© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/98 05. Juni 1998

 
 
Erziehungsgeld: Sachsens CDU legt ein Modell vor
Mutterschaft honorieren
von Paul Leonhard

Für die PDS ist es ein Trojanisches Pferd zur weiteren radikalen Privatisierung, für die SPD ein bereits vor hundert Jahren von Frauenrechtlerinnen angesprochenes Thema: die Einführung eines staatlichenErziehungsgeldes.

Sachsens Sozialminister Hans Geisler (CDU) hat ein entsprechendes Modell aufgegriffen und in seinem Haus weiterentwickeln lassen. Die Christdemokraten hoffen damit, den Familien das Ja zum Kind zu erleichtern, denn die Sachsen werden seit der friedlichen Revolution 1989 immer weniger.

Nach dem im Dresdner Landtag vorgestellten Modell sollen Eltern künftig für jedes Kind bis zum dritten Lebensjahr 1.100 Mark netto und bis zum sechsten Lebensjahr 800 Mark erhalten. Jede Familie könne so frei entscheiden, ob sie ihre Kinder in einer Einrichtung, lieber selbst zuhause oder von einer anderen geeigneten Person erziehen lassen möchte, betont Geisler. "Definitives Ausgestaltungsmerkmal meines Erziehungsgehaltsvorschlages ist die Unabhängigkeit der Leistung von dem Umfang der Erwerbstätigkeit der Eltern."

Das Erziehungsgehalt soll jeweils die Erziehungsleistung für ein Kind honorieren und unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit der Eltern gezahlt werden. Darin liegt auch ein wesentlicher Unterschied zum derzeitigen Bundeserziehungsgeld. Das wird nur dann gezahlt, wenn ein Elternteil maximal 19 Wochenstunden erwerbstätig ist.

Die Unabhängigkeit vom Umfang der Erwerbstätigkeit werde allerdings an anderer Stelle des Geisler-Papiers wieder aufgeweicht, kritisiert die SPD-Abgeordnete Gisela Schwarz. Da werde beispielsweise eine Staffelung des Erziehungsgehaltes nach dem Erwerbstätigkeitsumfang für denkbar gehalten. Überdies befürchten die Sozialdemokraten eine Aushöhlung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz und "drastische Einschnitte" im Kinderkrippenbereich. Der Ausstieg aus der jetzigen Finanzierung der Kindertagestätten lasse einen in der Qualität unübersichtlichen Markt an Kinderbetreuungsangeboten entstehen, warnt Frau Schwarz.

Ungeklärt sei auch die Finanzierbarkeit des Modells. Zwar würden viele spontan die Idee des Erziehungsgehaltes bejahen, aber es zu bezweifeln, daß sie auch bereit seien, zusätzliche Abgaben dafür in Kauf zu nehmen. Anreize für eine berufliche Qualifizierung im Haus und für einen beruflichen Wiedereinstieg nach der Erziehungszeit würden nicht gegeben. Statt dessen werde ein "massiver Druck" auf Frauen ausgeübt, den Arbeitsmarkt zu verlassen.

Die Staatsregierung wittere in dem Erziehungsgehalt-Modell eine "reale Chance zur Einsparung öffentlicher Haushaltsmittel" in Höhe von 13 Milliarden Mark bei den Kindertagestätten, vermutet die PDS. Schließlich soll das bisherige Erziehungsgeld entfallen und Sozialhilfe, Wohngeld sowie andere einkommensabhängige Leistungen reduzieren sich. Außerdem würden die Familien durch die Beiträge, Zusatzsteuern oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer, mit denen das Erziehungsgehalt finanziert werden müsse, zusätzlich belastet, betont Angela Schneider (PDS).

Die SED-Nachfolgepartei fordert entweder eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit für Erziehende bis zur Hälfte bei entsprechendem Lohnausgleich oder eine bezahlte Freistellung bis zu einem Jahr bei Lohnausglech in Höhe von 90 Prozent. Dritte Alternative: Freistellung bis zu zwei Jahren, auch als Zeitkonto, verbunden mit der Zahlung einer sozialen Grundsicherung. Das Geisler-Modell jedoch, so Frau Schneider, sei nur für den Reißwolf geeignet. Selbst die CDU-Fraktion in Dresden räumt ein, daß das Geisler-Modell "mit Sicherheit noch nicht bis zum Ende durchdiskutiert" ist.


 
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