© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Finanzpolitik: Risiken der Europäischen Währungsunion
Wenn der Euro scheitert
von Bruno Bandulet

Jeder, der dagegen anspekuliert, wird sich eine blutige Nase holen. Jeder Spekulant wird nur eines einfahren: riesige Verluste", drohte Finanzminister Theo Waigel am 1. Mai in Brüssel. Mit solchen Äußerungen zeigt Waigel, daß er von Währungspolitik nichts versteht. Denn es ist in Wahrheit völlig risikolos, auf einen Zusammenbruch der Währungsunion zu spekulieren. So wie der Euro konstruiert ist, bietet er eine "dreijährige kostenlose Option" mit riesigen Gewinnmöglichkeiten, so der Oxford-Professor Walter Eltis. Diese Option ist eine Einbahnstraße, so Eltis.

In der öffentlichen Diskussion freilich ist das Thema eines Euro-Scheiterns tabu. Der Euro soll für alle Ewigkeit gelten und "unumkehrbar" sein. Deshalb haben die Erfinder auf jede Planung für den Notfall verzichtet. Dabei kennt die Geschichte kein einzige Währungsunion, die ohne politische Union auf Dauer funktioniert hätte.

Banken halten eine Euro-Katastrophe für möglich

Fest steht, daß sich die führenden europäischen Banken sehr wohl intern mit der Möglichkeit einer Euro-Katastrophe befassen: Im April kam Euromoney mit einer außerordentlich gut informierten Titelstory heraus: "Sinking the unsinkable". Laut dem führenden europäischen Bankenmagazin sind unter anderem folgende Szenarien denkbar:

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Ein Computerabsturz zum Jahreswechsel 1999/2000, der das internationale Finanzsystem lahmlegen und mit der Euro-Startphase zusammenfallen würde. Wie ernst die Gefahr des "Jahrtausend-Bazillus" zu nehmen ist, geht schon daraus hervor, daß die US-Großbank Citicorp 600 Millionen Dollar für die Lösung der Computerprobleme ausgeben will. Die eigentliche Gefahr liegt darin, daß der Euro zur Jahrtausendwende noch unerprobt ist, daß die Banken wegen eines Computerabsturzes in Liquiditätsschwierigkeiten geraten könnten und daß dann innerhalb der EU ungeklärt ist, wer die Banken mit dem dringend benötigten Geld versorgt – die noch bestehenden nationalen Notenbanken oder die Europäische Zentralbank.

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Der freiwillige Austritt eines Landes aus dem Euro-Block. Dies ist im Maastrichter Vertrag zwar nicht vorgesehen, aber ein unvorhersehbarer wirtschaftlicher Einbruch in einem Teilnehmerstaat kann durchaus diese Folge haben. Wer erst einmal zu der Auffassung gekommen ist, daß der Euro ein schwerer Fehler war, wird aus dieser Erkenntnis seine Konsequenzen ziehen wollen.

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Der zwangsweise Ausschluß eines Euro-Landes. Auch dies läßt der Vertrag von Maastricht nicht zu. Es kann aber das letzte Mittel gegen einen Teilnehmer sein, denn wenn es ernst wird, kann der "Stabilitätspakt" nicht greifen. Das läßt sich an einem einfachen Rechenexempel nachweisen: Hätte der Stabilitätspakt schon 1996 gegolten, dann hätte Italien 9,1 Milliarden, Deutschland 8,5 Milliarden und Frankreich 7,2 Milliarden Mark Strafe zahlen müssen. Allein die Annahme, daß die betroffenen Länder dazu bereit gewesen wären, ist absurd.

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Die gemeinsame einvernehmliche Auflösung der Europäischen Währungsunion. Das ist das letzte vorstellbare Szenario. Euromoney meint zu Recht, daß ein solcher Ausgang mindestens ein Jahrzehnt lang unwahrscheinlich sei, weil zuviel Geld und Energie investiert wurde. Es sei aber technisch machbar, die Währungsunion innerhalb eines Zeitraums von mehreren Jahren graduell und planmäßig aufzulösen und dabei eine Panik zu vermeiden. Soweit diese unvollständige Aufzählung.

Um zu verstehen, warum der Euro scheitern kann, müssen wir seine Geburtsfehler diagnostizieren:

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Nach den Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft ist die EU kein "optimales Währungsgebiet", weil Produktivität, Wirtschaftskraft, Sozialstandards und Einkommen der Länder zu stark voneinander abweichen.

