© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Verschoben: Wie der DDR-Geheimdienst ein Vermögen ins Ausland verbracht hat
Die Wege der Stasi-Millionen
von Oliver Geldszus

Die genaue Zahl kennt niemand. Insgesamt sollen etwa 10 Milliarden D-Mark in der anarchischen Wendezeit von findigen SED-Seilschaften und der Staatssicherheit vor dem Zugriff der Bundesregierung ins Ausland gerettet worden sein. Teile dieser gewaltigen Summe sind in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht und konnten von der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) oder der Treuhand-Nachfolgerin, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), sichergestellt werden. Doch es ist blauäugig anzunehmen, daß jemals der Verbleib der gesamten sogenannten Stasi-Millionen an das Licht der Öffentlichkeit gebracht werde. Zum einen läßt sich nicht mehr jeder Finanzkanal aufdecken, zum anderen sind Wirtschaft und Politik zu sehr miteinander verwoben, als daß eine völlige Aufklärung möglich scheint. Neben den Ermittlern haben von Anfang an stets die Medien ein Auge auf die Machenschaften der Stasi geworfen, verbarg sich hier doch jeweils ein dankbarer Aufmacher im Boulevardstil, der regelmäßig das Publikumsinteresse auf sich zog. In jüngster Zeit hat der Berliner Journalist Andreas Förster ein kenntnisreiches und überraschend detailgenaues Buch über die verschlungenen Wege der Gelder vorgelegt, das den Einblick in dieses dunkle Wendekapitel ermöglicht ("Auf der Spur der Stasi-Millionen. Die Wien-Connection." Argon-Verlag Berlin, DM 39,80).

Natürlich hatte die marode DDR kein "flüssiges" Vermögen von annähernd 10 Milliarden Mark, daß kurz vor der Wiedervereinigung nur noch durch die eine oder andere Transaktion in Sicherheit gebracht zu werden brauchte. Das Geld stammt weitgehend aus der Wendezeit und mußte durch geschickte Finanzoperationen und Spekulationen zunächst erwirtschaftet werden. Die Vorbereitungen dazu reichen zurück in die achziger Jahre, als die DDR im Ausland auf diplomatischer Ebene hofiert wurde, dabei aber schon am Abgrund stand. In dieser Zeit begannen die Vorbereitungen auf den "Tag X", den Tag der offiziellen Zahlungsunfähigkeit der DDR.

Zunehmende Differenzen mit Moskauer Reformern

Weiterhin alarmiert wurde die Führungsriege von Nachrichten aus Moskau. Nach dem Tod Breschnews und der Machtübernahme des früheren KGB-Chefs Andropow legte eine geheime sowjetische Projektgruppe namens "Stern" 1982 eine Studie vor, in der die Verbesserung der ökonomischen Lage in den RGW-Staaten einzig in der Überwindung der Konfrontation mit den Westmächten gesehen wurde; in Verbindung damit wurde dem Kreml der Verzicht auf die DDR und somit die deutsche Einheit nahegelegt. Doch Honecker hatte Glück, Andropow starb bald. Erst mit dem Reformer Gorbatschow steigerte sich wieder der Ernst der Lage.

Seit der Andropow-Zeit mißtraut Honecker dem Kreml ohnehin zutiefst. Zunehmend freundet sich die SED-Führungsspitze intern mit dem Gedanken der Konförderation mit der Bundesrepublik an; nach dem Fall der Mauer wird Honeckers Adlatus Krenz noch einmal diese Idee verspätet vortragen. Alexander Schalck-Golodkowski, Chef des Devisenimperiums "Kommerzielle Koordinierung", bleibt es vorbehalten, den Kollaps der DDR-Wirtschaft um einige Jahre durch den von Strauß vermittelten berühmten Milliardenkredit zu verzögern. In seinen "Erinnerungen" hat Strauß ausführlich dargelegt, daß der Kredit keine Stabilisierung der SED-Herrschaft herbeiführen sollte, sondern im Gegenteil die Annäherung der beiden deutschen Teilstaaten.

