© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/98 05. Juni 1998

 
 
Südtirol: Journalist veröffentlicht eigen Untersuchung zum "Fall Waldner"
Neue Zweifel am Urteilsspruch
von Jakob Kaufmann

In der vorigen Woche hat der Journalist Artur Oberhofer in Bozen sein Buch über den "Mordfall Waldner" vorgestellt. Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Christian Waldner war am 15. Februar vergangenen Jahres in seinem Hotel Reichrieglerhof oberhalb Bozens ermordet worden. Fünf Tage nach dem Verbrechen präsentierte die Polizei einen Geständigen: den langjährigen politischen Weggefährten Waldners, Peter Paul Rainer.

Schon bald kamen Zweifel an der Geständnisversion auf: Südtiroler Medien enthüllten Widersprüche in der Aussage Rainers. Mitte März vorigen Jahres berichtete die Presse, daß der Journalist Artur Oberhofer von der Neuen Südtiroler Tageszeitung im Besitz eines siebenseitigen Geständniswiderrufs sei. Kaum hatte Oberhofer von dem Schreiben im Freundeskreis erzählt, rückte die Polizei auch schon zur Hausdurchsuchung und Leibesvisitation an. Rainer widerrief sein Geständnis offiziell zu Prozeßbeginn. Dennoch wurde er wider alle Sachbeweise wegen des Mordes an Waldner verurteilt. Das Landesgericht Bozen verhängte dafür eine zwanzigjährige Gefängnisstrafe und zusätzlich zweieinhalb Jahre wegen illegalen Waffenbesitzes.

Oberhofer kommt in seinem Buch ("Mordfall Waldner. Die Tat, die Beweise, die Hintergründe", Edition Arob, Bozen 1998) zu dem Schluß, daß der Verurteilte effektiv nicht der Mörder gewesen sein kann. Der Journalist stützt seine Erkenntnisse hauptsächlich auf 3.000 Seiten Gerichtsakten, zusätzlich auf seine eigenen Recherchen und Gespräche mit Haupt- und Nebenakteuren dieses wohl inzwischen prominentesten Falles der Südtiroler Kriminalgeschichte.

Er machte im Geständnis siebzehn Punkte aus, die nicht mit der Wirklichkeit der Tat übereinstimmten. Auf Nachfrage gestand Rainer, mit derselben Waffe auf Waldner geschossen zu haben, die er ein halbes Jahr zuvor erworben und zu Schießübungen im Parteibüro der Freiheitlichen Südtirols benutzt hatte. Beide Gerichtsgutachten, sowohl der Verteidigung als auch der Anklage, widerlegten, daß es sich um dasselbe Gewehr gehandelt habe. Rainer gibt im Geständis an, er habe sich nach der Tat mit dem Schlüssel zu dem Zimmer, wo er Waldners Leiche eingesperrt hatte, und mit blutverschmiertem Papier sowie Glasscherben in den Händen ans Steuer seines Autos gesetzt. Während der Fahrt habe er das alles aus dem Fenster seines Wagens geworfen. Papier und Scherben hatten Arbeiter bereits vor Rainers Verhörnacht an einer Böschung zwischen Hotel und Bozener Innenstadt entdeckt. Allerdings fanden sie das alles so vor, als sei es dort eher abgelegt und nicht während einer Autofahrt herausgeschleudert worden. Die Schlüssel waren bis dato nicht aufzufinden: trotz des Einsatzes von Metalldetektoren. Der anfänglich Geständige sagte zudem aus, sein Auto zur Tatzeit vor dem Hotel geparkt zu haben. Die ehemalige Sekretärin des Ermordeten bezeugte aber, Rainers Wagen dort zu diesem Zeitpunkt nicht gesehen zu haben. Abgesehen von widersprüchlichen Details ist es bezeichnend, daß Rainer in seinem Geständnis keine Einzelheit anführte, die nur der Mörder hätte wissen können. Alles, was er angab, konnte er der Presse entnommen haben.

Oberhofer wirft die berechtigte Frage auf, warum den Ermittlern keine Widersprüche aufgefallen sind. Er führt eine Kette von Fehlern an, die der Polizei bei den Untersuchungen unterlaufen sind. So ist das Gewehr, das als Tatwaffe gehandelt wurde, nie auf Fingerabdrücke untersucht worden. Der Journalist kommt zu dem Schluß, daß so viele Mißgeschicke zusammen im Laufe der polizeilichen Nachforschungen kein Zufall sein können.

