© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Landwirtschaft: Viele bäuerliche Betriebe können nicht mehr existieren
Dramatisches Höfesterben
von Georg Bensch

Es steht schlecht um den deutschen Bauern. Immer mehr Beschäftigte in der deutschen Landwirtschaft verlieren ihren Arbeitsplatz. Fast jeder zweite Hof wird in Deutschland bis zum Jahr 2000 aufgegeben. Absatzschwierigkeiten, Geld- und Nachwuchsmangel sind die Hauptgründe für das dramatische Höfesterben. Allein die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als einem Hektar Fläche ist zwischen 1996 und 1997 um knapp 15.000 auf rund 525.000 zurückgegangen. Viele bäuerliche Betriebe können nur noch existieren, weil sie ihre Höfe dem Tourismus öffnen.

Es ist unübersehbar: Die deutsche Landwirtschaft hat durch die Schaffung der EU-Agrarmarktverordnungen in den vergangenen Jahren unvertretbar hohe Vorleistungen für den EU-Binnenmarkt erbringen müssen. Für viele Betriebe war das nicht zu verkraften, und sie blieben unter dieser enormen Belastung auf der Strecke. Allein für das Jahr 1997 registrierte das Statistische Bundesamt im Agrarbereich 482 Konkurse und Vergleichsverfahren, 18,4 Prozent mehr als 1996 (407). In allen Wirtschaftsbereichen wurden insgesamt 33.398 Insolvenzen ermittelt. Es entfielen damit im vergangenen Jahr rund 1,4 Prozent aller Konkurse und Vergleichsverfahren auf den Agrarsektor. Eine Tatsache, die mehr als bedenklich stimmt.

Irreführend ist, wenn die Bundesregierung in ihrem letzten Agrarbericht auflistet, daß die Gewinne der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland im Wirtschaftsjahr 1996/97 um 3,4 Prozent auf 55.815 Mark pro Unternehmen gestiegen seien. Tatsache ist, daß die deutschen Bauern zunehmend deutliche Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben und viele bäuerliche Betriebe nur noch bestehen können, weil sie vom Staat unternehmensbezogene Ausgleichszahlungen erhalten, die im Durchschnitt rund 29.000 Mark betragen. Der regierungsamtliche Agrarbericht verschweigt, daß immer mehr landwirtschaftliche Betriebe ums nackte Überleben kämpfen und das Einkommen der deutschen Landwirte im Durchschnitt um rund ein Drittel unter dem außerlandwirtschaftlichen Vergleichslohn liegt. Kein Wunder, wenn angesichts dieser Fakten die meisten Kinder der deutschen Bauern einen anderen Beruf erlernen und unter solchen Umständen nicht bereit sind, den elterlichen Hof zu übernehmen. Das Bauern-Sterben ist also für die kommenden Jahre in Deutschland vorprogrammiert.

Beleuchtet man die Krisenlage, in der sich viele deutsche Bauern befinden, darf nicht unerwähnt bleiben: Der Landwirt in Deutschland unterliegt auch Zwängen, die nicht unmittelbar von der Brüsseler EU-Zentrale vorgezeichnet sind. Es sind skrupellose Konzerne, die zunehmend Einfluß auf die Agrarwirtschaft nehmen und über landwirtschaftlichen Anbau, Absatz und Preise bestimmen. So beherrschen beispielsweise sechs weltweit zusammenarbeitende Kartelle mit zahlreichen Tochterfirmen fast den gesamten Getreidehandel. Fünf dieser Firmen kontrollieren bereits große Anbauflächen der deutschen Landwirtschaft. Den Firmen gehören Handelsplätze, Flotten, Waggons und Trockenanlagen. Es sind Konzerne, die die Marktpreise bestimmen, Molkereien, Schlachthöfe und Saatzuchtanstalten schlucken und nicht wenige Landwirte in den Ruin treiben. Fachleute sind sich in der Feststellung einig: Es gibt im Agrarbereich kaum einen Markt, der nicht von diesen Kartellen beherrscht wird. Ihre Mitarbeiter sitzen selbst in den Gremien der Europäischen Gemeinschaft, wo sie ausschließlich die Interessen ihrer Konzerne vertreten.

Auch das ist eine Tatsache: Vorbei sind die Zeiten, wo der fleißige deutsche Bauer ein ganzes Volk mit den Früchten aus eigener Scholle versorgte. Der deutsche Bauer von heute wirtschaftet ohne Perspektive, weil zumeist andere Länder Anbau und Preise bestimmen. So zerfallen angestammte bäuerliche Strukturen in Folge einer wettbewerbsverzerrenden EU-Agrarpolitik.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen