© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/98 19. Juni 1998

 
 
Parteien: FPÖ-Parteivorsitzender Jörg Haider über die Stimmung in Österreich
"Derzeit sind wir wie Freiwild"
von Andreas Mölzer>

 

Herr Parteivorsitzender, die FPÖ befindet sich in einer schwierigen Phase. Ein Jahr vor den Nationalratswahlen gibt es Einbußen bei den Meinungsumfragen. Wie sehen Sie die Situation der FPÖ?

HAIDER:

Es ist sicherlich momentan keine leichte Phase. Ich habe am Beginn des Jahres gesagt, daß für uns ein Jahr der Bewährung bevorsteht, weil mir klar war, daß vieles eben auch in der FPÖ in Ordnung zu bringen ist, weil wir eine wirkliche Alternative zu den Regierungsparteien sein wollen. Faktum ist, daß wir alle Wahlen bis zum heutigen Tag gewonnen haben; daß die Meinungsumfragen immer etwas anderes aussagen, ist das Problem der Meinungsforschung und nicht unseres. Ich gehe davon aus, daß der Versuch der Skandalisierung der FPÖ bereits gescheitert ist, weil jedermann sieht, daß die FPÖ nicht in die Tat eines einzelnen Kriminellen hineingezogen werden kann.

 

Das Klima zwischen den Freiheitlichen und den übrigen Parteien ist alles andere als erfreulich. Glauben Sie, daß man zu einem konstruktiven Miteinander zurückfinden kann?

HAIDER:

Das hängt von den anderen ab, wir haben die Beschimpfungen nicht geführt. Wir haben uns verteidigt und, wie ich meine, erfolgreich verteidigt. Die Frage der mafiosen Verstrickungen von Regierungsmitgliedern ist nicht einfach eine Gegenoffensive, um abzulenken. In der Zwischenzeit hat man gesehen, daß da auch Material vorhanden ist, und mancher SPÖ-Spitzenfunktionär wird noch in Turbulenzen kommen.

 

Einige Medien sprechen im Zusammenhang mit Ihrem Vorwurf, in den eigenen Parlamentsräumen abgehört zu werden, von Rundumschlägen.

HAIDER:

Ja, das ist die Standardargumentation, die wir kennen. Wenn Freiheitliche an irgendwelchen Zuständen Kritik üben, insbesondere wenn ich es mache, dann ist die erste Reaktion der Systemerhalter: Rundumschläge! Es gibt also quasi die genormte Denkungsart österreichischer Journalisten im Dunstkreis der Viererbande, die diese Argumente verbreiten. Das irritiert uns überhaupt nicht mehr. Gerade die Abhör-Affäre hat gezeigt, daß sogar der Innenminister seine Position korrigieren mußte. Er wollte zuerst das Ganze ins Lächerliche ziehen, indem er sagte, die Frequenz, die in meinem Büro von Experten geortet wurde, sei wie Feuerwehrfunk. In der Zwischenzeit hat er korrigieren müssen, daß es sich nicht um den Feuerwehrfunk handelt, sondern daß es sich eindeutig um eine Mischfrequenz, die von der Staatspolizei benützt wird, handelt. Das habe ich auch dem Parlamentspräsidenten mitgeteilt, das haben auch die Experten des Innenministeriums, die hier anwesend waren, bereits festgestellt. Da gibt’s keine Zweifel, daß da mehr dahinter steckt. Aber man sieht auch an diesem Fall: offenbar sind Freiheitliche in einer Situation, wie wir sie jetzt haben – eine Art politischer Ausnahmesituation – auch politisches und grundrechtliches Freiwild. Ein Journalist ist soweit gegangen, daß er in einem Kommentar geschrieben hat, er fordere die Bürger auf, zur Kenntnis zu nehmen, daß man uns einfach nicht glauben darf, was immer wir auch sagen. Das ist schon ziemlich arg.

 

Nun soll die FPÖ bei einem Parteitag im Frühsommer neu gegründet werden. Was bedeutet Neugründung?

HAIDER:

Die Neugründung bedeutet, daß wir unsere geistige Verfassung reaktivieren. Es wird also erstmals eine Möglichkeit geben, daß die freiheitlichen Mandatare auf allen Ebenen sich mit einem Vertrag verpflichten, die Einhaltung von Wahlversprechen gegen Strafe zu garantieren, das heißt, der Bürger hat in Zukunft die Möglichkeit, bei uns gegebene Wahlversprechen einzuklagen. Damit unterscheiden wir uns wieder wesentlich von den anderen, die glauben, daß das freie Mandat ein Freibrief für den Bruch oder das Vergessen von Wahlversprechen ist.

 

Ist das Ihres Erachtens mit den Traditionen des freien Mandats, des Parlamentarismus im liberalen Sinne, vereinbar?

HAIDER:

Absolut. Unsere Verfassung steht auf der Grundlage des Parteienstaates, d. h. der Abgeordnete kann nur über das Instrument der Partei ins Parlament kommen. Die Partei hat ein Programm, das sie dem Wähler verspricht, in dem sie sich möglichst konkretisieren muß, und damit steht sie aber auch gegenüber dem Wähler und der Allgemeinheit im Wort. Und das hat auch dazu geführt, daß etwa in Frankreich ein hoher Regierungsmandatar wegen Nichterfüllung von Wahlversprechen angeklagt wurde. Soeben habe ich eine Unterlage bekommen, daß in Holland sogar vor jeder Wahl ein Wirtschaftsforschungsinstitut die Wahlversprechen auf ihre Kostenrelevanz analysiert und damit auch die Parteien zwingt, sich so zu konkretisieren, damit nach der Wahl der Bürger dann entsprechende Klagen führen kann. Es ist also hier ein Neuland, das wir für Österreich betreten. Wir zeigen uns auch hier wieder einmal als die Reformkraft, die neue Wege beschreitet.

 

Nach der Neugründung der Partei steht im Grunde bereits die Vorbereitung für das nächste Wahljahr ins Haus.Werden Sie selbst in Kärnten antreten?

HAIDER:

Wenn ich die Aufgeregtheit meiner politischen Mitbewerber anschaue, dann ist es geradezu zwingend, in Kärnten anzutreten, denn offenbar können wir dann ein Ergebnis einfahren, das die historische Schallmauer für die FPÖ durchbrechen würde, nämlich erstmals in einem Bundesland stärkste Partei zu werden. Die Abwehrschlacht hat schon begonnen, auf allen Fronten wird mit zum Teil recht brutaler medialer Unterstützung versucht, die FPÖ in die Schranken zu weisen, aber das wird in Kärnten nicht gelingen. Die Entscheidungen werden wir im Herbst treffen.

 

Die FPÖ betreibt seit zwölf Jahre Erneuerungspolitik. Das politische System scheint sich aber stabilisiert zu haben. Wie schaut die mittel- oder längerfristige Planung Ihrerseits und für die FPÖ insgesamt aus?

HAIDER:

Ich glaube, daß sich das System nicht gefestigt hat, sondern daß es ein kurzfristiges Aufbäumen ist vor dem Ende einer Ära. Das wird auch deutlich, wenn man sich anschaut, mit welchen Methoden der Staat noch finanziert wird: indem man still und heimlich auf die Gewinne der österreichischen Nationalbank zurückgreifen muß, um Budgetlöcher zu stopfen und Maastricht-Kriterien zu erreichen. Die beiden Regierungsparteien versuchen offenkundig, das Wahljahr 1999 zu überstehen.

 

Hat die FPÖ die Kraft, weiter Erneuerungspolitik zu betreiben, die diese Mißstände aufdeckt und Alternativen anbietet?

HAIDER:

Ich glaube, daß für uns überhaupt kein Problem besteht, noch zehn, fünfzehn Jahre eine dynamische Erneuerungskraft zu sein.

 

Weil der Jörg Haider eine Adenauer-Karriere anstrebt?

