© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Geschichte und Politik: Heiko Peters über die Enteignung in der SBZ 1945-1949 und die Zweite Enteignung durch die Bundesregierung 1990
"Gegen Dummheit, Borniertheit und die Verlogenheit"
von Dieter Stein
 

Herr Peters, Sie werfen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Anerkennung der Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone 1945 – 49 kriminelle Energie vor?

Peters: Das ist richtig. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob es korrekt ist, daß ich, der im Grunde bürgerliche Ideen für gut halte, hier gegen die höchsten Repräsentanten meiner eigenen Partei, der CDU, gehe. Nach meiner Überzeugung sind hier involviert: Bundeskanzler Kohl, Kanzleramtsminister Bohl und der CDU-Fraktionschef im Bundestag, Schäuble, außerdem Waigel und Roman Herzog, von der FDP Außenminister Kinkel. Wenn ich gegen diese Leute heute Front mache, dann aus der gesicherten Erkenntnis heraus, daß sie seit acht Jahren versuchen, diejenigen, die von den Kommunisten unter schimpflichsten Umständen von Haus und Hof vertrieben worden sind und deren Eigentum ohne jede damalige Rechtsgrundlage konfisziert worden ist, noch einmal um ihr Eigentum zu bringen. Ich finde, dies verstößt massiv gegen normales Rechtsempfinden und ist charakterlich mies. Gerade Kohl, der erklärt, daß es bei der Wahl darauf ankomme, wie anständig und christlich man sei, muß ich vorhalten, daß er sich in dieser Affäre unanständig und unchristlich benimmt. Und das seit acht Jahren mit voller Unterstützung eines Großteils des Kabinetts und von hochrangigen Staatsbediensteten: Motsch, Reichenbach, Tietmeyer, die unten die Kärnerarbeit tun, wenn es oben angeordnet wurde. Ich verstehe von einem Mann wie Kanzleramtsminister Bohl nicht, daß er als Notar, der zum Recht, zur Wahrheit einen Eid abgelegt hat, es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, wissentlich und öffentlich, mit großer Energie, immer wieder die Unwahrheit zu verbreiten, nur um seinen Herrn und Meister zu schützen.

Sie werfen Kohl vor, den Bundestag bei der Verabschiedung des Einigungsvertrages belogen zu haben. Kohl behauptete, die Sowjetunion hätte die Anerkennung der sowjetischen Entgeignungen zur Bedingung der Wiedervereinigung gemacht. Wenn es stimmt, daß dies eine Lüge war: Welche Motive soll die Bundesregierung gehabt haben zu lügen.

Peters: Die Motive sind fiskalischer Art – die Kassen waren leer! Lassen Sie mich kurz erläutern, warum dies eine Lüge war. Gorbatschow hat im Frühjahr auf dem Kongreß des "Göttinger Kreises – Studenten für den Rechtsstaat" in Berlin gesagt, daß es absurd sei, ihm zu unterstellen, er habe eine solche Bedingung für die deutsche Wiedervereinigung jemals gestellt. Diese Meinung von Gorbatschow wird gestützt von der Aussage des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Bush, sie wird gestützt von der Aussage Hans-Dietrich Genschers, des seinerzeitigen deutschen Außenministers, ebenfalls von den damaligen Außenministern der Großmächte Baker und Schewardnadse; sie wird gestützt von den Aussagen vom Kreml-Koordinator für die Deutschlandpolitik Daschitschew, des DDR-Unterhändlers Krause und von Dutzenden anderen Leuten. Auf der Gegenseite stehen als Kronzeugen der Regierung allein der einstige DDR-Ministerpräsident Modrow, der wegen Wahlfälschung und wegen Falschaussage vor Gericht rechtsgültig verurteilt worden ist, und Lothar de Maizière, der als Stasi-Mitarbeiter geführt worden ist. Damit sollte für jeden klar sein, auf welcher Seite die Wahrheit steht.

Was waren die Motive für diese Lüge?

