© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/98 24. Juli / 31. Juli 1998

 
Pankraz, die Kulturminister und die Allianz von Ottawa

Völlig ignoriert von den deutschen Medien, ging vor einigen Tagen in Ottawa eine Konferenz europäischer und amerikanischer Kulturminister zu Ende, auf der eine "Allianz für kulturelle Vielfalt" beschlossen wurde. Die sogenannte Globalisierung, hieß es, dürfe nicht "auf die Kultur durchschlagen", dergestalt, daß überall auf der Welt nur noch eine einzige kulturelle Einheitssoße angeboten und konsumiert werde, bestehend aus Seifenopern à la Hollywood, gewalttätigen Computerspielen und einer internationalen Pidgin-Sprache, die jeder verbalen Verfeinerung Hohn spreche. Die Minister sollten bei sich zu Hause alles tun, um diesen Horror einzudämmen und das autochthone Kulturerbe zu bewahren.

"Gut gebrüllt, Löwe", kann Pankraz da nur sagen, aber er fragt sich sogleich auch bänglich, ob simple staatliche Regelungen auf dem sensiblen Feld der Kultur unter den gegebenen Umständen etwas ausrichten können, ja, ob sie überhaupt durchsetzbar sind. Von Film- und Fernsehquoten zugunsten der nationalen Produktion war in Ottawa die Rede, von Paragraphen gegen Gewaltverherrlichung, von Sprachpflege und Sprachförderung im Interesse des einheimischen Idioms. Dergleichen gibt es in den meisten Ländern schon (mehr oder weniger), ohne daß sich an der Misere etwas geändert hätte, im Gegenteil, es wird immer schlimmer.

Die quotenbevorzugte einheimische Fernsehproduktion beispielsweise paßt sich den von Hollywood vorgegebenen Banal-Standards immer mehr an, um bei den Massen konkurrenzfähig zu bleiben. Die Pidgin-Sprache hat längst die unteren Regionen verlassen, wird zunehmend von Managern und anderen "führenden Persönlichkeiten" gesprochen und dadurch kontinuierlich aufgewertet. Jeder staatliche Regelungsversuch in Sachen Kultur stößt sofort auf massiven Widerstand seitens einer Koalition aus Geschäftemachern und "Demokraten", die ihr Menschenrecht auf schlechten Geschmack nicht geschmälert sehen wollen und mit Entrüstung von "Eingriffen in die Kunst- und Meinungsfreiheit" sprechen.

"Kultur" findet eben nicht im luftleeren Raum als Glasperlenspiel statt, sie ist das reaktive Medium par excellence, sie spiegelt Moden und Zeitgeist, antwortet sensibel auf momentane Stimmungen, vor allem aber geht sie – wenn sie es auch abstreitet – massiv nach Geld. Früher verbündete sie sich mit den reichen fürstlichen oder kirchlichen Auftraggebern, heute verbündet sie sich vorzugsweise mit dem internationalen, superreichen Finanzkapital. Und das hat Konsequenzen.

Die früheren Geldgeber, die Fürsten, die Bischöfe, auch die freistädtischen Magistrate usw., sahen in den Kulturprodukten eine Art totes, stehendes Kapital – und gaben sich damit zufrieden, sonnten sich in seinem Glanz. Die heutigen Geldgeber möchten die Kultur (die Mythen-Herstellung, die Unterhaltung, den Symbolaustausch) wie alles übrige in flüssiges, also "wirkliches" Kapital verwandeln, das "heckt", das sich dauernd selbst vermehrt, das "Masse" bringt. Und Masse kann nur von Masse erbracht werden. Die heutige Kultur soll eine Massenkultur sein, möglichst eine globale Massenkultur auf dem niedrigsten gemeinsamen Nenner.

Die autochthonen kulturellen Überlieferungen aus der Fürsten- und Magistratszeit stören da bloß. Manchmal liefern sie noch einiges Feiertagsdekor, aber im allgemeinen sind sie im Prozeß der Verwertung von Kultur nur lästige Hindernisse, die parodiert, lächerlich gemacht und als vorgestrig hingestellt werden, damit man sie endlich wegräumen kann. Entsprechend im modernen Fernsehspiel die Verachtung bzw. Wurstigkeit gegenüber kulturellen Überbleibseln aus der regionalen Tradition, entsprechend die freche Unbekümmertheit in der Werbung und im Behördenjargon, mit der differenzierte Sprache auf breitester Front in Pidgin-Gestammel verwandelt wird.

Wenn die europäischen und amerikanischen Kulturminister tatsächlich etwas gegen diese Entwicklung tun wollten, wenn sie wirklich eine Allianz für kulturelle Vielfalt schmieden wollten, dann müßten sie oder ihre Regierungen zu ganz anderen Maßnahmen schreiten, als nur ein paar Sendequoten einzuführen oder ein paar Akademiesprüche gegen die "Überfremdung der eigenen Sprache" loszulassen. Gewaltige Summen müßten bereitgestellt werden, um den Banalisierern und Pidginisierern Paroli bieten zu können, das Staatsbudget müßte von Grund auf umgeschichtet werden.

Und so etwas wäre selbstverständlich nur möglich, wenn sich das "Paradigma" der herrschenden Politik von Grund auf änderte, weg von der Ökonomie, hin zur Kultur, weg vom Geld, hin zur Sprache, weg von der Masse, hin zur Tradition. Nicht nur Politiker, sondern die ganze führende Schicht der beteiligten Länder, nicht zuletzt die großen Manager und Konzernchefs, die sich heute als "global players" feiern lassen, müßten sich zu der neuen Perspektive bekennen, müßten nach der Devise operieren: Gewinn ist wichtig, aber wichtiger noch als der Gewinn von Geld ist der Gewinn von kultureller Vielfalt, von Differenzierung und gediegeneren Spiel- und Sprachstandards.

Die Perspektiven ausmalen heißt natürlich, ihre Unmöglichkeit erweisen. Wo sind denn auch nur Ansätze für solch einen Paradigmenwechsel? Wo sind die Eliten, die ihn ernsthaft wollen? Oder gibt es vielleicht doch noch ein Fünkchen Hoffnung? Immerhin, viele wichtige Kulturminister haben sich in Ottawa getroffen, um ihr Unbehagen öffentlich zu artikulieren und auf Abhilfe zu sinnen. Sie gelten zwar nicht viel in der Hierarchie ihrer jeweiligen Regierungen, aber ein Irgendwer sind sie auch nicht.

Wenn es übrigens in der neuen Bonner Regierung tatsächlich einen Bundeskulturminister oder Bundeskulturbeauftragten geben sollte, wäre ihm zu raten, unverzüglich der Allianz von Ottawa beizutreten. Der Widerwille gegen kulturellen Einheitsbrei und Pidgin-Sprache wächst auch hierzulande. Es ist Zeit, ihn in Politik zu verwandeln.


 
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