© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
Hermes-Bürgschaften: Verbände machen sich für eine Reform stark
Kritik an der Vergabe
Gerhard Quast

Rund 180 Kilometer von der österreichischen Hauptstadt entfernt steht das slowakische Atomkraftwerk Mochovce. Mochovce ist ein AKW sowjetischer Bauart. Vor sieben Jahren mußten die Bauarbeiten an den vier Blöcken wegen fehlender finanzieller Mittel eingestellt werden. Für eine Fertigstellung als AKW – auch der Umbau zu einem konventionellen Gasdampfkraftwerk wurde diskutiert – machte sich schließlich die European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) stark. Die Leitung übernahm der Energiekonzern Electricité de France (EdF). Beteiligt am Weiterbau waren außerdem der slowakische Energieversorger SE, die Bayernwerke und Preussen Elektra. Als sich 1995 abzeichnete, daß Mochovce weder die europäischen Sicherheitsstandards erfüllen würde noch die erforderliche Wirtschaftlichkeit, zogen sich die deutschen Energiekonzerne, die EBRD und schließlich sogar das EdF aus dem Konsortium zurück. Nach nur wenigen Monaten schloß SE mit der Firma Siemens einen Vertrag zum Fertigbau des AKW. Das Geld bekam das Unternehmen von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Bürgschaft übernahm die Hermes Kreditversicherungs-AG.

Obwohl das Europäische Parlament in Straßburg, zahlreiche EU- Länder und selbst die Weltbank und das US-Energieministerium vor einer Inbetriebnahme des in vieler Hinsicht unsicheren AKW warnten, setzte sich Hermes über die Bedenken hinweg. Damit wurde in der Slowakei ein Projekt finanziert, das wegen Sicherheitsbedenken und Nicht-Finanzierbarkeit in Deutschland undenkbar gewesen wäre, wie das Beispiel des AKW Greifswald deutlich macht: Das AKW gleichen Typs wurde nicht in Betrieb genommen, weil die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) die Nachrüstung als unfinanzierbar ablehnte. Vor wenigen Tagen ist nun der erste Reaktor des AKW Mochovce – trotz der Proteste – ans Netz gegangen.

Das slowakische AKW Mochovce ist allerdings nur ein Beispiel, das die Hermes-Kreditvergabe in den letzten Jahren in Verruf gebracht hat. In die Diskussion geraten sind diese Bürgschaften vor allem auch durch den international umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamm in China. Das Mammut-Projekt am Yangtze ist eines der größten Infrastrukturprojekte der Welt. Mindestens 1,8 Millionen Menschen müssen nach offiziellen Angaben umgesiedelt werden, 140 Städte und Dörfer, riesige Flächen fruchtbaren Ackerbodens und jahrhundertealte Kulturdenkmäler werden in den Fluten verschwinden. Die ökologischen Auswirkungen auf das gesamte Flußsystem gelten als unkalkulierbar. Trotzdem haben deutsche Firmen für die Lieferungen von Generatoren und Turbinen von der bundeseigenen KfW Kredite und von der Hermes Kreditversicherungs-AG Bürgschaften erhalten.

"Die Liste skandalöser, unsozialer und unökologischer Projekte, an denen die Bundesrepublik durch Hermes-Bürgschaften beteiligt ist, wird jedes Jahr länger", klagt Barbara Unmüßig, Sprecherin des Vereins "Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung" (WEED). Gemeinsam mit dem Verein "urgewald" hat WEED im vergangenen Jahr eine Kampagne für eine Reform der Vergaberichtlinien gestartet. Bis zum heutigen Tag haben sich mehr als 120 Gruppen und Organisationen dem Aufruf angeschlossen: Ökoverbände (BUND, Robin Wood, Grüne Liga) und kirchliche Hilfsorganisationen (Brot für die Welt, Misereor) gehören gleichermaßen zu den Unterzeichnern wie Menschenrechtsorganisationen (Gesellschaft für bedrohte Völker, terre des hommes) und Dritte-Welt-Gruppen (medico international). Zentrale Forderungen dieser "Nicht-Regierungs-Organisationen" sind:

- die Prüfung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit aller Anträge auf Grundlage der Weltbank-Richtlinien,

- das prinzipielle Verbot der Versicherung von Rüstungsgütern,

- die Beachtung entwicklungspolitischer Kriterien bei Exporten in Entwicklungsländer,

- Transparenz der Bürgschaftsvergabe durch Veröffentlichung von Projekttyp, Projektort und Deckungssumme vor der Bürgschaftsvergabe,

- eine parlamentarische Kontrolle.

Das Prinzip der Bürgschaften ist es, Exporteure gegen die Zahlungsunfähigkeit ihres Kunden oder des Empfängerlandes abzusichern. Der Versicherungsfall tritt ein, wenn der Käufer nicht fristgerecht bezahlt, unabhängig davon, ob er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist. In einem solchen Fall kommt der Staat für die offene Rechnung auf. Allein in den letzten zehn Jahren haben diese Ausfuhrgewährleistungen Deutschland mehr als 25 Milliarden Mark gekostet (siehe Grafik).

Schon in der Weimarer Republik gab es mit der Hermes AG dieses System zur Absicherung deutscher Exporteure. Bereits 1947 wurde das System nach altem Vorbild wiederbelebt. Ziel dieser Bürgschaft ist die Förderung des Exports.

Zahlreiche deutsche Firmen beziehungsweise deutsche Niederlassungen ausländischer Firmen, die ihre Exporte oder Kapitalanlagen im Ausland absichern wollen, nehmen diese staatliche Ausfuhrgewährleistungen in Anspruch. Die Hermes-Bürgschaften machen knapp fünf Prozent der gesamten Exporte der Bundesrepublik Deutschland aus. 1996 waren dies 35,4 Milliarden Mark. Für den "Exportweltmeister" Deutschland (Warenwert 1996: 771,9 Milliarden) ist die Hermes-Exportkreditversicherung aufgrund ihres finanziellen Volumens das wichtigste Instrument der Exportförderung. Kein Wunder, daß die von den Kritikern geforderten Reglementierungen für die Vergabe der Bürgschaften im Finanzministerium und bei den Wirtschaftsunternehmen auf wenig Gegenliebe stoßen: Der Bundesverband der Deutschen Industrie forderte, daß auf "sachfremde Entscheidungsvorgaben" – sprich: ökologische oder entwicklungspolitische Aspekte – verzichtet werden müsse, und Wirtschaftsminister Rexrodt wies darauf hin, daß die Bürgschaften kein Instrument der Entwicklungshilfe, sondern der "Förderung des Exports" darstellen.

Was spricht eigentlich dagegen, fragen WEED und "urgewald", daß sich die Hermes-Versicherung einen Kriterienkatalog für die Kreditvergabe zulegt, wie er bei der Weltbank und selbst der US-amerikanischen EXIM-Bank längst existiert. Schließlich wird in der Agenda 21, dem Abschlußdokument des Erdgipfels von Rio, ebenfalls eine Umwelt- und Entwicklungspolitik gefordert, die mit einer zukunftsfähigen Entwicklung in Einklang steht. Und auch in der Erklärung des G-8-Gipfels von Denver heißt es: "Die Regierungen sollten helfen, nachhaltige Verfahren zu fördern, indem sie bei der Gewährung von finanzieller Unterstützung für Investitionen im Bereich Infrastruktur und Ausrüstung Umweltfaktoren berücksichtigen."


 
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