Vor allem die Staatssicherheit ist seit dieser Zeit damit beschäftigt, den "geordneten Übergang" in eine neue Realität zu planen. Im Falle eines neuen Verhältnisses zum einstigen Klassenfeind soll die alte Führungsriege materiell abgesichert sein. Im Februar 1988 stoppt Mielke daher das Bunker-Neubauprogramm und läßt statt dessen durch Strohmänner ein Netz von Häusern und Grundstücken erwerben. Die Eigendynamik der Wende im Herbst 1989 und der plötzliche politische Zusammenbruch der DDR konterkarieren die sorgfältigen Übergangsprojekte. In den heißen Revolutionswochen ist die Staatssicherheit, von der man jederzeit ein gewaltiges Eingreifen erwartet, vielmehr damit befaßt, über alte Beziehungen ein heimliches Vermögen aufzubauen und in Sicherheit zu bringen sowie sich im Rahmen der Privatisierung in die alten DDR-Betriebe einzukaufen.

Bei der Rettung der Millionen helfen vor allem die guten Verbindungen nach Moskau und nach Wien. In der Donau-Metropole existiert seit der sowjetischen Besatzung 1945 ein hervorragender Kontakt zur Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) sowie zu einzelnen Unternehmern, die immer wieder in all den Jahren bereitwillig mit dem Ostblock Geschäfte gemacht haben. Bereits zu DDR-Zeiten ist so ein Netz von Tarnfirmen und Tarnkonten in Österreich, aber auch in Liechtenstein und der Schweiz aufgebaut worden, das der besorgten Staatssicherheit nun ein willkommenes Auffangbecken bietet. Eine zentrale Figur der sogenannten Wien-Connection ist dabei der Unternehmer Martin Schlaff, den das MfS unter dem Decknamen "Landgraf" führte. Schlaff ist ein frommer Jude mit allerbesten internationalen Beziehungen. Er war bereits in das "Wappen"-Projekt der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), des DDR-Auslandsgeheimdienstes, involviert, mit dem im thüringischen Meiningen Mitte der achziger Jahre ein Festplattenspeicherwerk, eine Art Silicon Valley im Thüringer Wald, aufgebaut werden sollte. Der Multimillionär Schlaff wird ab Dezember 1989 wieder zu einem wichtigen Geschäftspartner für die Staatssicherheit.

Leichtgläubig genehmigten die Vertreter des Runden Tisches am 23. Februar 1990 Modrows Vorschlag, daß sich nach dem Sturm auf die Normannenstraße nun auch die HVA selbst auflösen darf. Sie konnte so ohne Kontrolle in den letzten Wochen und Monaten der DDR ihre Auslandsgeschäfte abwickeln und die Spuren anschließend verwischen. Allerdings war es nicht mehr möglich, ungehindert an die alten Stasi-Konten heranzukommen. Deshalb verfielen die Genossen von der HVA auf die Idee, durch eine Reihe von Scheingeschäften dieses Geld loszueisen und über Mittelsmänner im Ausland zu deponieren. Weiterhin wurde versucht, Schlüsselpositionen in den führenden Betrieben und Kombinaten zu besetzen. um so deren Auflösung zu kontrollieren, wie das Beispiel Robotron zeigt. Bei dem ehemaligen DDR-Vorzeigebetrieb wird kurz vor dem Ende noch darauf geachtet, daß Robotron bei westlichen Stasi-Firmen Lieferungen ordert, die auch später noch Gültigkeit haben. So wandert das Robotron-Vermögen in wesentlichen Teilen auf die weitgestreuten Stasi-Konten.