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Weil dieses Problem seit langem bekannt ist, wurden die "Konvergenzkriterien" in den Maastrichter Vertrag eingebaut. Sie sollten garantieren, daß an der Währungsunion nur Staaten teilnehmen dürfen, die sich finanziell und wirtschaftlich "angenähert" haben. 1997 konnte diese Konvergenz nicht erreicht werden.

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Hinzu kommen zahlreiche Unsicherheiten und Ungereimtheiten während der Übergangsperiode in den Jahren 1999, 2000 und 2001. Fest steht, daß die nationalen Währungen in dieser Zeit alleinige gesetzliche Zahlungsmittel bleiben. Das bedeutet: niemand kann zur Annahme von Euros gezwungen werden, einer Währung, die bis Ende 2001 ohnehin nur als Buchgeld, das heißt elektronisch, zur Verfügung steht. Nach wie vor unklar ist, ob der Euro die nationale Währung des jeweiligen Landes sein wird, oder aber die EU-Währung.

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Damit bleibt offen, ob zum Beispiel die Schulden Frankreichs in Zukunft ausländische oder inländische Schulden sein werden. Dies wäre von Bedeutung, sollte sich Frankreich eines Tages entschließen, zum Franc zurückzukehren.

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Die Währungsexperten wissen, daß es in der Praxis nahezu unmöglich ist, eine Währungsunion zu den richtigen Wechselkursen zu beginnen. Das wäre nicht schlimm, wenn sie nachher korrigiert werden könnten. Das aber schließt der Maastrichter Vertrag aus.

Auch diese Liste mit den Euro-Geburtsfehlern ist unvollständig, aber sie zeigt, wie viele Angriffspunkte die Kunstwährung bietet. Nur ist es genaugenommen nicht die internationale Spekulation, die dem Euro gefährlich werden kann, sondern die wirtschaftliche und finanzielle Realität in Europa. Die Spekulation ist der Auslöser, aber nie die Ursache für eine Währungskrise.

Wie könnte der Absturz des Euro konkret ablaufen? Nehmen wir zunächst eine leicht verständliche Variante: das Verhalten italienischer Hoteliers und Restaurantbesitzer, die zum Beispiel im Sommer 1999 mit der üblichen Flut deutscher Urlauber konfrontiert sind. Falls die Hoteliers den geringsten Zweifel daran haben, daß Italien und die Lira für immer in der Währungsunion bleiben, werden sie ihre Rechnungen in D-Mark ausstellen. Dem Urlauber wird es egal sein, und der Hotelier geht keinerlei Risiko ein: bleibt die Lira in der EWU, können die vereinnahmten D-Mark jederzeit zu dem bekannten Kurs in Lire umgetauscht werden. Fällt die Lira aber aus dem System, dann wird die D-Mark schätzungsweise 10 bis 30 Prozent mehr wert. Der Hotelier hat sich auf einfachste Weise gegen das Euro-Risiko abgesichert. Je mehr Menschen in Italien oder anderwo auf die D-Mark setzen, desto schneller steigt die D-Mark-Geldmenge. Daran muß der Euro nicht unbedingt zerbrechen, weil es ab 1999 keine deutsche Geldpolitik mehr, sondern nur noch eine europäische gibt und weil durch den Umtausch in Mark die europäische Geldmenge nicht expandieren würde.

Falls also die Bundesbank nach 1999 dazu bereit ist, beliebige Mengen an Lire oder Peseten hereinzunehmen und beliebige Mengen an Mark auszugeben, passiert theoretisch gar nichts. Die D-Mark-Schwemme muß nicht einmal inflationär wirken. Sicher ist nur, daß die gewaltigen Geldschöpfungsgewinne, die durch derartige Umtauschaktionen bei der Bundesbank entstehen würden, nicht dieser zufließen, sondern unter den Euro-Notenbanken aufgeteilt würden.

Was für den italienischen Hotelier gilt, trifft erst recht auf die professionellen Investoren und Spekulanten in London oder New York zu. Sobald sie erste Risse in der Euro-Fassade wahrnehmen, werden sie die romanischen Währungen verkaufen und D-Mark hereinnehmen.

Entscheidend ist: Nach der Einführung des Euro Anfang 1999 ist das Risiko solcher Operationen gleich Null, weil Lira oder Peseta kaum aufgewertet werden. Der Profit kann aber riesig sein.

