© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Kartell des Mittelmaßes
von Martin Otto

Die PDS wirbt seit einiger Zeit mit der originellen Aussage, sie böte eine andere Politik als "Gerhard Kohl und Helmut Schröder". Die Botschaft ist schnell verstanden: Wie der Kanzler nach der Bundestagswahl heißen wird, das ist von geringer Bedeutung. Die Politik der beiden Spitzenpolitiker ist austauschbar, auch ein Sieg Schröders würde nur einen Personalwechsel ohne Kursänderung bedeuten. Man muß kein Sympathisant der PDS sein, um diese Ansicht zu teilen. Und Gerhard Schröder unternimmt einiges, um den politischen Beobachter in diesem Eindruck noch zu bestätigen.

Auch die sich verdichtenden Spekulationen um das sozialdemokratische Schattenkabinett verheißen wenig Aufbruchstimmung. Rudolf Scharping etwa wird als Außen- oder Verteidigungsminister gehandelt, was auf ein charismatisch fast vollwertiges Kinkel-Rühe-Surrogat hinausliefe. Auch der designierte Sozialminister Walter Riester, ein IG-Metall-Funktionär, verspricht wenig Abrücken vom seit Jahren festzementierten Kurs des Dauerministers Blüm. Däubler-Gmelin für Justiz, Matthäus-Maier oder Simonis für Finanzen reißen niemanden mehr vom Stuhl, was sich von den jetzigen Ressortinhabern freilich genauso sagen ließe. Arme deutsche Linke: Ein charismatischer Regierungswechsel, wie er 1969 angeblich stattfand, umweht von der Aura der Jugend und des Neuen, läßt sich mit dieser Truppe kaum noch bewerkstelligen. Und auch der mutmaßliche Kanzleramtsminister Müntefering strahlt eher die Aura des zähen Parteisoldaten aus, als all die schönen Dinge, für die der bunte Schröderwahlkampf stehen will. Einzig der designierte Innenminister Schily fällt aus dem Rahmen; zumindest der mutmaßliche grüne Koalitionspartner wäre über den vom Terroristenanwalt zum Abhörfreund mutierten Parteiwechsler nicht gerade begeistert. Doch auch ein Bundesminister Schily bedeutet keine Revolution.

In seinen jüngsten Zeitungsanzeigen war Schattenkanzler Schröder noch bemühter als sonst, mit dem Ruf der Überparteilichkeit bürgerlichen Wählerschichten entgegenzukommen. "Erst das Land, dann die Parteien", hieß es da. Das Schattenkabinett scheint dabei umgekehrt verfahren zu sein. Kommt es tatsächlich zum Regierungswechsel, darf sich der Wähler darauf einstellen, daß zunächst einmal diverse Sozialdemokraten ministeriell in Lohn und Brot gebracht werden müssen. Sicher, das gilt für alle Regierungswechsel. Doch die designierte sozialdemokratische Ministerriege erinnert an das, was Schröder seiner Parteiführung vor nicht so langer Zeit selbst vorwarf – an ein Kartell der Mittelmäßigkeit.Wie die Wahl auch ausgeht: es droht eine Wiederholung des Altbekannten, personell wie programmatisch.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen