© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Berlin: Die verfehlte Umbenennung eines Bahnhofs
Lehrte liegt nicht in Schlesien
von Peter Muschol

Was haben Otto Grotewohl und Eberhard Diepgen gemeinsam? Nun, beide tilgten den Namen "Schlesischer Bahnhof". Was bei dem einen 1950 noch unterwürfiges Anbiedern war, ist 1998 beim christdemokratischen Landesvatrer schlichtweg historisches Unwissen.

Als 1990 die "Hauptstadt der "DDR" verschwand, folgte ihr mit achtjähriger Verzögerung jener "Hauptbahnhof", der weder zentral lag noch je eine hauptstädtische Bedeutung hatte. Fein war es in dieser Gegend nie. Reisende mit Ledergepäck kamen am Anhalter Bahnhof oder am Zoo an. Hier betraten unzählige Menschen aus den Ostprovinzen und aus Polen den Boden der Reichshauptstadt, in der sie sich ein besseres Leben erhofften. Das soll für die Bundeshauptstadt nicht mehr gelten?

Dem Vorstand der Deutschen Bahn kann kein Vorwurf gemacht werden. Seine Mitglieder surfen im Internet, wo Schlesien nicht vorkommt. Irgendwann soll es einen Protest der Landsmannschaft Schlesien gegeben haben, doch die ist für Bahn und Senat eine Reste-Sammlung uneinsichtiger Greise. Gäbe es in Berlin noch den Nordbahnhof (einen Süd- und Westbahnhof gab es nie), wäre die Ortsbezeichnung Ostbahnhof gerade noch so zu verstehen. Nachdem bereits der Küstriner, Stettiner, Görlitzer Bahnhof verschwunden sind, hätte die Rückbenennung "Schlesischer" mehr als symbolische Bedeutung. Offensichtlich sind die Pläne einer Euroregion Schlesien völlig unbekannt.

Wenigstens liegt das niedersächsische Lehrte nicht in Schlesien. So läuft auch der zentrale Regierungs- (Lehrter) Bahnhof nicht Gefahr, umbenannt zu werden. Doch, wer weiß? Vielleicht dient dieser antiquierte Name nur als Orientierungshilfe unseres künftigen Bundeskanzlers. So weiß er immer, wo er herkommt und vielleicht auch wieder zurück muß.
 
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