© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
CDU-Parteitag: Kohl bläst zum letzten Gefecht
Ab durch die Mitte
von Michael Oelmann

Keine Frage, der CDU-Vorsitzende hat auf dem Bremer Parteitag seine Rede gut "rübergebracht": Souverän, ehrlich, selbstbewußt sollte sie klingen und kam bei den meisten Delegierten offenbar auch so an. Überhaupt zeigte sich die CDU sichtlich bemüht, dem SPD-Infotainment auf deren Leipziger Nominierungsparteitag vor wenigen Wochen Seriosität entgegenzusetzen. Vor allem in Form des väterlich-staatsmännisch wirkenden Kohl. Mit Erfolg. Als Oggersheimer Fels in der politischen Brandung. Geradezu befreit haben die verunsicherten Parteitagsdelegierten den langerwarteten Aufbruch in den Wahlkampf goutiert. Nach zehnminütigen stehenden Ovationen, "Jetzt geht’s los!"-Hurra und dem Entrollen von "Machs noch einmal, Helmut!"-Transparenten mußte sich der Kanzler sogar ein gerührtes Tränchen verdrücken. Oder war das bereits eine Abschiedsträne?

In stürmischen Zeiten, in denen es von links und rechts und von der Mitte kräftig weht, ist für Kohl die Rolle des Staatsmannes die einzig erfolgversprechende. Während Polit-Conférencier Gerhard Schröder die allseits umworbene "Mitte" durch das Techtelmechtel seiner Magdeburger Genossen mit der PDS rückwärts rudernd verläßt, übt der schwergewichtige Kanzler nun seine buchstäblich riesige Gravitationskraft auf die verschreckten "Mittelbürger" aus. Kohls Parteiappell aus Bremen lautet: mit Saumagen und gutkatholischem Vertrauen ins nächste Jahrtausend. Die Frage ist nur, ob die Burschikosität, mit der Kohl an seine Parteigänger appellierte, auch beim Volke ankommt. Die rührende Sentimentalität, mit der Kohl in seiner Vergangenheit als Nachkriegsjugendlicher oder pfälzischer Ministerpräsident kramte – "Ich bin natürlich älter und weiser geworden. Das weiß jeder" –, dürfte wohl vornehmlich auf Pensionärsjahrgänge anregend wirken.

Das programmatische Gerüst seiner Rede, maßgeblich das Werk Schäubles, der am Dienstag seinen Anspruch als Parteivordenker festigen konnte, konzentrierte sich auf das Themenspektrum Arbeitsplätze, Bildungspolitik, Aufschwung Ost – sogar kriminelle Ausländer will man "rauswerfen" (Kohl), wenn sie sich nicht "wie Gäste" benehmen. Das ganze hört sich so vernünftig und einfach an, daß man sich wünschen möchte, Kohl und die CDU wären schon die letzten 16 Jahre an der Regierung gewesen.

Kohl weiß: Er braucht keine Imageerfolge als pragmatischer Visionär, sondern gute Wirtschaftsdaten im Sommer und einen merklichen Rückgang der Arbeitslosen vor September. Irgendwie wird man die Zahlen auch wieder drücken können. Doch auch wenn sich erfreuliche ökonomische Trends in den nächsten Wochen zeigen sollten: Sein Ruf als Verwaltungskanzler wird der wirtschaftspolitische Amateur Kohl nicht los – erst recht nicht gegen den von Wirtschaftsbossen und Industriellen gefeierten Schröder. Und Beispiele aus England und Amerika zeigen, daß auch kurzfristige wirtschaftliche Erfolge die Lebensdauer von Regierungen nicht endlos verlängern.

Darum auch hat erst der neu eröffnete "Lagerwahlkampf" die Karten für die Bundestagswahl neu gemischt. Die tödliche Umarmung mit der PDS, die dem siegessicheren Gerhard Schröder als besonderes Überraschungsei aus Sachsen-Anhalt ins Nest gelegt wurde, ist für Kohl und seine CDU der letzte Rettungsanker. Mit dem Euro als Hauptwahlkampfthema ("eine Erfolgsstory", so Kohl) würde oder wird er katastrophal abstürzen. Jetzt aber kann die CDU die SPD an der roten Socke packen und das sozialdemokratische Terrain aufrollen. Weil in dieser sozialdemokratischen Mitte die Entscheidung gesucht wird, kann Kohl auch weitgehend auf die "harten Themen", wie von der CSU gefordert, verzichten. Vielleicht ahnt man in der CDU aber auch, daß die rechtskonservative Wählerschaft längst an diverse Protestparteien verloren ist. Zuviel patriotisches Pathos kann sich Kohl, der als Liquidator der D-Mark in die Geschichtsbücher eingeht, sparen.

Für Kohl und das Deutschland, für das er steht, ist die Erinnerung an gefüllte Care-Pakete – die er erneut heraufbeschwor – tatsächlich das zentrale historische Moment, aus dem Identifikation und Auftrag erwachsen. Dies mündet in die Aufhebung Deutschlands in Europa. Alle programmatischen Punkte in Kohls Rede orientierten sich letztlich am "fit werden für Europa" und "fit werden für die Welt". Sinnbildlich dafür schimmerte in Bremen ein riesiges Bild der Erde über den Köpfen der CDU-Delegierten. Generalsekretär Hintze drückte es exemplarisch aus: 1990 sei es für die CDU um die Wiedervereinigung gegangen, heute um "Deutschlands Zukunft in Europa". Kohls Deutschlandbild ähnelt dabei seiner eigenen Position: supranational aufgehoben und gleichsam in die "Gechichte" (Kohl) entschwoben. Wäre abzuwarten, wie brutal der Fall in die politische Wirklichkeit wird, wenn dieser provinzielle Kosmopolitismus wie eine Seifenblase zerplatzt. Alles ist möglich am 27. September. Das gilt vor allem für Kohl.


 
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