© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/98 14. August 1998


Gehorsam: Politik und Medien beugen sich mit Lust dem Druck der ausländischen Medien
Der artige Deutsche
von Peter Lattas

Die "Reaktion der Weltöffentlichkeit" ist deutschen Politikern heilig. Sie hat die potentielle Richtlinienkompetenz in nahezu jedem essentiellen Politikbereich. Die Gretchenfrage "Was würde das Ausland dazu sagen?" beeinflußt offen oder unausgesprochen Entscheidungen in Fragen der Aßenpolitik, der Wehr- und Rüstungspolitik, der Ausländer- und Bevölkerungspolitik, der Inneren Sicherheit, des Strafvollzugs und… und… und. Und wenn der Kanzler in der Wahlkampf-Hïochsaison darauf beharrt, das gigantomanische Holocaust-Denkmal in der Hauptstadt müsse um jeden Preis gebaut werden, dann ist sein schlagendstes Argument der orakelnde Hinweis auf das, was sonst "auf uns zukommt in der amerikanischen Ostküste".

Das inzwischen abgenutzte "Hatten wir das nicht schon einmal?" schwingt in dem Schielen auf etwaige Mißbilligung durch das Ausland stets unausgesprochen mit. Die Ausrichtung politischen Handelns an möglichen "Reaktionen der Weltöffentlichkeit" ist ein subtiler Nachfolger des "Hitler-Komplexes". Und natürlich ist handfeste Erpressung in vielerlei Gestalt im Spiel. Das Exempel, das an der Schweiz mit der Nazi-Gold-Geschichte statuiert wurde, hat so manchen honorigen Politiker und Finanzmann aus der Eidgenossenschaft zu ganz und gar nicht politisch korrekten Ausfällen gegen die Methoden der "amerikanischen Ostküste" veranlaßt. Allem Zähneknirschen zum Trotz haben die Schweizer Banker ein Angebot gemacht, um das jetzt gefeilscht werden kann. Die unausgesprochene Drohung einer finanzpolitischen Konfrontation im globalen Maßstab schien schlimmeren Schaden in sich zu bergen als das Einlenken gegenüber dieser Attacke auf die Souveränität des Finanzplatzes Schweiz.

Die Vermutung liegt nahe, daß diese unausgesprochene Drohung auch deutsche Wirtschaftsriesen veranlaßt hat, ähnlich aggressiv vorgetragenen   Wiedergutmachungs-Forderungen nachzugeben. So der VW-Konzern in der Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern und die Allianz in Sachen Versicherungspolicen von NS-Opfern. Nur nicht vom globalen Business ausgesperrt werden! Verglichen mit dem, "was dann auf uns zukommt", erscheint zum Beispiel die Einzahlung von wieder 200 Millionen Mark in wieder einen neuen Fonds für bisher noch nicht entschädigte Opfer oder der Bau eines monströsen Memorials in Berlin als läßlicher Preis. Allerdings hört man von deutscher Seite kein lautes Wort des Grolls über die miesen Praktiken des "Shoa-Business". Statt dessen zeichnet den deutschen Politiker eine unverhohlene Lust am Erpreßtwerden als Spielart des Nationalmasochismus aus. Wie schön ist es doch, wenn eine "höhere Instanz" einem die Entscheidungen abnimmt.

Das Besondere an der potentiellen Erpreßbarkeit aller deutschen Politik ist freilich ihre dialektische Umkehrbarkeit. Im deutschen Diskurs ist der Hinweis auf mögliche negative "Reaktionen der Weltöffentlichkeit" ein Argument von solcher Wirksamkeit, daß es längst Usus geworden ist, es auch da einzusetzen, wo gar kein Druck von außen ausgeübt wird. Die krasseste Form dieser Praxis ist die Lüge: Man behauptet, man sei vom Ausland (z.B. der Sowjetunion) zu etwas erpreßt worden (z.B. der Nicht-Rückgabe der 1945–1949 enteigneten Güter in Mitteldeutschland), was in Wahrheit den eigenen materiellen Interessen dient.

Die subtilste Form funktioniert so: Auf einen Vorschlag folgt der Einwand, dies könne man nicht tun, da sonst das Ausland sagen würde, daß… Die Debatte wird breitgetreten, die ausländischen Medien berichten darüber, und schon hat man eine "Reaktion der Weltöffentlichkeit", die man zitieren kann. Die regelmäßig zu Wahlzeiten ausgestreute Warnung, die Wahl einer Rechtsfraktion in ein Landesparlament hätte negative Auswirkungen auf die Geschäftsbeziehungen des betreffenden Bundeslandes zu ausländischen Firmen, ist ein Paradebeispiel für solch herbeigeschriebene Gespenster-"Reaktionen", die sich, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, einfach in Luft auflösen.

Ein Land, dessen politische Grundsatzentscheidungen sich von fiktiven oder tatsächlichen Wünschen eines mythisch überhöhten "Auslands" ableiten, ist das Gegenteil von dem, was es sein möchte: berechenbar. Von daher das latente ausländische Unbehagen gegenüber den Deutschen. Was ist von einem Land zu halten, in dem das politische Erpreßtwerden nicht nur von der politischen Klasse, sondern von jedermann als Regel hingenommen wird?


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