Eine weitere wichtige Geldquelle stellte das Geschäft mit den Transferrubeln, der künstlichen Verrechnungseinheit innerhalb des RGW, dar. Bis zur Währungsunion 1990 konnten von der DDR aus Außenhandelsgeschäfte mit den Ostblockstaaten in Transferrubel abgewickelt werden, der danach dann mit jeweils 2,34 DM weit über Wert gutgeschrieben wurde. Gerade hier konnte die HVA ihre guten Beziehungen ausspielen und ein Vermögen anhäufen.

MfS bewies Übersicht und ökonomische Kompetenz

Aber auch in anderen Geschäftsbereichen war die Staatssicherheit mit kaufmännischem Geschick und ruhiger Übersicht in der aufregenden Wendezeit mit von der Partei. Unter dem Decknamen "Operation Elbe" kaufte sie sich in Treuhand-Firmen ein, erwarb Grundstücke und stieg in das Reisegeschäft ein. So wurde das neue Kapital jeweils angelegt und zugleich vor staatlichem Zugriff geschützt. Auch in der Wiener Novum Handelsgesellschaft, über die viele Geschäfte nach Österreich abliefen, hatte sie das Sagen. Über die Geschäftsführerin Rudolfine Steindling ergibt sich eine Beziehung zu Schlaff; sein Anwalt Neubauer fungiert als ihr wirtschaftlicher Berater. Novum wurde 1951 bereits im Auftrag der SED von der hiesigen KPÖ zur Devisenbeschaffung gegründet. In der undurchsichtigen Wiener Grauzone ergeben sich auch immer wieder finanzielle Beziehungen nach Rußland; entweder zum Ex-KGB oder zur Russenmafia, wo ebenfalls ein Teil der verschwundenen "Stasi-Millionen" vermutet wird. In einigen Fällen wurden die Gelder relativ offen verschoben. Seit 1981 führte die Ost-Berliner Handelsbank das Konto Nr. 753 für ein Phantom namens Markovic, hinter dem der HVA-Oberst Gaida vermutet wird. Insgesamt 17 Millionen wurden von hier aus im Frühjahr/Sommer 1990 auf das Konto der österreichischen ROS Energietechnik AG überwiesen. Dennoch tappen die ZERV-Ermittler auch hier im dunkeln; denn die weiteren Wege der Millionen sind nicht nachweisbar. Ein schwieriges Feld somit weiterhin.

Denn die ZERV leidet unter Arbeitsüberlastung und Personalmangel. Auch behindert zuweilen ein unsinniges Kompetenzgerangel die Arbeit. So waren dem Wiener Schlaff eine zeitlang das Bayerische Landeskriminalamt, die Berliner Staatsanwaltschaft, die BvS sowie die ZERV auf der Spur. Des weiteren verzögern die zum Teil weitreichenden politischen Verbindungen der Stasi-Machenschaften die Ermittlungen, wenngleich der Leiter der ZERV, Manfred Kittlaus, seine Arbeit von Bonn aus durchaus unterstützt sieht. Um die Nachforschungen weiter zu forcieren, wurde 1997 eine zusätzliche "Arbeitsgruppe Koordinierte Ermittlungen" gegründet.

Die auf dunklen Wegen ins Ausland geretteten Millionen des DDR-Geheimdienstes stellen ein geradezu folgerichtiges Kapitel der Wende und der deutschen Einheit dar. Das MfS bewies hierbei Übersicht und kapitalistische Kompetenz. Vermutlich waren seine ökonomischen Interessen der Grund dafür, daß es im Herbst 1989 keine Konterrevolution gab; ohnehin kannte die Stasi wie niemand sonst die desolate wirtschaftliche Situation im Land. Indirekt waren die schwarzen Millionen ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor nach der Wiedervereinigung. Ihre Existenz allein belegt das Versagen der Wende-Protagonisten und später des bundesdeutschen Rechtsstaates. Im Jahre 2000 sollen die entsprechenden Straftaten ohnehin verjähren. Den Ermittlern bleiben nur noch 19 Monate.


 
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