© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/98 12. Juni 1998

 
 
Zweiter Weltkrieg: In Japan sorgt ein Film für Aufsehen
Stolz und Vorurteil
von Hans B. von Sothen

Ein japanischer Film sorgt zur Zeit in Ostasien für Aufregung. "Stolz" heißt er, und Stolz auf die eigene Geschichte soll er vermitteln. Er erinnert dabei allerdings an ein Ereignis, das viele Japaner lieber vergessen würden, an die Tokioter Kriegsverbrecherprozesse 1946 bis 1948, ein japanisches Pendant zum Nürnberger Tribunal. In ihm mußten sich General Hideki Tojo und 27 Mitangeklagte verantworten. 419 Zeugen wurden gehört, 25 Angeklagte wurden verurteilt, davon sieben zum Tode, darunter Tojo. Der Film formuliert antiwestliche, sprich antiamerikanische Stimmungen, die in Japan seit Kriegsende immer wieder virulent gewesen sind. Er zeigt den verletzten Stolz und die heimliche Verachtung vieler Japaner, deren erster Tenno schon vor Christi Geburt herrschte, gegenüber einer Kultur, die sie nicht verstehen will.

"Pride" – merkwürdigerweise benutzt der japanische Filmtitel das englische Wort für Stolz – basiert zu großen Teilen auf Unterlagen der 6ojährigen Enkeltochter Tojos, Yuko Iwanami. "Ich möchte, daß die Leute verschiedene Seiten von Tojo kennenlernen, … denn die Verbesserung des Bildes von Tojo bedeutet die Verbesserung des Bildes von Japan", so Frau Iwanami. Dem schließt sich auch der Filmkonzern Toei an, der umgerechnet rund 20 Millionen Mark in die zweijährigen Dreharbeiten gesteckt hat. Hauptfinanzier des Films ist der Chef der Immobilienfirma Higashi Nihon, Isao Nakamura. Der hatte ursprünglich einen Film über den indischen Richter der Tokioter Prozesses, Radhabinod Pal, angeregt, der im Falle Tojo als einziger eine abweichende Meinung vor Gericht vertrat. Pal, ein Experte für Internationales Recht, äußerte die ungeheuerliche Meinung, daß, wenn die Alliierten die Japaner wegen des Krieges anklagen wollten, sie sich zunächst einmal selbst wegen des Abwurfes von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zu rechtfertigen hätten.

In der Tat sind heute einige wesentliche Beschuldigungen des Kriegsverbrecherprozesses zu korrigieren. So relativiert die neuere Geschichtsforschung, etwa der amerikanische Historiker Peter Wetzler, insbesondere die wichtigsten aufgestellten Behauptungen des Tribunals. Eins von Tojos Hauptverbrechen war der Angriff auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor. Doch schon der 1947, also noch während des Tokioter Prozesses, veröffentlichte Bericht für den amerikanischen Kongreß von George Morgenstern (jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienen: "Pearl Harbor – Eine amerikanische Katastrophe", Herbig Verlag, München 1998) wies auf die erhebliche Mitverantwortung des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt an Pearl Harbor hin. Auch das Wissen Tojos um das schreckliche Massaker von Nanking von 1937 mit geschätzten 260.000 Opfern ist historisch äußerst zweifelhaft.

Es war US-General Douglas MacArthur, der die Richter des Tribunals angewiesen hatte, den japanischen Kaiser von der Anklage auszunehmen, um ihn als stabilisierendes Element der Nachkriegspolitik zu bewahren. Der General hatte offenbar den törichten Plan der Alliierten noch gut in Erinnerung, nach dem Ersten Weltkrieg den früheren deutschen Kaiser Wilhelm II. vor einem internationalen Gericht als Kriegsverbrecher anzuklagen – wiewohl es natürlich zwischen der Stellung des deutschen und des japanischen Kaisers erhebliche Unterschiede gegeben hatte.

Als der amerikanische Hauptankläger im Tokio-Prozeß, Joseph Keenan, Tojo ins Kreuzverhör nahm, bestätigte der General, daß der Kaiser "dem Krieg, wenn auch nur widerwillig zugestimmt" habe. Aber er fügte hinzu: "Keiner von uns hätte es gewagt, gegen den Willen des Kaisers zu handeln." Das brachte nun die ganze Anklage durcheinander. Tojo mußte erst von dem engsten Vertrauten des Kaisers, Graf Kido, dazu gebracht werden, seine Aussage zu revidieren. Der Kaiser, meinte Tojo dann eine Woche später, sei gegen den Krieg gewesen. Seine "Friedensliebe und seine Sehnsucht nach Frieden blieben bis zum Ausbruch der Feindseligkeiten immer gleich und auch während des Krieges änderten sich seine Gefühle nicht".