Der Autor erklärt, wie es zu dem merkwürdigen Geständnis kommen konnte. Er zitiert dazu einen kriminalpsychologischen Experten, der sich mit solchen Ausagen auseinandergesetzt hat. Gleich mehrere Motive dafür hat der Wissenschaftler herausgearbeitet, darunter "psychischen Druck" und die "bewährte Technik des Zuckerbrot und Peitsche" der Ermittler beim Verhör. Oberhofer zitiert dazu auch aus einem Dossier der Verteidigung für den Berufungsprozeß. Darin schildert Rainer, warum er sich zum Geständnis gezwungen sah. Rainer rekonstruiert die Äußerungen, die ihn unter Druck setzten: "Wenn Sie gestehen, bevor der Staatsanwalt und ein Anwalt kommen, dann ist das zu Ihren Gunsten. Wir können Sie zum Mörder machen oder als freier Mann zur Tür hinauslassen, wie Sie hereingekommn sind." Die Fragen, die die Polizisten nach seiner Erinnerung gestellt haben, bezogen sich hauptsächlich auf die Politik des Südtiroler Selbstbestimmungslagers. Die Ermittler versuchten demnach, ihn dazu zu bringen, gegen die Schützen, die Freiheitlichen und die Lega Nord Umberto Bossis auszusagen. Rainer soll dabei auch nach Waffenlagern gefragt worden sein, die die Südtiroler Schützen angeblich in Österreich und Südtirol angelegt haben sollen. Provokativ will er geantwortet haben: "Darf es gegen die Union für Südtirol auch etwas sein?" Chefermittler Alexander Zeiger, der inzwischen zum Bundeskriminalamt (BKA) nach Wiesbaden befördert wurde, soll daraufhin gemeint haben, die Union von Eva Klotz habe "zu geringe außenpolitische Kontakte". Nach Rainers Aussage seien die Ermittler darauf aus gewesen, daß er Kreise in Deutschland und Österreich durch seine Aussage kriminalisiere.

Die Darstellung Rainers erscheint, obgleich ungeheuerlich, durch Fakten, die Oberhofer akribisch zusammen getragen hat, zugleich schlüssig. Der Autor versucht sich durch die Frage, wem die Verhaftung Rainers nützt, der Wahrheit zu nähern. Er verliert sich dabei nicht in Spekulationen, sondern führt Fakten an. Dem Leser überläßt er es, die naheliegenden Schlüsse zu ziehen. Oberhofer zeigt, daß sich die Verhaftung Rainers möglicherweise in die Strategie der Spannung einordnen läßt. Diese Strategie verfolgten italienische Geheimdienstkreise in den achtziger Jahren. Sie wollten damit diejenigen kriminalisieren, die für die Selbstbestimmung Südtirols eintraten. Offiziell heißt es, daß diese Geheimdienstmethoden spätestens seit dem Streitbeilegungsabkommen von 1992 zwischen Österreich und Italien der Geschichte angehörten. Oberhofer zeigt jedoch eine Kontinuität der Strategie auf, die bis in die Gegenwart andauert. Er stellt dar, wie Agent provocateurs noch nach 1992 in die Selbstbestimmungsszene eingeschleust wurden. Die politische Polizei focussierte auch Peter Paul Rainer schon recht früh. Oberhofer druckt in seinem Buch einen Befehl zum Lauschangriff gegen Rainer aus dem Jahr 1989 ab. Damals hatte er als Geschäftsführer der Jungen Generation der Südtiroler Volkspartei (SVP) noch längst nicht die Bedeutung, die er zuletzt bis zu seiner Verhaftung hatte: Er war Mitbegründer und Chefideologe der Freiheitlichen in Südtirol und bestimmte als Bildungsoffizier das öffentliche Auftreten der Schützen in den vergangenen Jahren maßgeblich mit. SVP-Kreise wollten das politische Nachwuchstalent sogar als Generalsekretär ihrer Partei zurückgewinnen. Der Journalist stellt in seinem Buch dar, wie Rainer über Waldner versucht hatte, in Südtirol eine Zusammenarbeit zwischen Freiheitlichen und Lega Nord zu erreichen. Waldner, der mit Rainer die Freiheitliche Partei begründet hatte, war 1995 ausgeschlossen worden und versuchte kurz vor seiner Ermordung eine politische Rückkehr über ein Lega-Nord-Mandat.

Artur Oberhofer nennt diejenigen, die ein Interesse daran gehabt haben könnten, daß diese Koalition zerbrach: nationalische italienische Gruppen (die unbedingt den Gleichschritt der Separatisten verhindern wollten). Tatsächlich schickte eine solche Gruppe nach dem Mord an Waldner ein Bekennerschreiben an eine Veroneser Zeitung. Dieser Spur sind die Ermittler nie nachgegangen.

Oberhofer zeigt andererseits auf, daß die Umstände der Ermordung noch immer undurchsichtig sind. So sollen nach der Gewalttat aus dem Safe des Landtagsabgeordneten Geldbeträge in Höhe von umgerechnet mehreren hundertausend Mark zusammen mit Dokumenten verschwunden sein. Auch dies interessierte die Polizei nicht.

Oberhofers Buch überzeugt durch seine Fülle an Fakten, die leicht verständlich dargestellt werden. Dem Journalist ist es gelungen, dem Leser den Gesamtzusammenhang des Mordfalles Waldner zu erschließen. Um Objektivität bemüht,hinterfragt Oberhofer an den meisten Stellen die Darstellung der Verteidigung. Er hält fest, daß der Angeklagte auch das Recht habe, zu lügen.

Der Autor versucht die Aussagen durch objektive Tatsachen zu untermauern. Nur in einigen Passagen, in denen er die Person Rainers nachzeichnet, unterscheidet Oberhofer nicht mehr klar zwischen Justizopfer und Märtyrer. An diesen Stellen ist das Werk wirklich ein "leidenschaftliches Verteidigungsbuch für Peter Paul Rainer", wie der Autor im Vorwort ankündigt.


 
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