© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/98 07. August 1998

 
Mann und Werbung: Welcher Typ "in" ist und was er für Frauen bedeutet
Warmduscher zum Kaufen
von Ellen Kositza

In Dänemark wurde kürzlich eine Frau mit einer Geldstrafe belangt, weil sie einem Polizisten im Dienst dessen Hinterteil getätschelt hatte. Die "gutaussehende Blondine" (so die Agenturmeldung) argumentierte vor Gericht, sie werde von attraktiven männlichen Pos ungemein erregt, sie habe nicht widerstehen können. Mit einer anderen Nachricht füllte vor einigen Tagen die Bild-Zeitung ihre Titelschlagzeile; großflächig dort positioniert, wo gewöhnlich von Erdbebenopfern oder Viagra die Rede ist, wurde "Sänger Karim (23)" vorgestellt: "Deutsche Frauen schicken ihm BHs und Slips". – "Er hat so was Schnuckeliges", schwärmt die prominente Frauenwelt von dem Marokkaner mit dem Pagenkopf, dem Mädchengesicht und der "samtweichen Haut".

Der Mann als Sexobjekt? Die Frau plötzlich durchdrungen von ungezügelter Wollust? Welcher Männertyp ist "in" – und was sagt er aus über die Frauenwelt? Auf die Spuren des (teil-)entblößten Mannes in der Reklame begibt sich Dietmar Kreutzer in seinem Bildband "Kauf mich. Männer in der Werbung" (Verlag für Bauwesen, Berlin 1998. 39,80 DM). Neben manchem trivialem Geplänkel, das einer Bravo für Schwule entstammen könnte ("Marcus", wird da gefragt, "wieviele Stunden brauchst Du täglich, um Deinen prachtvollen Oberkörper in Form zu halten?"), fördert Kreutzer eine Menge Interessantes an Kunsttheorie, Soziologie und Psychologie zutage. Sein Hauptaugenmerk gilt neben den Bildern den Details aus der Model-Szene und der Motivation der Werbeindustrie. Betrachtet man das zu Werbezwecken veröffentlichte Männerbild im Laufe der Jahrzehnte, so wird schnell deutlich, daß die überstrapazierte Dichotomie Macho – Softie längst nicht mehr greift, traditionelle Ideale des Maskulinen gehen mit einer Tendenz zum Androgynen, gar mit eher weiblichen Attributen einher und vereinen sich oft in einer Person. Ein treffendes Beispiel dafür stellt jene Werbung dar, in der bei einem nackten Mann, der versonnen mit einem Säugling schmust, Riesenbizeps mit Stupsnase und tendenziellen Pausbäckchen (des Mannes!) korrelieren. Nicht nur Pampers, auch Adidas arbeiten mit diesem Bild des gebändigten Kuschelbärs. Dementsprechend ist auch das Frauenbild in der Werbung einem Wandel unterworfen, man denke an die auffällige Reklame der ansonsten eher unbekannten Zigarettenmarke Clubmaster Fellow: Zwei weibliche Diskoschönheiten werden in einem Handgemenge dargestellt, im Vordergrund die manikürte Samthand eines rauchenden Mannes – "Früher haben sich die Jungs um die Mädels gekloppt. Früher." Eine Revolution der Geschlechterrollen?

Otto Weiningers Kernthese in seinem Werk "Geschlecht und Charakter" von 1902 war, daß es unzählige Abstufungen gebe zwischen Mann und Frau, "sexuelle Zwischenformen", letztlich seien "Mann" und "Weib" fehlerhafte Etiketten, da allein zwischen "Männlichem und "Weiblichem" zu unterscheiden sei. Ein Individuum sei anhand der Bruchteile zu bestimmen, die es von beidem habe. "Schöne Männer" (als solche sind die Levi’s-, West- oder Armanimodels zu beschreiben), seien zumeist "halbe Weiber". Treten solche "Zwittergeburten" gehäuft in Erscheinung, was Weininger für das 20. Jahrhundert annimmt, so würden diese "verweiblichten" Männer zwangsläufig als Pendant die Vermännlichung der Frauen nach sich ziehen.

Nach Frauenfeind Weininger ist die nicht nur zu Werbezwecken populäre Androgynität keine bloß randständige Zeitgeisterscheinung. "Der vornübergebeugt getragene Kopf, die Bartlosigkeit und die Parfümierung sind nicht ‘bloß Mode’; wie überhaupt gar viele ‘Mode’ viel tiefere organische Gründe hat, als der oberflächlich kritisierende Zuschauer ahnt." Schmalbrüstig und blaß sind sie nicht, die öffentlichen Männer, propagiertes Ideal und Wirklichkeit klaffen natürlich auseinander: Den jungen Durchschnittseuropäer des Alltags, will heißen, den Zivi mit Hängeschultern in Klamotten nach MTV-Diktum repräsentieren die gängigen Modeltypen nicht. Und doch reflektieren die schönen Knaben mit den muskelbepackten Bäuchen, den feingliedrigen Fingern und den obligatorischen Schmollippen den Geist der Zeit, in der sie wirken: Die Muskeln von der Maschine, Sex ohne Eros, Nacktheit ohne Sinnlichkeit.

Insgesamt wird einem größtenteils recht sterilen, einem sehr plakativen Ideal gefrönt, anstatt durch eine spannungsgeladene Distanz auf subtilere Art eine erotische Atmosphäre hervorzurufen.

Bekannt ist die Davidoff-Parfümwerbung: Nackte Muskelberge unter zarter Haut ergießen sich über ein Satin-Laken, unter dem gefönten Haupthaar ein feingezeichnetes Gesicht ohne Kanten. Hier stellt sich ein weiterer Idealtypus des Mannes in der Werbung dar: Der glattrasierte, parfümierte und gecremte Mann der Neunziger schlüpft in schicke Designer-Shorts, stylt sein üppiges Haar mit diversen Produkten einer "for men"- Pflegeserie. Derart zum "Pflegefall" geworden, tönt kein offensives "Ich will Dich – kauf mich" vom Plakat herab, vielmehr: "Du darfst gern einmal über mein Gesicht streicheln, doch eigentlich liebe ich mich selbst genug."

Eine dritte Gruppe der Männer als Werbe- und Sexobjekt stellen die "harten Kerle" dar, gewissermaßen das maskuline Gegenstück zum weiblichen blonden Dummchen. Der coole HB-Mann mit lebender Schlange auf den Schultern ("Offen für Verführungen") fällt ebenso darunter wie der aufdringliche (weil überpräsente) schwarze Amica-Teufel oder der hinreißende Marky Mark in Calvin- Klein-Unterwäsche. Bisweilen entsteht der Eindruck, daß Schwule in der zu bewerbenden Zielgruppe in den Vordergrund gestellt werden. Der Gedanke, daß Frauen angesichts eines wild in die Kamera blickenden düsteren Burschen im Badeanzug, der sich lüstern zwischen die Beine greift, in erregte Verzückung geraten, erscheint eher abwegig.

Kreutzer gibt Befragungen wieder, wonach sich nur eine Minderheit der Frauen vom umgekehrten Sexismus solcher Bilder – gemeint war die Werbung mit nackten Männern – gestört fühlte, deutlich überwogen Reaktionen wie "Wir wollen mehr sehen." Dabei dürften die Mechanismen, die die Frauenwelt sich derart "männlich" (nach Weininger) gerieren lassen, recht einfach zu beschreiben sein: Entdeckt wird die Frau primär und zunehmend als Konsumentin. Im öffentlichen weiblichen Bewußtsein verankert sind zudem die Thesen der Emanzipation und sämtliche dazugehörigen Implikationen wie etwa die sexuelle und nicht notwendig monogame Selbstbestimmung der Frau. Die Werbung reagiert somit auf ein mehr in den Raum gesetztes, allenfalls gedankliches Konstrukt, das der Frauenwelt wie ein Floh ins Ohr gesetzt, doch kaum gelebt wird. Die aktiv erobernde Frau existiert im Grunde nur virtuell, nur scheinbar – oder eben, im beschriebenen Einzelfall, in Dänemark.


 
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