Nach dem Ende des Krieges versuchte zunächst die amerikanische Zensur, den Japanern demokratisches Denken bezubringen. Japanische Vergangenheit war tabu. Nicht nur Filme mit Samuraikämpfern waren verboten, sondern auch nicht weniger als 98 verschiedene Stücke des uralten Kabuki-Theaters. Auch Gedichtanthologien aus dem Mittelalter mußten erst auf Spuren eventueller "ultranationalistischer" Gesinnung überprüft werden.

1946 etwa mußte aus einem Spielfilm eine Szene herausgeschnitten werden, die arbeitende Bauern am Fuße des heiligen Berges Fuji zeigte, dem Wahrzeichen Japans.

Das Thema des verlorenen Weltkrieges war im japanischen Film stets präsent. Schon 1946 hatte der linke Regisseur Fumio Kamei die Rolle des Kaisers scharf kritisiert. Das ging bei der amerikanischen Zensurbehörde zunächst unbeanstandet durch. Er wurde erst später auf Vorstellungen von Ministerpräsident Shigeru Yoshida bei General Willoughby, der Film sei subversiv, verboten.

Wie in Deutschland, gab es auch in Japan unmittelbar nach dem Krieg eine Art Trümmerliteratur. So schrieb der linksgerichtete Essayist Sakaguchi Ango 1946: "O Volk Japans, o Japan, ich will, daß ihr verworfen seid. Japan und die Japaner mußten erniedrigt werden! Solange das Kaiserreich besteht, solange solche historisch überlebten Institutionen mit der Idee der Nation verbunden bleiben, solange werden sie auch weiter manipuliert werden, und wir werden in diesem Land unser Leben als Menschen nicht entfalten können." Mit der geballten ideologischen Wirkung einer deutschen "Gruppe 47", einem Schnurre, Böll oder Andersch war das, was in Japan geschah, jedoch nicht zu vergleichen.

Zwar wurde nach 1980 von den linken Intellektuellen Japans eine zunehmend japankritische Sicht deutlich wie etwa beim Dokumentarfilm "Tokio-Tribunal" von Masaki Kobayashi (1983), der die Rolle Japans sehr kritisch sieht, aber auch an den Amerikanern wurde kein gutes Haar gelassen.

Aufarbeitungsfilme mit Breitenwirkung wie Wolfgang Staudtes Film "Die Mörder sind unter uns" (1946), die DEFA-Verfilmung von "Nackt unter Wölfen" des DDR-Autors Bruno Apitz (1959) bis hin zum Hollywoodfilm "Holocaust" (1979) gab es in Japan praktisch nicht. Der Ansatz der Rettung nationaler Identität trotz der geschehenen Verbrechen, der in Japan auch von links verfolgt wird, ist filmisch in Deutschland praktisch nur durch Hans-Jürgen Syberberg vertreten, der denn auch vom deutschen Feuilleton mit tiefer Mißachtung gestraft wird.

Filme wie "Adler des Pazifik", der Admiral Yamamoto, den Planer des Angriffs auf Pearl Harbor, zur Hauptfigur hatte und "Yamashita Tomoyuki" (beide von 1953), der den Prozeß gegen General Yamashita als Scheinprozeß darstellte, nahmen sich des Themas von rechts an. Auch im Falle Yamashitas hat die Historiographie inzwischen wesentliche Teile des Schuldspruchs von Tokio revidiert.

"Stolz" ist allerdings der erste Film, so Far Eastern Economic Review, der einen rechten Standpunkt nicht nur für Rechte, sondern für den Mainstream formuliert. Westliche Beobachter tendieren dazu, deutsche und japanische Gedächtniskultur auf Unterschiede in den Mentalitäten zu schieben. Ob all diese Unterschiede jedoch, wie Ruth Benedict in ihrem Buch "The Chrysantemum and the Sword" (1946) behauptet hat, allein mit der japanisch-konfuzianischen "Kultur der Schande" und der westlichen "Kultur der Schuld" zu erklären sind, mag anzuzweifeln sein, sicher ist aber, daß diese unterschiedlichen Kulturen bei der Sicht auf die Vergangenheit noch heute eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.


 
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