse auswählen, die ihre Ansichten stützen – dann ist das keine Frage der Demoskopie, sondern eines guten oder schlechten Journalismus. Die schärfsten Widersprüche in den Einstellungen der Bevölkerung findet man in politischen Fragen, in denen sich über die Grundeinstellung Polemik legt. Jeder nimmt zwar Urteile an, die über die Medien dargeboten werden, aber er bringt sie nicht in Übereinstimmung mit seinen Einstellungen. Eine Demoskopie, die keine widersprüchlichen Ergebnisse zeigt, ist weiter von der Wirklichkeit entfernt als diejenige, die Widersprüche in Ansichten entlarvt. An dieser Stelle entsteht die Notwendigkeit der Interpretation. Die besten Interpretationskünstler von Umfragen sind Journalisten, und zwar meist ohne empirische Absicherung. Die Ergebnisse der Demoskopie orientieren sich hingegen an klaren Untersuchungslagen. Sie können wiederholt und überprüft werden.

Im Durchschnitt aber stammen heute sechs Prozent aller Aussagen über die Erfolgsaussichten der Parteien direkt von Meinungsforschungsinstituten, 45 Prozent dagegen von Journalisten. Allensbach beschäftigt sich schon lange mit der Wirkung von Demoskopie in Wahlkämpfen. In den siebziger Jahren wurden dazu Untersuchungen durchgeführt: Die Mehrheit der Bundesbürger hatte zwei Wochen vor der Wahl "in der letzten Zeit zufällig einmal gehört…, welche Partei bei den Meinungsumfragen mehr Stimmen bekommen hat". Obwohl die Medien schon damals häufig diese Zahlen veröffentlichten, blieben 43 Prozent der Befragten ohne Kontakt zu Prognosen. Auf die Frage, welche Parteigruppe in den Demoskopie-Ergebnissen vorn lag, differierten die Antworten stark. Da alle Institute vor der Bundestagswahl 1976 die Koalition aus SPD und FDP vorn sahen, kann man davon ausgehen, daß Umfrageergebnisse von der Bevölkerung nicht exakt wahrgenommen werden. Nimmt man Fragen zu Spitzenpolitikern und Sachthemen hinzu, wird das Bild noch diffuser. Die Zahl der Umfrageinstitute ist gewachsen, private Sender sind am Markt, fast alle Printmedien veröffentlichen demoskopische Daten aus vielen Quellen.

Es gibt andere Faktoren, die das Meinungsklima nachhaltiger beeinflussen. Noelle-Neumann hat schon 1976 Befunde vorgelegt, die einen Einfluß der Berichterstattung auf die Erwartung des Wahlsiegers nahelegen. Die Wahrnehmung von Prognosen verläuft häufig selektiv entsprechend eigenen politischen Präferenzen Die Erfahrung des Einzelnen und die Botschaften, die ihm die Medien vermitteln, sind für die Wahlentscheidung wichtig. Abstrakte demoskopische Zahlen sind eher für hektische Politfunktionäre in den Parteizentralen von Bedeutung. Frei nach dem Motto: "Ich habe Zahlen, also bin ich."


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