© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/98 10. Juli 1998

 
 
Pankraz, J. Liminski und die Strafen für Gotteslästerer bei VW

Die Parlamentsferien so kurz vor der Bundestagswahl haben doch auch ihr Gutes. Ihretwegen ist es beispielsweise dem Bundestag in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich, über einen Antrag der CSU zu entscheiden, der darauf hinausläuft, das Delikt der "Gotteslästerung" (StGB-Paragraph 166) mit dem berüchtigten Paragraphen 130 gegen "Volksverhetzung" zu verbinden. Gotteslästerer, so die Absicht der CSU, sollten künftig genauso hart bestraft werden wie "Leugner und Verharmloser des Holocaust". Damit wird es nun vorerst einmal nichts.

Pankraz ist vor allem deshalb erleichtert über die Verschiebung der Debatte (wahrscheinlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag), weil sich gerade bei der Verwendung des Paragraphen 130 auf bedrückende Weise gezeigt hat, wie schnell sich heutzutage in der BRD scheinbar abseitige Passagen des Strafgesetzbuches in ein pures Instrument der Unterdrückung von Meinungsfreiheit, ja, des Terrors, verwandeln. Das Wort "Volksverhetzung", mit dem der 130er operiert, ist eines jener unheimlichen Gummiwörter, mit denen man alles und jedes kriminalisieren kann (und auch tatsächlich kriminalisiert), was dem herrschenden Zeitgeist anstößig ist oder ihm sonstwie nicht in den Kram paßt.

Was ist eine Volksverhetzung? Was ist Volk? Was ist Hetze? Am ehesten verbindet sich mit dem letzten Wort wohl die Vorstellung eines kreischenden (oder à la Antonius äußerst geschickten) Straßenredners, der eine labile Menge zu aktueller Gewalttat aufstachelt, so daß sie anschließend Steine aufliest, um Schaufenster einzuschlagen oder Passanten zu jagen, zu "hetzen". Eine fatale Konstellation, vor der sich natürlich auch der liberalste Staat schützen muß.

Was wird daraus, wenn man aus der Straßenmeute "das Volk" macht? Es wird daraus eine Matrize, mit der sich faktisch jede Form von Meinungsäußerung als "Hetze" einordnen läßt: nachdenkliche Gelehrtengespräche im Forschungsinstitut, Zeitschriftenaufsätze, Äußerungen in Freundesrunden, Fragesätze, Zweifelssätze, Rufe nach genauer Information, verzögerte oder ausbleibende Zustimmung beim Abfragen von Wissen, falsche Antworten bei Staats- und Gewissensprüfungen. Die Inquisition kehrt zurück in all ihrer scheußlichen Pracht, und wenn es morgens um sechs an der Haustür klingelt, darf man keineswegs mehr sicher sein, daß es "nur der Milchmann" ist; "das Volk" kommt, zunächst einmal zur Haussuchung.

Daß die CSU jetzt solche Zustände mittels eines "in Richtung auf Paragraph 130 verschärften Paragraphen 166" auf sämtliche Formen der Gotteslästerung ausdehnen will, ist ein Schlag mitten ins Gesicht der sonst so gerühmten "Liberalitas Bavariae". Anlaß der Gesetzesinitiative, so der Regensburger Generalvikar Gegenfurtner, sei die immer häufigere Verächtlichmachung christlicher Symbole in den Medien und durch die Werbewirtschaft gewesen. Pankraz aber sagt, in Erinnerung an das, was mit dem 130er passiert ist: "Mit der Verurteilung einer Witzzeitung, in der ein gekreuzigtes Schwein gezeigt wird, geht es los, und es endet noch nicht mit der Denunziation von wissenschaftlichen Vorträgen, Stammtischreden, falschem Benehmen bei Gesinnungsprüfungen."

Wie wild die Verfolgungswut und die Sehnsucht christlicher Amtswalter nach dem Paragraphen 130 bereits ist, davon kündete kürzlich der Kriminalprozeß gegen ein Plakat des VW-Konzerns in Frankreich, auf dem für ein neues Golfmodell geworben werden sollte. Man sah da Leonardos Gemälde "Das Abendmahl" und darunter den Text: "Mes amis, réjouissons-nous car une nouvelle Golf est née" (" Freunde, freut euch, ein neuer Golf ist geboren"). Das war ja nun wirklich ein harmloses Arrangement und hat den Prozeß gewiß nicht verdient.

Nicht das christliche Abendmahl, sondern ausdrücklich ein seiner herrlichen Gestalt wegen weltberühmtes Gemälde der Renaissance wurde hier zu Werbezwecken benutzt, und es ging auch nicht im Entferntesten um Beleidigung, sondern ganz im Gegenteil um freundliche, etwas geschmacklose Respektbezeugung. Die Werbefritzen wollten für ihren Golf einfach ein Stücklein vom Glanz des Herrn; man könnte darin fast ein gesundes Fortleben christlichen Empfindens sehen. Das Produkt allein überzeugt eben nicht genügend, es bedarf gewissermaßen noch des Segens von oben.

Wie gesagt, die Sache war vielleicht ein bißchen geschmacklos, wie ja die ganze Werbewirtschaft mit ihren "Einfällen" vor Geschmacklosigkeit geradezu trieft. Aber mußte sie deshalb gleich mit der Verfolgungswut der Paragraph-130-Glaubensritter aus der Welt geschafft werden? Über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten. Jürgen Liminski, der in Criticón über die Affäre berichtet, findet es besonders verbrecherisch, daß da ein christliches Symbol ausgerechnet für PKWs bemüht wurde. Doch wofür, setzt Pankraz dagegen, wurden christliche Symbole nicht schon alles bemüht! Wo kommen wir denn hin, wenn so etwas künftig als "Volksverhetzung" geahndet wird?

Daß an sich nachdenkliche Publizisten wie Liminski sich zu solchen Wahnsinnsforderungen versteigen, ist ein sicheres Indiz dafür, daß das Meinungsklima in der BRD durch und durch verdorben ist. Die Denunziererei und Verurteilerei in Glaubensdingen hat ein solches Ausmaß erreicht, daß sich Glaubenshüter jeglicher Couleur schon unterprivilegiert fühlen, wenn es für sie und ihre spezifischen Inhalte keinen Extraschutz durch Volksverhetzungs-Paragraphen gibt. Kein Wunder, daß man im Ausland nur noch resigniert abwinkt, wenn die Rede auf Meinungsfreiheit in Deutschland kommt.

Nun, gottlob, der in die Ferien gegangene Bundestag kann nicht mehr darüber entscheiden, ob Paragraph 166 an Paragraph 130 angenähert oder gar mit ihm vereinigt wird. Dem neuen, im September zu wählenden Bundestag wäre indes zu raten, lieber über die Abschaffung von Paragraphen nachzudenken.


 
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