© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/98 05. Juni 1998

 
 
Pankraz, H.-H. Tiedje und die Offensive der Spaßmacher

Man mag es kaum noch hören: "Hauptsache, es hat Spaß gemacht." Unzählige Male schallt einem die Phrase Tag für Tag entgegen. Der "Spaß" ist zur großen Meßlatte für alles und jedes geworden. Was keinen "Spaß" macht, das lohnt sich nicht wirklich, selbst wenn es sich üppig auszahlt, wenn es "was einbringt".

Dabei wissen die Spaß Suchenden in der Regel nicht, was sie eigentlich suchen. Allenfalls wissen sie, wem sie mittels Spaß entkommen wollen: der Langeweile, dem Stumpfsinn, dem "ennui", der ewigen Wiederholung des Immergleichen. Spaß verheißt Abwechslung, Unterbrechung des täglichen Trotts, Anti-Routine.

Andererseits darf die Anti-Routine nicht in Anstrengung ausarten, jedenfalls nicht in allzu große, weil einem dann "der Spaß vergeht". Langwierige, schwere Geistesarbeit macht keinen Spaß: Brüten über bestimmte Problemlösungen, mühsames Herausmeißeln optimaler Gestalten, Ausfüllen großer Strecken, damit eine Sache zu ihrem Abschluß kommt. All diesen Unternehmungen fehlt der "thrill", der offenbar zum Spaß dazugehört, der Triumph sofortiger Genugtuung. Spaß Suchende können nicht warten. Sie finden ihr Ziel nicht in Werken, sondern in Situationen.

Freilich wollen sie es dabei immer gemütlich haben. Ein bißchen Nervenkitzel, ein bißchen bängliche Erwartung, ein bißchen Sich-Aussetzen – das ja. Aber um Himmels willen keine echte Gefahr, kein Spiel um Kopf und Kragen, kein unkalkulierbares Risiko! Der erleichterte Seufzer "Das ist gerade noch mal gutgegangen" markiert das schiere Gegenteil zu "Das hat Spaß gemacht".

Der Spaß ist ein ebenso feiges wie faules Tier, ein Kind heißer, südlicher Gefilde, wo einem die reifen Früchte mehr oder weniger ins Maul wachsen. Nördliche Völker kannten das Wort "Spaß" lange Zeit gar nicht. Ins Deutsche zog es erst im siebzehnten Jahrhundert ein, kam aus dem Italienischen, wo es so viel wie "behagliche Belustigung am Feierabend" bedeutete.

Der Wortstamm liegt im lateinischen "expandere", was bekanntlich "sich ausbreiten" heißt. Einen Spaß haben meinte also, daß sich die Seele voller Behaglichkeit in die Zeit hineinbreitete, sie verdrängte, sie nicht nutzte, sondern gewissermaßen totschlug, vergessen machte. "Wir haben viel Spaß gehabt, die Zeit ist dabei wie im Fluge vergangen", sagt man denn auch.

Im Grunde ist der Spaß ein Zuschauer, kein Akteur. Die "Spaß-macher" (die ioculatores bei den alten Römern, die sogenannten Fernseh-Unterhalter heute) haben selber wenig Spaß, wenn überhaupt. Für sie ist das Spaßmachen harter Job, sehr oft sogar – wenn ihnen etwa als aktiven Teilnehmern von Game-Shows grüne Pampe übers Gesicht gegossen wird – Demütigung und Verlächerlichung. Sie machen, so sie es fertigbringen, gute Miene zum bösen Spiel, während die Zuschauer sich vor Vergnügen auf die Schenkel schlagen und eben ihren Spaß haben.

Könnte es sein, daß auch diese Spaßhaber gar nicht so glücklich sind, wie sie es sich vielleicht im Moment des Spaßhabens einbilden? Sie versuchen, sagte Pankraz, der Langeweile, dem Stumpfsinn zu entgehen. Wird ihnen bei den Scherzen der Ioculatoren, aber wirklich Abwechslung zuteil? Oder erfahren sie nur ein Echo des Stumpfsinns, dem sie entgehen wollen, so daß sich ihre Verzweiflung à la longue sogar noch steigert?

"Spaß muß sein" – das ist wohl wahr. Wer den Tag über an wichtigen Dingen gearbeitet und/oder sich Risiken ausgesetzt hat, der hat ein bißchen Abendspaß allemal verdient. Was aber, wenn wichtige Dinge sich nicht mehr zur Bearbeitung anbieten, Risiken sich gar nicht mehr stellen? Was, wenn das Spaßhaben selber zur Alltagsroutine, zur einzig verfügbaren "Beschäftigung" für Millionen von Menschen wird, wenn der Spaß zur Hauptsache wird? Wird dann nicht eine kritische Grenze erreicht, wo die Suche nach Spaß sich in sozialen Sprengsoff verwandelt?

Pankraz’ alter Lehrer Ernst Bloch schärfte einst seinen Schülern in Leipzig ein, daß Revolutionen keineswegs immer nur wegen sozialer Not ausbrechen müßten, es könne auch Revolutionen aus lauter Langeweile geben, und diese Revolutionen seien "nicht weniger legitim" als die aus sozialer Not geborenen. Damals, in Hinblick auf die überknappen Verhältnisse, klang solches Reden reichlich illusionär, doch inzwischen ist viel Wasser die Pleiße und den Rhein hinuntergeflossen und die Überwindung des Stumpfsinns geradezu zur schreienden Notwendigkeit geworden.

Alles geht (angeblich) seinen Gang, ohne daß der einzelne etwas daran ändern könnte, ja, ohne daß er dazu auch nur im geringsten noch gebraucht würde. Alle kühnen Ideen scheinen blamiert, alle Geheimnisse enthüllt, alle Entscheidungen längst gefallen. Die Erfindungen und "Scherze" der Spaßmacher werden immer alberner, aufgewärmter und austauschbarer. Das Gelächter des Auditoriums kommt nur noch vom Band und aus dem Lachsack. Die erlaubten "thrills" für junge Leute erschöpfen sich in Bungee-Springen und der Benutzung von Deodorants, die die Werbung als "extrafrisch" anpreist.

In solcher Lage bleibt, scheint’s, tatsächlich nur noch die Revolution oder wenigstens der Regierungswechsel, damit die Möglichkeit zum Spaßhaben nicht gänzlich den Bach hinuntergeht. Nicht die Steigerung des sogenannten Sozialprodukts, sondern die Steigerung des kollektiven Spaßprodukts wird zur politischen Aufgabe Nummer eins für Bonn.

Die Amtsinhaber scheinen das dumpf zu spüren. Wie anders sollte man sich sonst erklären, daß der Bundeskanzler den Oberspaßmacher Hans-Hermann Tiedje zu seinem Chefberater im gegenwärtigen Wahlkampf bestellt hat? Ob das reicht, darf bezweifelt werden. Der Mann hat doch nur grüne Pampe in der Hinterhand.


 
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