© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/98 12. Juni 1998

 
 
Rechtschreibreform: Bürgerinitiative erfolgreich/Verfassungsschutz stigmatisiert Kritiker
Angriff auf kulturelle Eigenheiten
von Thorsten Thaler

In Schleswig-Holstein findet voraussichtlich die erste Volksabstimmung in einem Bundesland über die umstrittene Rechtschreibreform statt. Der Landesabstimmungsausschuß will das endgültige Ergebnis einer Unterschriftensammlung von Reformgegnern zur Erzwingung eines Volksentscheides zwar erst am Donnerstag dieser Woche treffen. Nach Angaben des Landesabstimmungsleiters Dietmar Lutz gilt es aber als sicher, daß die Bürgerinitiative "WIR gegen die Rechtschreibreform" weit mehr als die erforderlichen 106.000 Unterschriften gesammelt hat.

Der schleswig-holsteinische Landtag, der sich voraussichtlich Anfang Juli mit dem Bürgerbegehren befassen wird, muß dann einen Termin für den Volksentscheid innerhalb von neun Monaten festlegen. Der Sprecher der Bürgerinitiative "WIR gegen die Rechtschreibreform", Michael Dräger, favorisiert eine Zusammenlegung mit der Bundestagswahl am 27. September. Dies würde die Beteiligung erhöhen und dem Land Kosten ersparen. Nach einer in Schleswig-Holstein gültigen Klausel müssen mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten (etwa 530.000) gegen die Rechtschreibreform votieren, wenn die Volksabstimmung Erfolg haben soll.

Bereits am 14. Juli will das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der neuen Rechtschreibregeln fällen. Kläger in diesem Verfahren ist ein Lübecker Ehepaar. Der im Kieler Landtag geäußerten Hoffnung, daß sich mit dem Urteil des höchsten deutschen Gerichts auch der Volksentscheid erledigt habe, widerspricht Reformgegner Dräger. "Unabhängig davon, was in Karlsruhe entschieden wird, wollen wir mit unserem Volksentscheid das Schulgesetz ändern", so Dräger.

Unterdessen hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in seinem aktuellen Jahresbericht 1997 die Aktionen gegen die Rechtschreibreform der "Neuen Rechten" zugeordnet. Die Ablehnung der neuen Rechtschreibregeln gilt den beamteten Verfassungshütern unter der Aufsicht eines SPD-Innenministers als "rechtsextremistisches Kampagnenthema". Wörtlich heißt es in dem Bericht: "Die Kampagne gegen die Rechtschreibreform fügt sich im Kontext rechtsextremistischer Agitation in die Islamismus- und Eurokampagne insofern ein, als auch hier ein Angriff auf die kulturelle Eigenheit des deutsche Volkes gesehen wird."

Als Beleg für ihre eigenwillige Einschätzung zitieren die Verfassungsschützer eine Kolumne des Starnberger Friedensforschers und ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Alfred Mechtersheimer, in der jungen freiheit. Am 14. November vorigen Jahres hatte Mechtersheimer in dieser Zeitung geschrieben: "Zu allem Überfluß soll mit einer hirnrissigen Rechtschreibreform der deutschen Sprache der Garaus gemacht werden. (…) Regelverstöße werden ganz im Zeitgeist nicht dadurch vermieden, daß man die Regeln beachtet, sondern dadurch, daß man sie abschafft. Das alles paßt zu einem Land, in dem sich viele Millionen mit und ohne deutschen Paß mit einem Multi-Kulti-Radebrech herumschlagen. Sie reden wie ihnen der Schnabel verwachsen ist. Das sind Vorboten einer Gesellschaft, die sich auf dem Niveau der Gossensprache nivelliert."

Für einen der prominentesten Kritiker der Rechtschreibreform, den Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk, ist die behördliche Einstufung der Aktionen gegen das Regelwerk als rechtsextremistisch "reiner Blödsinn". Gegenüber der Jungen Freiheit sagte Denk auf Anfrage: "Weil den Befürwortern der Rechtschreibrefom zu den Argumenten der Reformgegner nichts mehr einfällt, versuchen sie, die Kritiker in die rechte Ecke zu stellen."

Denk erinnerte daran, daß die Reformkritiker "völlig unabhängig von jeder parteipolitischen Ausrichtung" zusammen aufgetreten seien. Tatsächlich gehörten zu den ersten Unterzeichnern der von Friedrich Denk im Oktober 1996 initiierten "Frankfurter Erklärung", die den Protest gegen die Rechtschreibreform ins Rollen brachte, so unterschiedliche Charaktere wie Günter Grass und Martin Walser, Siegfried Lenz, Walter Kempowski und Botho Strauß, Eckard Henscheid, Günter de Bruyn und Ernst Jünger.


 
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