HAIDER:

Ich habe am Beginn meiner Tätigkeit gesagt: "Wer mit mir geht, geht auf einen langen Marsch." Das ist ein langer Marsch, ein langer Marsch durch die Institutionen des österreichischen Parteien- und Proporzstaates. Da muß man Geduld haben, da muß man auch Pausen einlegen können. Das, was die FPÖ in der momentanen Situation braucht, das ist die Konzentration auf ihre wesentliche Aufgabe: Die Selbstfindung, das Säubern der Partei – und ich sage ganz bewußt "das Säubern" – von Elementen, die nicht verstanden haben, was freiheitliche Politik ist, daß das nämlich ein idealistischer Auftrag ist und nicht eine günstige Gelegenheit, um Geld zu verdienen. Dann wird diese FPÖ eine nicht wegzudiskutierende demokratische Größe in unserem Gemeinwesen sein.

 

Gegenwärtig schaut es so aus, als wären die 68er Linken am Ziel ihres Marsches durch die Institutionen angelangt. Sie sitzen in den Medien und an den Schalthebeln. Will der Gegen-68er Haider den Machtanspruch der linken 68er überdauern?

HAIDER:

Wir sind die eigentlichen Reformer, denn die Linken sind die strukturkonservativen Bewahrer geworden, die heute in den Schaltstellen sitzen, die Büros der Minister bevölkern oder selbst Mandate haben und nur bestrebt sind, Machterhalt zu betreiben, während wir in diesem Land diese starren Strukturen aufbrechen wollen. Wir sind die Reformbewegung, die 1848 begonnen hat und die in Österreich unverzichtbar ist. 1848 oder 1918 oder 1956 mit all den Beiträgen, die das freiheitliche Lager seither für die Entwicklung der direkten Demokratie, den Ausbau der Bürgerrechte, die Zurückdrängung der Parteibuchwirtschaft geleistet hat, zeigen, daß wir in einer historischen Kontinuität eine Aufgabe erfüllen, die bisher niemand anderes angenommen hat.

 

Aber Jörg Haider beruft sich in letzter Zeit immer wieder auch auf Persönlichkeiten, die diese strukturkonservativen Linken repräsentieren, die eigentlich pragmatische Spätlinke sind. Ist das die "Politik jenseits von links und rechts"?

HAIDER:

Ich war in meiner Fundierung nie ein Ideologe, sondern immer ein Pragmatiker. Wer meine Thesen kennt, weiß, daß ich immer gesagt habe, daß das Entscheidende ist, daß die Politik Antwortcharakter auf aktuelle Herausforderungen hat, auf der Grundlage von festen Grundsätzen. Wobei Grundsätze aus jenem Geist schöpfen, der 1848 unsere Bewegung gegründet hat: Freiheitsrechte, geschriebene Verfassung, rechtsstaatliche Prinzipien; aber fern davon, daraus eine Ideologie zu machen, ein Gedankengebäude, das ein in sich geschlossenes System gleichsam mit religiösem Charakter entwickelt, aus dem es kein Zurück mehr gibt. Das ist eine freiheitsfeindliche Entwicklung, die ich nicht mitmachen würde. Damit sind wir also die eigentlichen Reformer, bei denen alle anderen Anleihen machen, bis hin zu Blair und Schröder, die jetzt Dinge vertreten, die wir seit vielen Jahren geschrieben, gedacht und gesagt haben.

 

Das heißt also, Jörg Haider als Erneuerungspolitiker für Österreich mit einem großen historischen und auch politischen Atem, der die Unbillen dieser Tage und Wochen vorhat zu überstehen?

HAIDER:

Das ist wie bei einer Bergtour, wo man einmal in ein Gewitter kommen kann. Da kann man sich auch nicht aus dem Seil aushängen und hinunterspringen, sondern man versucht, möglichst im Geschützten zu verharren, bis das Unwetter abgezogen ist, ohne dabei Fehler zu machen, die einen absturzgefährdet erscheinen lassen. Jedes Ereignis, das einen fordert, schafft auch eine weitere Stufe zur Reife, um eine große Verantwortung im Land tragen zu können. Wer Stehvermögen in Krisensituationen beweist, hat die Kraft, in schwierigen Situationen ein Land gut zu führen.
 
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