© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Stalin 1940: Um Hitler zu imponieren, ließ er Eisenstein Wagner inszenieren
Die Moskauer Walküren lächelten
von Thorsten Hinz

Der innen- und kulturpolitische Kurswechsel, mit dem die Sowjetunion auf den Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 reagierte, kam "schlagartig" (W. Leonhard). Noch am selben Abend wurden Werke deutscher Emigranten aus dem Theater- und Kinoprogramm genommen, hitlerfeindliche Literatur verschwand aus den Regalen, sogar Sergej Eisensteins tendenziell antideutscher Film "Alexander Newski" wurde von der Leinwand verbannt. Demonstrativ wurden Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" verlegt; das Stück "Vor Sonnenuntergang" von Gerhart Hauptmann, der 1933 in Deutschland verblieben war, kam auf die Bühne. Damit versuchte Stalin, dem Bündnis der beiden Regimes, das zu ihrer bisherigen Ideologie und Propaganda quer stand und deshalb politisch und ideologisch schwer vermittelbar war, auf dem Gebiet der Kultur Inhalt und Dignität zu geben.

Als vorläufiger Höhepunkt war eine Inszenierung von Richard Wagners "Walküre" gedacht; ausgerechnet der Regisseur Sergej Eisenstein erhielt dazu im Dezember 1939 den Auftrag. Dieser kulturpolitische Schachzug Stalins war von geradezu genialer Ambivalenz, die es erlauben würde, ihm nachträglich, nach einem nicht auszuschließenden erneuten Klimawechsel, eine gegenteilige Intention zu unterlegen. Natürlich war es eine Verbeugung vor dem "3. Reich" und vor Hitler persönlich, daß in Moskau eine Oper aus Wagners "Ring"-Zyklus inszeniert wurde; sie war um so tiefer, weil als Aufführungsort das Bolschoi-Theater, der Schauplatz sowjetischer Staatsakte, vorgesehen war. Der Regieauftrag an den in Deutschland tabuisierten Juden Eisenstein konnte als gegen den NS-Antisemitismus gerichtete Geste ausgelegt werden, die freilich verlogen war, weil zur selben Zeit in der Sowjetunion – von der NS-Führung wohlwollend vermerkt – antijüdische Maßnahmen stattfanden. Indem man den Weltruhm in die Waagschale warf, den Eisenstein als "linker", revolutionärer Künstler erworben hatte, signalisierte man der NS-Führung, daß sie kein Exklusivrecht an Wagner besaß, und faßte sie zugleich bei ihrer eigenen Umsturz- und Neue-Welt-Ideologie – bekanntlich war Goebbels seit den zwanziger Jahren ein Bewunderer Eisensteins. Jedenfalls ermöglichte das "Walküre"-Projekt "eine Bandbreite möglicher Spekulationen, die nahezu jede Nuance des deutsch-sowjetischen Verhältnisses seit Gründung der Sowjetunion widerspiegelte." (B. Schafgans)

Eisenstein, der Hitler haßte und Stalin zumindest fürchtete, brachte die Selbstverleugnung auf, um in einer von Radio Moskau am 18. Februar 1940 nach Deutschland ausgestrahlten Rundfunkrede die "hergestellten freundschaftlichen Beziehungen" zu loben. Ein noch schärferes Schlaglicht auf die Berührungspunkte zwischen den beiden totalitären Systemen sowie auf die untergründigen Parallelen zwischen totalitären Macht- und sendungsbewußten Künstlerphantasien werfen seine als authentischer zu bewertenden Äußerungen zur Regiekonzeption. Eisenstein erklärte sich zum Fortsetzer Wagnerscher Kunstauffassungen; sein Ideal war die "gewaltige Einheit" von Musik, Bewegung, Licht und "des zum Orchester gewordenen antiken Chores", um "auf lebende Mengen" einzuwirken. Kunst war religiöse Offenbarung; mit der "Walküre" wollte er nicht den "Abglanz des Lebendigen", sondern "den Augenblick des real werdenden und entstehenden, unwiederholbar Einzigen" auf die Bühne bringen, in dem der Mensch die Entfremdung überwindet und wieder mit einer "nicht gleichgültigen Natur" verschmilzt. Seine Inszenierung zelebrierte bezeichnenderweise die "Rückkehr zum ornamentalen Körper der Masse" (O. Bulgakowa), die wie eine Reminiszenz an die deutsche und sowjetische Wirklichkeit jener Jahre wirkte.

Jedoch waren seine Bühnentechniken und Regieeinfälle zu modernistisch und zu avantgardistisch, um den Erwartungen gerecht zu werden. Am 21. November 1941 erfolgte die Galapremiere. Die anwesenden deutschen Diplomaten waren "geschmeichelt und bestürzt", der rumänische Gesandte sah gleichzeitig die "Götterdämmerung" und ein "Kosakenballett" heraufziehen. Der österreichische Kommunist Ernst Fischer wollte sogar eine "verwegene Wagner-Parodie" erlebt haben, die "den Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen exekutierte" und den Hitler-Stalin-Pakt konterkarierte. Das Genie Eisensteins war zu ungestüm und autark, als daß es in der Erfüllung ideologischer Vorgaben aufgehen konnten. Stalins Hoffnung, über Wagner mit Deutschland enger ins Gespräch zu kommen, scheiterte auch am Mißtrauen und an Zensurbestimmungen der deutschen Seite. Er hatte den Fehler aller Despoten wiederholt und die Macht der Kunst einfach überschätzt.

Wenige Monate später, am 22. Juni 1941, brach der Krieg aus, der alle Bühnenträume überrollte.

 

 

Literaturhinweis: Boris Schafgans: "Eisensteins Walküre: eine deutsch-sowjetische Beziehung", in: Oksana Bulgakowa (Hg.): "Eisenstein und Deutschland". Henschel Verlag, Berlin 1998, 38 DM


 
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