Peters: Wenn man die Kasse der Bundesrepublik Deutschland anschaut, muß man feststellen, daß die Staatsfinanzen schon vor acht Jahren in schlimmster Unordnung waren. Um die Kosten der Wiedervereinigung abdecken zu können, kam damals unsere Regierung auf die Idee, das sogenannte volkseigene Vermögen hierfür einzusetzen. Kohl sagt es selbst in seinem Buch "Ich wollte die deutsche Einheit": Wir wollten mit dem Verkauf des "volkseigenen Vermögens" die Kosten der Wiedervereinigung finanzieren. Hans-Dietrich Genscher schreibt in seinen Erinnerungen: Wir konnten uns innerhalb der Koalition nicht damit durchsetzen, daß die alten Eigentümer ihre Sachen zurückbekommen sollten. Es war also nicht die Rede von Konditionen der Sowjets. Waigel war damals glücklich, daß sich ihm diese Finanzierungsmöglichkeit bot, die er aber völlig falsch eingeschätzt hat. Das Traurige ist, daß hier nicht nur, daß die von der Regierung ins Auge gefaßte Lösung unanständig und wahltaktisch unklug war, sondern daß sie auch wirtschaftlich falsch war! Wenn man sich heute die Kosten der Verwaltung des im Bundesbesitz befindlichen Eigentums betrachtet, dann sind die Kosten astronomisch.

Dann ist der Komplex ein rechtliches und materielles Problem?

Peters: Das Rechtsproblem ist für mich gravierenderer als das materielle Problem. Ich kann es nicht hinnehmen, daß unser demokratischer Rechtsstaat von der eigenen Regierung hintergangen wird. Auf der materiellen Seite geht es ausschließlich um das, was heute noch im Staatsbesitz ist. Damit das Argument, der Peters kämpfe dafür, daß Ostdeutsche unglücklich gemacht werden, völlig aus der Welt ist: Ich kämpfe nicht dafür, daß irgendetwas zurückgegeben wird, was irgendjemand inzwischen redlich erworben hat. Dafür müssen Ersatzansprüche gestellt werden, die wie auch immer befriedigt werden müssen. Es darf keinem Menschen etwas weggenommen werden, was er von diesem Besitz jemals redlich erworben hat. Der große Teil ist aber doch noch heute in Staatsbesitz! Nehmen wir mal die Zahlen: Von den Kommunisten enteignet worden sind ca. 3,3 Millionen Hektar in der Zeit 1945–49, über 100.000 Fabriken, Handwerksbetriebe, Kinos, Einfamilienhäuser, Immobilien welcher Art auch immer. Davon ist heute noch in Staatsbesitz: über 1,8 Millionen Hektar Agrarland und Forst und über 100.000 Gebäude. Jetzt muß man sich überlegen, welche Kosten dies verursacht! Von den 1,8 Millionen Hektar sind allein 500.000 bis 600.000 Hektar Forst. Nach eigenen Aussagen und Bilanzen der Treuhandgesellschaft verursacht jeder Hektar Forst pro Jahr einen Zuschuß von 350 bis 375 DM. Wenn man das hochrechnet, kommt man auf Hunderte von Millionen Mark, die jedes Jahr perdu sind – plus die Personalkosten der Treuhand, die in ähnlicher Höhe liegen.

Welcher Experte bei der Bundesregierung ist denn auf diese Idee gekommen?

