© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
Bevölkerungspolitik: Der Meinungsforscher Gerhard Bruckmann über die Folgen des Geburtenrückgangs
Kreuzberger Verhältnisse nicht zu erwarten
von Brigitte Sob

Herr Professor Bruckmann, es wird oft von der drohenden Überalterung gesprochen: Ist dies eine Bedrohung für Österreich?

BRUCKMANN: Jeder von uns hofft, durch seine eigene werte Person zu dieser drohenden Überalterung beizutragen, auf gut deutsch: so alt wie möglich zu werden.

Ist der Generationenvertrag angesichts der besorgniserregenden Rückläufigkeit der Geburtenrate noch aufrechtzuerhalten?

BRUCKMANN: Es ist nicht so sehr die leicht rückläufige Geburtenrate in Österreich, als vielmehr die stark zunehmende Lebenserwartung, die den Generationenvertrag in Frage stellt. Konkret: Heute kommt auf vier Österreicher, die weniger als 60 Jahre alt sind, einer, der über 60 Jahre alt ist, in 30 Jahren werden es zwei sein. Gäbe es einen Generationenvertrag – einen solchen habe ich aber noch nie schriftlich ausgeführt gesehen! –, so könnte der entweder lauten: Jeder Österreicher hat bei seiner Pensionierung Anspruch auf denselben Prozentsatz seines Einkommens wie jeder Österreicher eine Generation oder zwei Generationen früher. Dann hieße das, daß in 30 Jahren die dann Aktiven doppelt so viel an Beiträgen aufbringen müßten. Oder aber der Generationenvertrag lautet: Jeder Österreicher soll zu jeder Zeit einen gleich hohen Prozentsatz seines Aktiveinkommens für die Pensionisten seiner Periode aufbringen, dann hieße das, daß die Pensionen in 30 Jahren nur noch halb so hoch sein könnten, wie sie es heute sind. Wenn uns beides nicht gefällt, dann müssen wir das Gesamtsystem als solches in Frage stellen.

Sehen Sie die Zuwanderung im Zusammenhang mit dem Generationenvertrag als Problem oder als Chance?

BRUCKMANN: Zunächst ist festzuhalten, daß durch die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte sich die Pensionsproblematik insofern vorübergehend entschärft hat, als die Zuwanderer ja alle im aktiven Alter waren, daher Beiträge entrichtet habe, denen (noch) keine Pensionszahlungen gegenüberstanden. Wenn diese Politik fortgesetzt wird, ist natürlich irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo diese Zuwanderer auch in Pension gehen, so daß sie dann den Österreichern mehr oder weniger gleichgestellt sein werden, also kein Nettovorteil mehr von der Zuwanderung zu erwarten ist. Österreich war darüber hinaus in der Vergangenheit klug genug, ein ethnisches Problem im großen Stil – vergleichbar etwa der Situation im Berliner Bezirk Kreuzberg – nicht entstehen zu lassen. Selbst wenn es in Wien in vielen Bezirken Ausländerbereiche gibt, in denen sie auch ihre eigenen Läden und Gasthäuser haben – die auch von Österreichern gerne besucht werden –, hat sich dieses Problem bis jetzt bis auf Randbereiche nicht manifestiert. Österreich ist vielmehr zu Recht bemüht, all jenen Zuwanderern, die sich als integrationswillig und integrationsfähig erweisen, die Hand zu reichen. Damit ist bei uns auch für die Zukunft nicht zu erwarten, daß sich eine ähnliche Situation wie in manchen Teilen Deutschlands ergeben wird.

Ist Ihrer Meinung nach die These berechtigt, daß Österreich Zuwanderer braucht, damit die Pensionen gesichert sind?

BRUCKMANN: Wenn wir Österreicher in der Vergangenheit bereit gewesen wären, ein, zwei Jahre länger zu arbeiten, hätten wir viele Einwanderer gar nicht benötigt. Dies gilt nur summarisch. Man muß aber in die einzelnen Berufe einsteigen. Die Österreicher waren sich vielfach zu gut, jene Schmutzberufe zu ergreifen, für die wir die Ausländer gerne hereingeholt haben. Insofern beantwortet sich diese Frage summarisch anders.

Wie beurteilen Sie die unterschiedlichen Pensionssysteme?

BRUCKMANN: Der öffentliche Dienst hatte historisch gesehen ein ganz anderes Pensionssystem als die große Masse der Versicherten. Dies war so lange aufrechterhaltbar, als der öffentliche Dienst nur einen ganz geringen Prozentsatz der arbeitenden Bevölkerung ausgemacht hat. Heute, wo rund ein Fünftel aller Arbeitnehmer in Österreich in einem öffentlichen oder quasi-öffentlichen Arbeitsverhältnis steht, ist es nicht mehr aufrecht erhaltbar. Es ist daher unumgänglich und aus Gerechtigkeitsgründen notwendig, die unterschiedlichen Systeme schrittweise anzugleichen. Und es ist dies auch durchaus möglich.

Die sogenannte drohende Überalterung führt oft zu der Ansicht, daß das Sozialversicherungssystem nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, da Krankenhaus- und Medikamentenkosten dadurch steigen. Wie sehen Sie dieses Problem?

BRUCKMANN: Die soziale und soziologische Problematik geht ja ungleich tiefer. Unser Pensionssystem beruhte bei seiner Einführung darauf, daß man im allgemeinen nach Erlahmen der Arbeitsfähigkeit nur noch eine geringe Restlebenserwartung hatte, daß es also keine wesentliche Belastung der arbeitenden Bevölkerung dargestellt hat, durch entsprechende Beitragsleistungen, nach dem Umlageverfahren, Pensionen für die aus dem Arbeitsleben ausgeschiedenen zu zahlen. Heute aber stehen wir vor einem gänzlich neuen Phänomen: Zwischen der Arbeitsperiode des menschlichen Lebens, die etwa bis 60 oder 65 Jahre geht, und den letzten Lebensjahren, die vielfach dann schon von Erschöpfung und Krankheit gezeichnet sind, entsteht eine immer breitere Zwischengeneration von noch weitgehend gesunden Jungsenioren, die noch bis in hohes Alter voll im Aktivleben eingegliedert sind, ohne aber in den meisten Fällen noch in einem Arbeitsverhältnis angestellt zu sein. Die Existenz dieser immer breiter werdenden dritten Generation ist es, die uns zwingt, die Annahmen unseres gegenwärtig aus der Vergangenheit übernommenen Pensionssystems grundlegend in Frage zu stellen.

In den 80er Jahren haben Sie im Fernsehen die Hochrechnungen der Wahlergebnisse präsentiert. Wie sehen Sie die derzeitige innenpolitische Situation, konkret die sogenannte oder wirkliche Krise der FPÖ?

BRUCKMANN: Zunächst ist festzuhalten, daß die Politik zu allen Zeiten und in allen Ländern auch fragwürdige Gestalten angelockt hat. Ich sage ausdrücklich auch fragwürdige Gestalten. Und es ist einfach nüchtern festzuhalten, daß Parteien, die sehr stark und rasch wachsen, in erhöhtem Ausmaß eine Attraktion für fragwürdige Gestalten darstellen. Aus diesem Grunde verwundert mich die gegenwärtige Krise der Freiheitlichen Partei nicht.


 
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