© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Pfingsten: Aus der Jüngergemeinde Jesu ist die Kirche des Herrn entstanden
Die Erneuerung der Welt ist möglich
von Lothar Groppe S.J.

 

Pfingsten gehört zu den Festen, mit denen selbst gläubige Menschen oft nicht viel anzufangen wissen. Im Gegensatz zu Weihnachten, das gewiß häufig genug seines eigentlichen Wesens entleert wird, das aber mit dem Kind in der Krippe im wahrsten Sinn des Wortes "begreiflich" ist, erscheint Pfingsten allzu abstrakt.

So bleibt für viele nicht mehr als das, womit Goethe seinen "Reineke Fuchs" einleitet: "Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen; es grünten und blühten Feld und Wald."

Angesichts des Massentourismus, der gerade an Pfingsten immer wieder zahlreiche Verkehrsopfer fordert, verfremdete ein Spötter Goethes Verse zu: "Pfingsten, das rasende Fest war gekommen. Es knattern und stänkern rings die PS."

Jedoch für gläubige Christen ist Pfingsten das Fest des Heiligen Geistes, die Vollendung unserer Erlösung, die Geburtsstunde einer neuen Zeit. Im Vorabendgottesdienst erinnert uns die Kirche an den Turmbau von Babel. Es heißt im Buch Genesis: "Die ganze Welt hatte die gleiche Sprache und die gleiche Ausdrucksweise…"

Die Bewohner von Babel beschlossen einen Turm zu bauen, dessen Spitze in den Himmel reicht. Dies war der Ausdruck ihrer gottwidrigen Selbstherrlichkeit.

"Da sprach der Herr: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns! Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen." (Gen. 11,1 ff).

Wer denkt da nicht an unsere moderne Wissenschaft, die gewiß staunenerregende Fortschritte gemacht hat, sich aber oft der Grenzen sittlich erlaubten Handelns nicht mehr be-
wußt ist. – Der Herr verwirrte ihre Sprache, so daß keiner mehr die Sprache des anderen verstand (Gen. 11,7) und die Menschen wurden in alle Winde zerstreut.

In auffallendem Kontrast hierzu stehen die Ereignisse des Pfingstfestes. In der Apostelgeschichte lesen wir: "Da erhob sich vom Himmel her ein Brausen … und erfüllte das ganze Haus, in dem sie weilten …

Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Zungen zu reden…"

Damals waren "fromme Männer aus jedem Volk unter dem Himmel … und jeder hörte sie in seiner Sprache reden." (Apg 2,1).

Aus den bisher so verzagten Jüngern, die aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen versammelt waren, wurden unerschrockene Zeugen der Frohbotschaft, die überzeugend die Großtaten Gottes verkündeten, daß sich etwa 3.000 Menschen taufen ließen.

So entstand an Pfingsten aus der Jüngergemeinde die Kirche des Herrn. Während der Turmbau von Babel zur Verwirrung der Sprache führte, so daß keiner mehr den anderen verstand, ließ die Herabkunft des Heiligen Geistes jeden die Frohbotschaft in seiner Sprache verstehen.

Der Hochmut der Menschen in Babel wurde mit der Verwirrung der Sprache und der Zerstreuung über
die ganze Erde bestraft. Das demütige Hören auf das Wort Gottes führte zum gemeinsamen Sprachverständnis.

Der Bericht der Apostelgeschichte macht deutlich: Eine Erneuerung der Welt ist möglich, der Mensch ist wandlungsfähig. Trotz allen gegenteiligen Anscheins bestimmt letztlich nicht der Ungeist den Lauf der Welt, sondern der Geist Gottes.

Vor seinem Heimgang zum Vater hatte der Herr seinen Jüngern verheißen: "Ich werde euch einen Beistand senden, der euch in die volle Wahrheit einführt, den Geist der Wahrheit." (Joh 16,13).

Zu dieser Wahrheit ist unterwegs, wer sich in seinem Leben ernsthaft um die Erkenntnis der Wahrheit bemüht. Nur Wahrhaftige haben Zugang zu ihr.

Die jüdische Philosophin Edith Stein, eine leidenschaftliche Sucherin der Wahrheit, die den Weg zum Christentum fand und als Karmelitin in Auschwitz starb, ermuntert alle ehrlich Suchenden:

"Es hat mir immer sehr fern ge-legen, zu denken, daß Gottes Barm-herzigkeit sich an die Grenzen der
sichtbaren Kirche bindet. Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht."


 
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