© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Konfliktpotential: US-Armee mischt sich zunehmend in die Politik ein
Amerikas rechte Vorhut
von Manfred Verweyhen

Als billige Schußwaffen im 16. Jahrhundert dem Landlosen die Möglichkeit gaben, die teure Rüstung des Feudalherrschers zu durchschlagen, versetzte ihn dies erstmals in eine Position der Gleichheit. Die Tage der regional allmächtigen adligen Herren waren gezählt und bald auch die der Kolonialmächte, wie es der amerikanische Unabhängigkeitskrieg erstmals zeigen sollte. Der Begriff des "Bürgers in Waffen" wurde geboren und in der Folgezeit das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten geschaffen. Der moderne Nationalstaat bot dem Individuum im Vergleich zum Mittelalter zuvor undenkbare Freiheiten. Armee und Staatsbürger schienen nun für ewige Zeiten miteinander verwachsen zu sein.

Doch da es kein Ende der Geschichte gibt, brachte auch hier der Wandel der Zeiten grundlegende Veränderungen mit sich. Als die Vereinigten Staaten 1973 die Wehrpflicht abschafften, lag die US-Armee nach acht Jahren Vietnamkrieg moralisch am Boden, war total zermürbt und infolge von Disziplinlosigkeit militärisch gelähmt; die Akzeptanz des Militärs in der Bevölkerung war niedriger denn je. Eine Berufsarmee sollte dies alles ändern, und die Regierung Reagan erwirkte das "Aggressive NCO Training Programme", das strenge Disziplin und militärischen Umgang in die Truppe zurückbrachte. Die amerikanischen Streitkräfte von 1983 waren dann mit jenem ein Jahrzehnt zuvor aus Vietnam abziehenden desorientierten olivgrünen Heerwurm nicht mehr zu vergleichen. Die political correctness schlug zwar noch einige Wunden, doch die Berufsarmee hatte zweifelsohne den Weg zur Besserung alter Mißstände eingeschlagen.

In der Gegenwart hat sich das US-Militär sogar so stark erholt, daß sich eine immer größere Kluft zwischen den Soldaten und der Masse der zivilen Bevölkerung auftut. Der 1,5 Millionen Mann starke Militärkoloß entfaltet zunehmend eine moralisch-ethische und politische Eigendynamik. Im Weißen Haus wird dies mit einer gewissen Nervosität zur Kenntnis genommen, zumal es in letzter Zeit wiederholt vorkam, daß die Generäle dem Präsidenten offen widersprachen. Zuletzt war dies u. a. bei den Einsätzen in Somalia, Bosnien und auf Haiti der Fall. Auch die Frage der Homosexualität wurde und wird in den Streitkräften mit einer klaren Unterstützung seitens der Offiziere wie der Mannschaften ganz anders – nämlich restriktiver – angegangen, als dies bei der Regierung Clinton der Fall ist.

Der Harvard-Politologe Michael Desch ist zu dem Schluß gekommen, daß es der Regierung immer schwerer fällt, die Armee dazu zu bewegen, das zu tun, was offiziell gewünscht wird. Die Freiwilligentruppe hat inzwischen ihren eigenen Ehrenkodex und ein ausgeprägtes Ethos entwickelt. Fragt man in den Kampfeinheiten nach ihrer Loyalität, dann fällt die Antwort der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften fast immer gleich aus: "die Einheit, das Korps, Gott, Vaterland" – und zwar genau in dieser Reihenfolge. Drogen- und Alkoholkonsum sind unter den Soldaten deutlich weniger verbreitet als bei den gleichaltrigen Zivilisten. Immer mehr Rekruten kommen schon vor Ablauf ihres Urlaubs in die Stützpunkte zurück, weil ihnen der frühere Freundeskreis auf einmal fremd und oberflächlich erscheint. Das Wertebewußtsein ist überwiegend ein entschieden konservatives, auch wenn bei der Truppe "Modernität" und "Eigeninitiative" großgeschrieben werden.

