© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Bismarck und die Konservativen: Blick auf ein schwieriges Verhältnis
Die Allmacht des Staates
von Hans B. von Sothen

Von der Universität Göttingen sei er als überzeugter Liberaler und Republikaner abgegangen, scherzte Bismarck viele Jahre danach. Eine Einstellung, die sich, wenn dem wirklich je so gewesen sein sollte, schon bald änderte. Während der Revolution von 1848 versuchte er gar, Bauern aus seinem Dorf Schönhausen gegen die Revolutionäre nach Berlin zu schicken. Man gab ihm schonend zu verstehen, es sei sinnvoller, Getreide zu schicken. Bereits damals galt er als Exponent der Ultrakonservativen Kamarilla um die Brüder Leopold und Ludwig von Gerlach, die sich um König Friedrich Wilhelm IV., dem "Romantiker auf dem Thron", geschart hatten. In den Kreis der konservativen Pietisten war Bismarck durch die Heirat mit seiner Frau Johanna von Puttkamer gekommen. Als im Juli 1848 als Reaktion der Konservativen auf die Revolution die Neue Preußische Zeitung, bekannter unter dem Namen Kreuzzeitung, war auch Bismarck mit dabei. Diese Zeitung sollte bis zum Ende des Kaiserreiches die wichtigste publizistische Stimme des Konservatismus in Preußen und später in Deutschland bleiben.

Die "Heilige Allianz" zwischen Rußland, Österreich und Preußen, im Kampf gegen Napoleon geschmiedet, war eine Grundlage altkonservativen Denkens, wie es insbesondere durch Ludwig von Gerlachs Kreuzzeitung vertreten wurde. Die Allianz stand für die Idee der Legitimität, gegen den als usurpatorisch empfundenen Bonapartismus, der die Idee der Revolution verkörperte, und für die Unterstützung eines noch aus der Zeit des heiligen Römischen Reiches stammenden Führungsanspruch Österreichs. Hier traf die altkonservative Kamarilla genau die romantische Ideenwelt Friedrich Wilhelms IV. In dieser Frage war Bismarck freilich schon früh anderer Ansicht.

Die Situation änderte sich grundlegend, als die Heilige Allianz 1856 ihr Ende fand. Österreich, so empfand man es in Petersburg, hatte die Russen während des Krimkrieges im Stich gelassen. In Rußland, so beobachtete es Bismarck, der 1859 bis 1862 preußischer Gesandter in Petersburg war, "nahm kein räudiger Hund mehr ein Stück Brot" von den Österreichern. Dies stürzte auch das Weltbild der preußischen Altkonservativen in eine schwere Krise. Die west-orientierten gemäßigten Konservativen, nach ihrer Zeitung Wochenblatt-Partei genannt, setzten nun zum Gegenschlag gegen die Gerlach-Kamarilla an.

Doch auch Bismarck hatte schon 1850 in einer Rede vor der Zweiten Kammer deutlich gemacht, wie weit er sich bereits von der Ideenwelt seiner altkonservativen Mentoren entfernt hatte: "Die einzig gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinem eigenen Interesse angehört." Ein klares Bekenntnis zu dem, was später als Bismarcksche Realpolitik bezeichnet werden sollte.

Bismarcks Stunde schlug, als 1862 nach den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus die linksliberale Fortschrittspartei bedeutende Gewinne erzielte und die Konservativen bis auf einige wenige Mandatsträger aus dem Parlament gefegt wurden. König Wilhelm I., erst seit 1861 auf dem Thron, spielte mit dem Gedanken des Rücktritts. Bismarck, preußischer Gesandter in Paris, überzeugte ihn, zu bleiben und wurde preußischer Ministerpräsident. Als ultrakonservativer "Konfliktminister" und Gegner der Parlamentsrechte blieb er den Liberalen lange Zeit verhaßt. Das änderte sich erst 1864 mit den Kriegen gegen Dänemark, die in ganz Deutschland auch von den Liberalen als nationale Sache empfunden wurden, und dem Krieg gegen Österreich 1866, der insbesondere bei den Konservativen unpopulär war. Als Bismarck unmittelbar nach dem Sieg über die Österreicher in Königgrätz den Begriff der "Revolution von oben" prägte, was sich nicht zuletzt auf die Vertreibung der legitimen Monarchen aus Hannover und Kurhessen bezog, war der Bruch mit den preußischen Altkonservativen unvermeidlich. Man könne sich nicht, so die Konservativen, für das natürliche Recht der Monarchie in Preußen einsetzen und gleichzeitig woanders Monarchen vom Thron stürzen. Eine solche Handlungsweise werde sich früher oder später auch gegen den eigenen Thron richten.

