© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Christian Graf von Krockow: Bismarck. Eine Biographie
Porträt eines Staatsmannes
von Wolfgang Saur

Während andernorts mit ermüdender Monotonie die Dämonisierung der deutschen Geschichte fortgesetzt wird, ist von einer erfreulichen Neuerscheinung zum Bismarck-Jahr 1998 zu berichten. Erfreulich und beachtenswert, weil Christian Graf von Krockow, der Autor dieser neuen, durchaus repräsentativen Biographie, aus aktuellem Anlaß ein umsichtiges, faires und auch gelehrtes Werk über den großen deutschen Staatsmann vorgelegt hat. Solches ließ sich von den bisherigen Veröffentlichungen des schon seit Jahrzehnten im deutschen Geistesleben präsenten Großpublizisten nicht immer sagen. Von seiner nicht uninteressanten, aber durch Einseitigkeit und übrigens auch sachliche Fehler problematischen Dissertation 1958 bei Plessner (über Jünger, Schmitt und Heidegger) bis zu seinem großen Buch über "Die Deutschen in ihrem Jahrhundert" (1990) hat er seine Leser mit seinen Bewertungen nicht in jedem Fall überzeugen können. Sein Dasein als freier Wissenschaftler und Schriftsteller seit 1969, sein Image als Preußen-Experte und seine wachsende Populariät seit den 80er Jahren brachten mit der Zeit eine ärgerliche Vielschreiberei mit sich, aus der einige flüchtige, wenig anspruchsvolle Schriften hervorgingen (beispielsweise "Preußen. Eine Bilanz", 1992). Anläßlich seines 65. Geburtstages gestand der Autor selbst ein: "… mehr denn je wächst mir die Nachfrage nach Vorträgen, Lesungen, Aufsätzen, Buchbeiträgen und gleich ganzen Büchern über den Kopf."

Um so erstaunlicher ist nun sein vorliegender, großer Beitrag zur Bismarck-Forschung, der in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart erschienen ist. Seine Unternehmung begründet Krockow ausdrücklich mit der Notwendigkeit einer politischen und geschichtlichen Selbstvergewisserung des heutigen Deutschland: Mit der "Nation als einer politisch bedeutsamen Einheit" sollten wir uns "wieder befreunden". Das bedeutet für den Historiker vor allem, "daß wir unseren ersten Nationalstaat verstehen lernen und mit dem Mann vertraut werden, der ihn erschuf". Krockows erklärte Absicht ist es zu zeigen, "wie kompliziert die Person und das Werk Bismarcks sich darstellen. Diese Kompliziertheit verbietet die einfachen Schlußfolgerungen und Urteile." Damit ist aller unsachlichen Polemik (wie etwa bei Willms) ebenso eine Absage erteilt wie der kitschigen Verherrlichung, wie sie uns im überzogenen Bismarck-Kult des späten Kaiserreichs entgegentritt.

Herausgekommen ist dabei eine mustergültige Biographie von nahezu klassischer Abgewogenheit. Zwar wird sie den Fachleuten nicht viel eigentlich Neues bieten können, dem interessierten Laien aber sei sie wärmstens empfohlen. Sie steht auf dem sicheren Fundament einer umfassenden Rezeption der Quellen und der einschlägigen Sekundärliteratur, wovon auch der ausführliche Anhang zeugt. Also gerüstet dringt sie mit der gebotenen Gründlichkeit in die verschiedenen Problemkreise ein, ohne zu ermüden und den Wald vor lauter Bäumen aus den Augen zu verlieren. Äußerungen von Zeitzeugen und von Bismarck selbst geben dem Text seinen lebendigen und authentisch-farbigen Charakter. Von einer "unkritischen Verwertung" – so lautete unlängst ein Vorwurf – kann dabei keine Rede sein.

Die Proportionen der verschiedenen Themenfelder erscheinen gelungen. Eigentlich steht ja das gesamte 19. Jahrhundert vom Wiener Kongreß bis zur Kolonialpolitik zur Debatte. Der Teufel steckt aber oft im Detail, und mancher Historiker hat darüber schon seinen Gegenstand aus den Augen verloren. Krockow meistert diese Gefahr souverän und kommt immer auf den Punkt. Ergänzt wird die Darstellung durch zahlreiche Abbildungen, denen Krockow mitunter ausführliche Kommentare beigegeben hat, in denen er bisweilen einen volkstümlich-familiären Ton nicht scheut.

Das Fazit des gelungenen Buches ist die Einsicht in die Ambivalenz Bismarcks, dessen schicksalhafte Rolle eines janusköpfigen "Aufhalters und Beschleunigers wider Willen" (in den Dienst dieser These stellt der versierte Autor auch seine Beobachtungen zum Konflikt zwischen dem ländlichen und dem urbanen Bismarck). Schritt für Schritt bildet sich Krockow ein reifes und gelassenes Urteil über den großen deutschen Staatsmann, um mit den Worten zu schließen: "Doch aus solchen Widersprüchen sind seit jeher und wohl auch in Zukunft die Tragödien gemacht, die uns in ihren Bann ziehen, weil sie die Größe und das Verhängnis zum Schicksal verbinden, sei es für Menschen oder für Völker."

 

Christian Graf v. Krockow: Bismarck. Eine Biographie, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1997, 496 Seiten, geb., 48 Mark


 
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