© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/98 03. Juli 1998

 
 
Algerien: Matoubs Ermordung hat für die Berber Symbolkraft
Tamazight soll sterben
von Gerhard Quast

Immer wieder warnte der algerische Protestsänger Lounès Matoub vor einer zu Lasten der Berbersprachen gehenden Aufwertung des Arabischen zur einzigen Amtssprache des Landes. Obwohl jeder fünfte Algerier noch heute eine dieser nordafrikanischen Sprachen spricht und viele Städter sich im täglichen Verkehr der ehemaligen Kolonialsprache Französisch bedienen, wurde 1996 ein Sprachgesetz verabschiedet, das eine systematische Arabisierung des Landes vorsieht. Darin heißt es, daß alle offiziellen Dokumente, Verhandlungen und Verfahren der öffentlichen Verwaltung und zudem der Unternehmen und Verbände "arabisch redigiert" werden müssen. Zwar wurde Arabisch schon mit der Unabhängigkeitserklärung 1962 die nationale und offizielle Sprache des Staates, jedoch war es den verschiedenen Machthabern nie gelungen, die Berbersprachen im öffentlichen Leben zu ersetzen.

Die Sprache der Berber soll verbannt werden

Was das neue Sprachgesetz, das am 5. Juli Gültigkeit erlangen wird, für die traditionell von Berbern bewohnte Kabylei in der Praxis bedeutet, ist diesen längst klar: Die lange erkämpften Sendezeiten im staatlichen Rundfunk und Fernsehen und selbst der Unterricht in "Tamazight" werden gestrichen.

Mitten in diese Verunsicherung platzte vergangenen Donnerstag die Nachricht von der Ermordung des gerade aus dem französischen Exil heimgekehrten populären Sängers Lounès Matoub. Der 42jährige Berber wurde in einem kleinen Dorf im Osten des Landes Opfer eines Anschlages vermutlich islamischer Extremisten.

Wiederholt mußte sich Matoub schon der Angriffe seiner Feinde erwehren. Bereits im September 1994 entführte ihn die berüchtigste Terrorvereinigung Algeriens, die Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA). Zwei Wochen verbrachte er in deren Gefangenschaft. Die Entführung ließ er sich eine Warnung sein und ging noch im gleichen Jahr ins Exil. Erst vor wenigen Wochen kehrte er in seine Heimat zurück.

Der Tod des unliebsamen Kritikers sowohl der Islamisten als auch der Machthaber im fernen Algier hat für die Berber Symbolkraft: Er wird – wie das neue Sprachgesetz – als Versuch gewertet, den "Imazighen" (dt.: freie Menschen), wie sich die Berber selbst nennen, ihre Sprache zu rauben.

Die Regierung geht vor den Islamisten in die Knie

Entsprechend groß war die Reaktion der Bewohner der Kabylei: Tausende Jugendliche gingen mit dem Ruf "Wir wollen nicht arabisiert werden!" auf die Straßen. In Tizi-Ouzou, der 100 Kilometer östlich von Algier gelegenen Hauptstadt der Kabylei, und weiteren mehrheitlich von Berbern bewohnten Städten kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Demonstranten und Sicherheitskräften.

Die Proteste richteten sich allerdings nicht so sehr gegen die "Mördermacht" der Islamisten, sondern vor allem gegen die Regierung in Algier, die mit dem am kommenden Sonntag in Kraft tretenden Sprachgesetz einer lange erhobenen Forderung der Islamisten nachkommt und die Sprachen der autochthonen Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben verbannen will.

Es waren die schwersten Unruhen seit den Massendemonstrationen von 1988: Jugendliche Demonstranten errichteten brennende Barrikaden, bewarfen Sicherheitskräfte mit Steinen und zerstörten Schilder in arabischer Sprache. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummiknüppel vor. Zwei Demonstranten kamen uns Leben, mehr als einhundert wurden verhaftet.

In den wenigen Tagen bis zur Beerdigung Matoubs in seinem Heimatdorf Taourirt Moussa entlud sich der lange angestaute Unmut über die alltägliche Diskriminierung der Berber durch die arabischsprechende Mehrheit.

Für die nächsten Tage haben die Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie (RCD), der auch Lounès Matoub angehörte, und die "Front der Sozialistischen Kräfte" (FFS) zu Massenkundgebungen in Algier aufgerufen. Es werden sicher nicht die letzten sein.


 
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