In Fort Leavenworth am Mississippi befindet sich der "Think Tank" der US-Armee. Dort treffen sich Obristen und Oberstleutnants – die künftigen Generäle – zu detaillierten Studien denkbarer militärischer Zukunftsszenarien. Das wissenschaftliche Niveau und das Maß an Meinungsfreiheit, wie es in Fort Leavenworth selbstverständlich ist, suchen in der Welt ihresgleichen. Hier lernt eine soldatische Elite, Männer und Frauen, die innerlich zusammengehalten wird von der Überzeugung, daß Ordnung und Respekt für die Freiheit, für das menschliche Leben und das Eigentum unbedingt zu sichern sind – notfalls mit dem eigenen Leben.

Eine ideale "Kreuzritter"-Truppe, mit der die Vereinigten Staaten sich sicherer denn je fühlen dürfen, so könnte man meinen. Doch das Unbehagen in Washington ist nicht ganz unbegründet, denn in Leavenworth hält sich die Liebe zur Clinton-Regierung in Grenzen, und die heutigen Offiziere sind weitaus stärker politisiert als ihre Vorgänger, die bis in die 80er Jahre hinein noch größtenteils die Werte und Ansichten der Gesellschaft reflektierten. Die überwiegende Mehrheit des Offizierskorps bekennt sich offen als Republikaner, unter den jüngeren verorten sich besonders viele am rechten Rand der Oppositionspartei. Studien belegen, daß der von den Demokraten dominierte Kongreß sowie die Medien als interne Feinde Nr. 1 und 2 gelten. Wo auf der Ebene der Leavenworth-Absolventen 69 Prozent der Offiziere sich als "rechts" bzw. "konservativ" beschreiben, sind es auf Leutnants-Ebene bereits 81 Prozent: eine neue Rekordmarke der Konservativen Revolution im US-Militär. Der Grad an politischer Bewußtheit steigt deutlich und ist inzwischen beim Militärpersonal, gemessen an der Wahlbeteiligung, so stark ausgeprägt wie in kei-nem anderen Sektor der Gesellschaft.

Das Feindbild ist zwar wesentlich komplexer als zu den Zeiten des Kalten Krieges, aber es existiert. Das Buch "Clint Mc Quade USMC: The New Beginning", desser Autor und Herausgeber ein ehemaliger Major der amerikanischen Marines ist, gehört unter Soldaten zur Standardlektüre. Als "Feinde" werden darin die Korruption und der Zerfall der "amerikanischen Werte" gebrandmarkt, und die derzeitige politische Führung wird mit keinem guten Wort bedacht. Andrew Bacevich, ein pensionierter Oberst, beschreibt das Klima wie folgt: "Es besteht ein tiefes Mißtrauen gegenüber den Politikern als Teil des Vietnam-‘Hangover’. Man sagt sich: ‚Ihr habt uns einmal verraten. Vielleicht tut ihr es ein zweites Mal."

Infolge der Zuwanderungsströme aus der Dritten Welt spiegeln auch die US-Innenstädte in ihrer Kultur immer weniger "Amerika" wider, sondern symbolisieren das Ende des vertrauten Wertesystems. Seit dem Einsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung der Unruhen von Los Angeles 1992 und seitdem Polizeieinheiten in den Großstädten in Ausbildung wie Ausrüstung immer mehr militärischen Charakter annehmen, glauben viele, daß die Einsatzorte der Zukunft vielfach im eigenen Land sein werden – in den städtischen Ballungszentren. Der Militäranalytiker William Lind meint: "Der nächste richtige Krieg, den wir kämpfen, wird wahrscheinlich auf amerikanischem Boden stattfinden." Die Schuld liege, so Lind, bei denen, die "die Werte, Moral und Standards weggeworfen haben, die traditionell die westliche Kultur definieren". Political correctness ist aus seiner Sicht nichts anderes als "Marxismus, der aus dem Wirtschaftlichen in soziale und kulturelle Begriffe übersetzt wurde" und Konflikte schaffe, indem "multi-culturalism" und moralischer Relativismus auf Kosten der amerikanischen Identität gefördert würden.

Obwohl die US-Streitkräfte immer noch vor allem dann in den Medien erscheinen, wenn ein weiterer Sex-Skandal aufgedeckt worden ist oder ein neuer "Weltpolizei"-Einsatz stattfindet, sind sie doch Schritt für Schritt zu einem immer bedeutenderen politischen Faktor in der Gesellschaft der Vereinigten Staaten geworden.


 
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