Man braucht nur die Währungsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte zu studieren, dann begreift man, daß gerade feste Wechselkurse ein ideales Angriffsziel bieten. So war es in den 60er Jahren, als der Goldpreis fixiert war. So war es Ende der 60er und Anfang der 70er, als der Dollar immer wieder abgewertet werden mußte. Es gibt freilich einen wesentlichen Unterschied zu damals: In den zurückliegenden Währungskrisen war es kostspielig, gegen eine Währung zu spekulieren, weil die Zinsunterschiede sehr groß waren. Diesmal kosten Devisenmarktoperationen wenig oder kein Geld, weil die Vereinheitlichung der Zinsen in Europa eine Voraussetzung für die Währungsunion ist. All das kommt der Spekulation entgegen: sie kann sich Lire praktisch zu D-Mark-Zinsen ausleihen, diese Lire verkaufen und darauf warten, daß sie billiger und mit Gewinn wieder eingedeckt werden können. Am Ende gäbe es wahrscheinlich nur ein Mittel, um das Vertrauen wiederherzustellen: den Besitzern müßte der feste Wechselkurs garantiert werden. Eine solche Garantie könnte glaubhaft nicht einmal die Europäische Zentralbank geben. Ob es sich die Bundesregierung leisten könnte, für den italienischen Wechselkurs und damit auch für die italienischen Schulden gerade zu stehen, muß bezweifelt werden.

Nehmen wir einmal an, daß sich die Risikoprämie auf italienische oder spanische oder belgische Schulden ausweitet, daß diese Währungen verkauft werden und daß sich die betroffenen Länder entschließen, die Währungsunion wieder zu verlassen. Würde dann zum Beispiel Italien zum alten Leitkurs der Lira zurückkehren? Wahrscheinlich nicht. Es wird die Situation dazu nutzen wollen, im Zuge einer Währungsreform die Schuldenlast zu verringern und seine Gläubiger teilzuenteignen. Nicht nur der Staat, auch die Wirtschaft kann sich so Erleichterung verschaffen. Die neue Lira wäre weniger wert als die alte unter dem Euro-System. Den Finanzprofis sind diese Risiken natürlich bekannt. Sie werden künftig solche italienischen Euro-Bonds bevorzugen, deren Gerichtsstand außerhalb der Euro-Zone angesiedelt ist.

Feste Wechselkurse sind ein ideales Angriffsziel

Die niederländische Rabobank hat einen Euro-Crash auf dem Papier durchgespielt und ist dabei zu erschreckenden Ergebnissen gekommen. Die Annahme lautete: Bruch der Währungsunion zwischen Deutschland und Holland. In diesem Fall würden, so das Szenario, holländische Anleihen auf den Markt geworfen, die holländischen Banken würden ihre Einlagen an deutsche Banken verlieren, holländische Unternehmen stünden vor dem Bankrott, der zu Hilfe gerufene Internationale Währungsfonds würde einen Währungsrat einrichen, der den Gulden an die Mark bindet. Am Ende des gescheiterten Euro-Experimentes stünde dann die fast uneingeschränkte D-Mark-Hegemonie über Europa – ein Ausgang des Dramas, den ironischerweise diejenigen zu verantworten hätten, die Deutschland mit der Abschaffung der D-Mark schwächen wollten.

Anders ausgedrückt: Nach 1999 besteht die Kunst darin, notfalls einen geordneten Rückzug anzutreten. Solange die nationalen Währungen noch gesetzliche Zahlungsmittel sind, dürfte das Problem beherrschbar sein. Die Regierungen könnten – wenn nötig – beschließen, die Übergangszeit über das Jahr 2002 hinaus zu verlängern, den Euro als freiwillige Parallelwährung beizubehalten und den nationalen Notenbanken die Verantwortung für die Geldpolitik zurückzugeben. Sind die alten Banknoten in den Euro-Ländern aber eingezogen und physisch vernichtet, dann würde ein Neuanfang eine länge Vorbereitungszeit benötigen. Nicht 1999, sondern 2002 wird das entscheidende Jahr. Dann soll der Niederländer Duisenberg als EZB-Präsident vorzeitig zurücktreten und dem Franzosen Trichet Platz machen. Erst dann würde die D-Mark verschwinden und durch etwas ersetzt werden, das dem französichen Franc verdächtig ähnlich sieht.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Finanzdienstes Gold & Money Intelligence und veranstaltet seit 1980 Finanzseminare. Neueste Buchveröffentlichung: Euro – Was wird aus unserem Geld? Wie Sie als Anleger auf Nummer Sicher gehen, Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig, München, 2. Aufl. 1998


 
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