Peters: Die haben so gedacht, wie es sich der kleine Hans denkt: Ohne jede kaufmännische Erfahrung, ohne jede wirtschaftliche Vernunft. Die haben sich gesagt: Wenn wir viel bekommen, sind wir reiche Leute. Sie haben das simple marktwirtschaftliche Gesetz, daß sich ein Preis nach Angebot und Nachfrage richtet, komplett außer Acht gelassen! Ganz anders formuliert: Was würde eigentlich passieren, wenn diese Besitztümer morgen den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben würden? Die eine Hälfte würde in die alten Heimatorte investieren. Die andere Hälfte würde verkaufen. Durch diesen geballten Verkaufsdruck würden die Leute, die kaufen wollen – alte LPG-Genossenschaften, Privatleute, Investoren – viel billiger kaufen können, als sie heute vom Staat kaufen! Und es wäre keine Hehlerware mehr, sie brauchten kein schlechtes Gewissen zu haben, weder auf der Verkäufer- noch auf der Käuferseite, weil es ja das rechtmäßige Eigentum wäre. Es würde also wirtschaftlich sofort eine Lösung herbeigeführt werden, die sowohl für die Käufer als auch für die Verkäufer sinnvoll wäre. Statt dessen müssen derzeit Pächter hohe Pachtkosten an die Treuhandnachfolgebetriebe zahlen. Diese Leute bluten wirtschaftlich aus und können nicht investieren! Wie man es dreht und wendet – es ist ein Unfug ohne gleichen, die hier wirtschaftlich getrieben wird – aus Uneinsichtigkeit, wirtschaftlicher Dummheit, aus Borniertheit und aus der Unfähigkeit, einen Fehler, den man einmal begangen hat, wiedergutzumachen.

Diese "deutsche Watergate-Affäre", von der Sie sprechen, gründet also einerseits auf einer wirtschaftlichen Milchmädchenrechnung und andererseits auf der Feigheit, den eigenen Leuten sagen zu müssen, daß die Wiedervereinigung nicht zum Nulltarif zu haben ist.

Peters: Wenn man sich heute an die Euphorie erinnert, die 1989/90 herrschte, als die Menschen in Berlin die Mauer gestürmt haben, als sie Sylvester gefeiert und aus einer gemeinsamen Sektflasche getrunken haben, alle glücklich über die Einheit waren – wenn man diese Euphorie nicht umsetzen konnte, dann ist man als Politiker fehl am Platze. Jeder – sowohl in West- als auch in Ostdeutschland – wäre glücklich gewesen, hierfür seinen Obulus geben zu können. Und die blühenden Landschaften wären sehr schnell gekommen. Statt dessen hat man aus fiskalischen Gesichtspunkten diese innere Wiedervereinigung, die sich an die äußere hätte anschließen können, verspielt. Wenn man sich heute die politische Landschaft anschaut, dann haben wir das Erstarken der Rechts- und Linksextremen und das Ausdünnen der politischen Mitte. Freunde aus der ehemaligen DDR erzählten mir neulich bei einem gemeinsamen Urlaub: Lieber Heiko, wir haben zweimal auf Dein gutes Zureden CDU gewählt. Bitte nimm es uns nicht übel, wir werden es nie wieder tun. Die bürgerlichen Parteien haben uns derart enttäuscht, daß wir jetzt entweder nie wieder zur Wahl gehen werden oder wir werden extrem wählen, damit ein Zeichen gesetzt werden kann, daß es so nicht weitergeht.

Hat die Bundesregierung Mißtrauen gegen das eigene Volk?

Peters: 1990 ist Kohl gewählt worden, weil er zusammen mit George Bush die deutsche Wiedervereinigung errungen hat – gegen den Willen von Mitterand und Thatcher, mit dem Willen von Gorbatschow. 1994 ist er wiedergewählt worden mit den Stimmen aus den neuen Bundesländern – in Westdeutschland hätte er damals bereits verloren. Den Repräsentanten der großen Parteien ist die Wiederwahl das Wichtigste – erst hinterher kommt das Wohl des Landes. Genauso wurde auch 1990 gedacht! Sie haben gedacht "Brot und Spiele", man darf dem Volk nur nicht zu viele Opfer abverlangen, dann wird man wiedergewählt. Also haben sie versucht, die Opfer klein zu halten, obwohl die Opfer damals gerne gegeben worden wären und jeder einsichtig gÈenug gewesen wäre, sie zu verstehen. Statt dessen haben sie versucht, mit einer Lüge – man muß eindeutig das Wort Lüge verwenden! – sich aus dem Finanzdilemma herauszuziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat ja in seiner zweiten, stark kritisierten Entscheidung gesagt, es wäre das Recht der Bundesregierung, die außenpolitische Lage einzuschätzen, und dies entzöge sich richterlicher Beurteilung. Man muß aber schon wissen, daß bereits 1989 die russische Duma eine Verordnung herausgegeben hat zur Rehabilitierung der unter Stalin unschuldig Verfolgten. Das war der Bundesregierung bekannt, auch in der Zeit des Umbruchs. Es ist beklemmend, daß auf diesen Lügen Gesetze aufbauen, daß auf diesen Lügen Urteile aufbauen, die das Unglück von Leuten zur Folge haben, die schon einmal in ihrem Leben oder in ihrer Familie schlimmstes Unrecht erdulden mußten. Was mich auch bedrückt, ist, daß es in diesem Land nur so wenig Leute gibt, die sich dagegen wehren und offen Position beziehen. Warum stehen die Juristen nicht wie ein Mann auf? Warum erkennen die Journalisten nicht, welche Brisanz dieses Thema hat? Warum erscheint nich einmal eine Zeitung mit der Titelseite: "Werden wir in Deutschland von einer Hehlerbande regiert?"

Hängt dies damit zusammen, daß man erfolgreich den Eindruck erweckt, daß es sich bei den Opfern der Enteignungen ausschließlich um reiche Bonzen und Adlige aus dem Westen handelt?

Peters: Nach meiner Kenntnis ist über die Hälfte der von den Enteignungen Betroffenen in der DDR geblieben. Das waren Handwerker, Kaufleute – ich hätte dabei sein können…

Sie sind selbst kein Betroffener und haben keine Ansprüche auf Rückübertragungen?

Peters: Weder ich noch meine Familie.

Warum dann Ihr Einsatz in dieser Frage?

Peters: Mich empört es, daß es in Deutschland heute – 50 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches – möglich ist, daß in diesem freiheitlichsten aller Staaten auf deutschem Boden möglich ist, wiederum das Recht zu beugen, daß es durch eine Verquickung von Legislative, Judikative und Exekutive möglich ist, das Grundgesetz für eine Minderheit auszuhebeln. Und daß die Minderheit viel größer ist, als die Regierung einschätzt, weiß ich aufgrund eines Besuches bei de Maizière, den ich im letzten Jahr besucht habe, und der mir sagte: Lassen Sie um Gottes Willen Ihre Finger von dieser Affäre! Ich fragte ihn, weshalb? Und er antwortete mir, ich würde eine Büchse der Pandora öffnen. Denn bei den Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen lägen heute noch, das heißt 1997, über 2,1 Millionen ungelöste Fälle. Und von denen kommen mit Sicherheit 25 Prozent oder sogar mehr aus der Zeit 1945 bis 1949. Alle bisher veröffentlichten Zahlen sind nach meiner Meinung falsch. Sie gründeten auf einem Weißbuch von 1953, in dem es hieß, 11.500 Leute aus dem Agrarsektor und ca. 14.000 aus dem Handwerk seien betroffen. Es sind viel mehr. Es hängen von dieser Affäre inzwischen über 1 Million Wählerstimmen ab!

Warum hat die Regierung das Ruder nicht noch herumgerissen, als klar war, daß man alles andere als die Einheit mit dem enteigneten Eigentum finanzieren könnte, daß dies im Gegenteil Geld kostet und Wähler verprellt?

Peters: Selbst als die Basis der CDU auf dem Leipziger Parteitag mit 92 Prozent der Stimmen eine Umkehr verlangte, ist es ja nicht passiert, weil Kohl sich auf die Seite der Ost-CDU-Leute gestellt hat. Kohl glaubt, auf diese Klientel Rücksicht nehmen zu müssen, weil wahltaktische Überlegungen vor Recht und sogar Demokratie gehen. Auch das ist ein großer Fehler! Schauen Sie sich doch mal die Lebenswege von Frau Merkel oder Herrn Seite an, dann wissen Sie, was hier gespielt wird!

Warum wird nun wegen der vergleichsweise lächerlichen Roeder-Affäre in der Bundeswehr ein Untersuchungsausschuß eingerichtet, nicht aber wegen des Themas Enteignungen?