Nachdem bei den Wahlen 1866 die Konservativen einen überwältigenden Wahlsieg errungen hatten, spalteten sie sich aufgrund Bismarcks Politik in einen altkonservativen Flügel (nach 1871 Deutschkonservative Partei) und in die bismarcktreue Freikonservative Partei. Bismarcks alter Jugendfreund, Moritz von Blanckenburg, der bereits bei seiner Eheschließung vermittelt hatte, wurde 1866 Führer der Freikonservativen, die auch nach 1871 als Deutsche Reichspartei dem bismarckisch gesonnenen Teil der Konservativen vertrat und die in der Regel – wie Bismarck selbst – im Gegensatz zur hochkonservativen Kreuzzeitung standen. Zusammen mit den Nationalliberalen, mit denen Bismarck nun seine alten Konflikte beilegen konnte und gegen die Konservative Partei sollte Bismarck die nächsten zwölf Jahre Politik machen.

Die Reichsgründung forderte einen neuen Bismarck. Sie machte eine Neuorganisation des neuen Staates notwendig, eine neue Qualität der Modernisierung. Bismarcks Einsatz für einen starken Staat machte aus seiner Sicht die Zurückdrängung vor allem der Kirchen notwendig, soweit sie öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnahmen, so etwa in Verwaltung, Schulaufsicht (Gerlach sprach von "heidnischen Schulen, in denen Staatsomnipotenz gelehrt wird") oder in Fragen der Eheschließung. Dies führte ihn weit fort nicht nur von den katholischen Konservativen, die sich bereits seit den 30er Jahren von den Konservativen Preußens tennten, sondern auch von den lutherischen Altkonservativen um Ludwig von Gerlach, der offen von einem "Rückfall in das krasseste Heidentum und dessen Tyrannei" sprach. Bismarck wiederum warf seinen einstigen konservativen Parteifreun-
den "landesfeindliche Desertion in der katholischen Frage", ja "Fahnenflucht vor Thron und Evangelium" vor. Die Bande zwischen Bismarck und den Konservativen waren damit auf Jahre zerschnitten.

Als schließlich die Kreuzzeitung 1875 die liberale Wirtschafts- und Finanzpolitik Bismarcks scharf angriff, forderte Bismarck offen zum Boykott der Zeitung auf. Die Konservativen, darunter viele Freunde und Verwandte Bismarcks, waren entsetzt und wiesen das Vorgehen des Reichskanzlers öffentlich scharf zurück. Trotzdem gelang es Bismarck ein Jahr später, einen Wechsel in der Redaktionsleitung durchzusetzen.

Erst mit dem Ende des Kirchenkampfes und dem Beginn des Feldzuges gegen die Sozialdemokratie 1878 begann Bismarcks "konservative Wende", die Abkehr von der nationalliberalen Freihandelspolitik und die Hinwendung zum Protektionismus, die ihm die sicherste Möglichkeit für eine Überwindung der seit 1873 anhaltenden Wirtschaftskrise zu bieten schien.

Das zwiespältige Verhältnis der Konservativen zu Bismarck blieb jedoch immer. Martin von Nathusius hält angesichts des Rücktritts Bismarcks 1890 auf dessen Amtszeit in der Konservativen Monatsschrift Rückschau: "Überblickt man die politische Laufbahn des Fürsten, so reichen sich für uns Konservative der vollste Beifall und die tiefste Trauer in ununterbrochener Kette die Hand." Einer der ihren war Bismarck damals nicht. "Bismarckisch" wurden die Konservativen erst nach dem Tode Bismarcks.

… Wie glücklich war es, daß später Bismarck selbst den Schutz der nationalen Arbeit in die Hand nahm! Wie dankenswert, daß er selbst, wenn auch hier und da schon mit alternder Hand, den Kampf gegen den Kapitalismus aufnahm, der nur durch ihn soweit niedergedrückt ist, daß er jetzt überhaupt durch Deutschland besiegbar scheint, nachdem er in Frankreich, England und anderen Kultur- und Industriestaaten sich bis zur Unbesiegbarkeit gestärkt und entwickelt hatte. Hier liegt ein ungeheures weltgeschichtliches Verdienst … Und gegenteils, wie traurig klafft das Defizit, wenn man die kirchliche und kirchenpolitische Tätigkeit der letzten 20 Jahre überdenkt. Im Kulturkampf ein unbesonnener Angriff auf Rom im Bunde mit denen, die ‘am liebsten gar keine Kirche’ wollen."

Eduard von Ungern-Sternberg sprach in seinem Nachruf auf Bismarck 1898 im Nachruf in der Konservativen Monatsschrift wohl für viele Konservative alten Schlages: "…Der Größte unter unseren geschiedenen Großen ist auch der Letzte. Mag es immerhin noch Männer geben, die nach ihrer Naturanlage vielleicht berufen wären, als Politiker Ansehnliches zu leisten: die steigende Hochflut der Demokratie, die nur Mittelmäßiges erträgt, läßt sie nicht mehr zur Geltung kommen. Das ist überall so und auch bei uns nicht anders. Vor seinem Kammerdiener kann man noch bestehen; vor dem allgemeinen Stimmrecht besteht man nicht mehr. Bismarcks Ruhm ist inmitten dieses tosenden Meeres zeitgenössischer Mißgunst unerschüttert geblieben; seinesgleichen aber werden wir nimmer sehen. Wir sagen das gerührt und stolz: denn er war unser; deutsch mit allen Vorzügen und manchen Schwächen unseres Wesens."


 
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