Peters: In einem Brief an eine Betroffene schrieb 1994 Horst Eylmann, damals Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, auf die Frage, warum kein Untersuchungsausschuß eingerichtet würde, sinngemäß folgendes: Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß in dieser Affäre wird es nicht geben, weil die der Regierung nahestehenden Parteien kein Interesse daran haben, der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten und weil die Opposition aus ideologischen Gründen kein Interesse daran hat, die alten Eigentümer wieder in ihre Rechte einzusetzen. So einfach ist das! Man muß hinzufügen, daß ganz am Anfang dieser Affäre nach der Bekundung von Herrn Glos, Sprecher der CSU in Bonn, eine Begegnung stand zwischen Schäuble und dem SPD-Fraktionschef Hans Jochen Vogel. Schäuble soll Vogel gefragt haben, ob die SPD die Linie der Bundesregierung in der Frage der Enteignungen mittrage. Von der SPD wurde damals die Frage gestellt, ob sie denn selbst entschädigt werden würde, für das, was sie meinte, verloren zu haben. Und in der Folge wurde eine Entschädigungszahlung von 75 Millionen Mark an die SPD gezahlt für Verluste, die sie in der ehemaligen DDR erlitten hätte. Paradoxerweise wurden in diesem Gespräch als Begründung für diese Entschädigung Verlags- und Zeitungsrechte genannt, die von den Sozialdemokraten früher in der Ostzone wahrgenommen wurden. Wenn man da nachgräbt, stellt man fest, daß bei den entschädigten Verlagsrechten sogar CDU-Verlagsrechte waren. Das ganze ist also nur ein Vorwand gewesen, um das Schweigen der SPD zu erkaufen.

Eine Bestechung?

Peters: Ich würde das so nennen, oder auch Schweigegeld.

Wie wurden die Medien gefügig gemacht?

Peters: Kurz nachdem der Bundestag den Einigungsvertrag angenommen hatte, wurde eine groß angelegte Annoncen-Kampagne der Bundesregierung im Werte von 25 Millionen DM gestartet, die durch sämtliche deutschen Presseblätter ging und wo die kleinsten Verlage auf dem flachen Land mit horrenden Summen bedacht wurden, um die Folgen der Wiedervereinigung in Annoncen zu feiern. Eine Kampagne, die überflüssig war und die nur dazu diente, die Verlage alle in diesem Moment zu Sprechern der Regierungsmeinung zu machen. Ich halte auch das für untersuchenswert.

Sie werfen der Bundesregierung vor, über das Auswärtige Amt Druck auf russische Stellen auszuüben, damit Stimmen und Beweise unterdrückt werden, die ihr widersprechen. Welche Anhaltspunkte haben Sie hierfür?

Peters: Es ist nicht nur das Auswärtige Amt. Es fing an mit dem Kohl-Besuch in Moskau, nachdem die russischen Rehabilitationen, die ja zu vielen Tausenden ausgesprochen worden waren, die deutschen Verwaltungsgerichte in Schwierigkeiten gebracht hatten. Die Russen rehabilitierten in Urkunden, die mir zum Teil vorliegen, die Betroffenen, entschuldigten sich, und empfahlen, das Eigentum, das verloren gegangen war, bei dem einzufordern, der es heute in Besitz hat. Die Verwaltungsrichter gerieten durch diese Urkunden in Schwierigkeiten, wenn es um Anträge auf Rückübertragung enteigneten Eigentums aus 45/49 ging. Da fliegt plötzlich Kohl auf dem Weg von Tokio nach Bonn, völlig außer der Reihe nach Moskau, und wenige Tage später wird die Rehabilitierungspraxis der Russen geändert. Wenige Tage später steht in diesen Rehabilitationsurkunden nichts mehr von der Rückgabe des Vermögens drin, sondern genau das Gegenteil, nämlich: Diese Rehabilitationsurkunde ist keine Anspruchsgrundlage für Vermögensrückgabe. Was den Einfluß des Auswärtigen Amtes angeht: Der höchste Dienstherr, Herr Kinkel, ist ja persönlich betroffen, weil er als Zeuge vor dem Bundesverfassungsgericht ausgesagt hat. In dem Augenblick, wenn der Damm, den die Bundesregierung errichtet hat, bricht, läuft Herr Kinkel Gefahr, daß er vor einem Strafrichter landet.

Warum hat die Bundesregierung Sie noch nicht verklagt, weil Sie sie der Lüge bezichtigen?

Peters: Waigel soll kürzlich in einem privaten Gespräch darauf geantwortet haben: Wir wissen nicht, was wir gegen diese Anzeigen von Peters machen sollen, Peters hat ja recht! Wenn wir aber zugeben, daß er recht hat, dann müßten wir unsere bisherige Politik ändern. Wir würden so viele Schadensersatzklagen riskieren, daß der Euro in Gefahr kommt. Und das will der Alte nicht!

Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, diese politische Entscheidung zu revidieren? In Karlsruhe unterlagen ja die Eigentümer .

Peters: Ich will versuchen, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, weil es mit meiner Grundüberzeugung nicht in Übereinstimmung zu bringen ist, daß 50 Jahre nach dem Ende Nazi-Deutschlands auf deutschem Boden Juden mit falschen Behauptungen um ihr Eigentum gebracht werden und Widerstandskämpfer des 20. Juli ebenso. Daß der ehemalige Internatskamerad von Herrn von Weizsäcker, Freiherr von dem Bussche, von diesem Staat nicht seinen Besitz zurück erhielt, obwohl er Widerständler des 20. Juli war, weil er nicht entdeckt worden ist von den Nazis und deshalb von den Nazis nicht enteignet wurde, sondern erst hinterher von den Kommunisten und sich in seiner Not sogar an seinen alten Schulkameraden von Weizsäcker gewandt hat und dieser ihm nicht geholfen hat, ist ein Skandal. Daß Herr Herzog diese ganze Affäre gedeckt hat als Verfassungsrichter und sich heute als Bundespräsident zu dieser Affäre nicht öffentlich äußert, ist für mich schimpflich. Das vermag ich – als Mann, der erzogen worden ist von Lehrern, die das Nazi-Regime miterlebt haben und davor gewarnt haben, daß jemals in Deutschland wieder ein unrechtmäßiges Regime etwas zu sagen haben könnte – in meiner Seele nur verabscheuen. Ich werde mich dagegen wehren, solange ich das kann.

Ist aus Ihnen so ein Michael Kohlhaas geworden? Was hat Sie so empört?

Peters: Kohlhaas ist sicherlich die falsche Bezeichnung. Michael Kohlhaas hat ja für seine eigenen Rechte gekämpft. Das tue ich nicht, da ich kein Betroffener bin. Selbst hätte ich dann vielleicht gesagt wie nach einem verlorenen Arbeitsgerichtsprozeß, was soll’s, abgehakt, ich vergesse es. Was mich betroffen gemacht hat, war ein Leitartikel in der FAZ, in dem Bush damit zitiert wurde, daß es eine solche besagte russische Bedingung für die Wiedervereinigung nicht gegeben habe. Das hat mich empört.

Halten Sie die CDU/CSU noch für moralisch regenerationsfähig oder halten Sie ein Szenarium wie in Italien für möglich, wo die Christdemokraten zerfallen sind?

Peters: Es haben zur Zersplitterung des Parteiensystems sicher viele Ursachen beigetragen. Wenn die Glaubwürdigkeit von Politikern durch eigene hohe Funktionäre erschüttert wird, wenn die Glaubwürdigkeit von Parteiprogrammen nur noch als Sonntagsblatt zu lesen ist, aber nicht mehr in die Realität umgesetzt wird, dann ist natürlich das Ende solcher Parteien nahe. Beispielsweise ist der "Bund Freier Bürger" nur eine Absplitterung von der CDU und der FDP. Die CDU wird deshalb solche Affären nicht überstehen können, wenn sie nicht auf den Pfad der Wahrheit zurückkehrt. Die Regierungsparteien haben es geschafft, sich mit großen Teilen des bürgerlichen Lagers zu überwerfen. Es wäre deshalb gut, wenn innerhalb der bürgerlichen Parteien mehr Leute sich empören würden und den Funktionsträgern sagen: Das, was ihr macht, ist nicht die Meinung der Basis.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen