© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/98 15. Mai 1998

 
 
Ökumene: Katholiken schlagen Alarm - Kleinster gemeinsamer Nenner reicht nicht aus
Die Botschaft ist unglaubwürdig
von Mathias von Gersdorff

In einem mittelgroßen Raum sitzen zerstreut neun Zuhörer. Die ersten drei Sitzreihen sind leer. Einige schauen auf die Uhr, ein anderer flüstert dem Nachbarn etwas zu; dann stehen beide auf und verlassen den Raum. Die "Fragen des Publikums" läßt man mangels Masse lieber gleich ausfallen.

Nicht von einer FDP-Wahlveranstaltung in Sachsen-Anhalt ist die Rede, sondern von einem "Ökumenischen Gesprächsabend mit Gelegenheit zum Gedankenaustausch". Die Ökumene, als Schlagwort noch vor einigen Jahren in aller Munde, ist ins Stocken geraten. Gäbe es keine "Berufsökumeniker", die in hochsubventionierten Zeitschriften mit sinkenden Abonnentenzahlen schreiben, wäre das Thema kaum noch präsent. Selbst die ständigen Appelle einiger Bischöfe bringen kaum Bewegung in die Schar der Gläubigen. Ökumene ist zu einer Sache der Funktionäre geworden.

"Es wird höchste Zeit, daß wir alle zusammen den Ernst der Lage erfassen", meint der Mainzer Bischof Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Es habe, so Lehmann, gar keinen Sinn, die Lethargie und das Unbehagen bei vielen Menschen zu verheimlichen, denn die Krise sei offensichtlich.

Kritiker haben aber auch immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß auch Lehmann selbst ein gehöriges Maß an Mitschuld an der derzeitigen Lage trifft. Lange Zeit war es sehr einfach, in die Schlagzeilen zu kommen, wenn man ökumenische Bekenntnisse abgab. Es fehlten auch nicht die Kirchenfunktionäre und Berufslaien wie dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die stets Beifall klatschten. Ökumenisches Profil nutzte der Karriere. Doch den Vertretern der offiziellen Ökumene ging es wie den Politikern: die Hoffnungen und Versprechen waren unrealistisch; früher oder später mußte die Ernüchterung kommen. Die Unterschiede zwischen den Konfessionen wurden oft als zweitrangig hingestellt. Denn: "Wichtig ist, was uns eint." Diese Botschaft ist aber für viele nicht glaubwürdig. Die Ökumene wurde innerhalb der katholischen Kirche typischerweise von liberal- oder linkskatholischen Kreisen vorangetrieben. Für sie sind die äußeren Merkmale des Glaubens oft unwichtig, hinderlich oder gar falsch. – Wallfahrten, Marienverehrung, Rosenkranz und überhaupt die katholische Frömmigkeit seien Dinge für alte Frauen, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben. Diese linken Gruppen innerhalb der Kirche wurden derart ermutigt, sei es finanziell oder weil man ihnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit Prestige und Anerkennung hat zuteil werden lassen, daß ihre Projekte immer gewagter wurden. Nicht wenige Gläubige begannen daraufhin zu zweifeln, ob die Ökumene überhaupt im katholischen Geist durchgeführt wurde.

Besonderes Mißtrauen weckten die Ökumeniker mit der systematisch kritischen Haltung gegenüber dem Papst, dessen Amt die Einheit der Katholiken symbolisiert und ein wichtiges Hindernis für die Einheit der christlichen Kirchen ist. Im Übermut entwickelte die Ökumene immer mehr eine eigene Dynamik, die kaum noch zu bremsen war.

Besonders kritisch wurde es, als 1997 die damalige Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Rita Waschbüsch, öffentlich über den Plan eines ökumenischen Kirchentages mit gemeinsamer Abendmahlsfeier zwischen Katholiken und Protestanten nachdachte. Das weckte Schreckensvisionen bei vielen Katholiken. Nun sah sich Bischof Lehmann gezwungen, die Notbremse zu ziehen und das Projekt öffentlich zu verurteilen. Kurz danach verkündete Rita Waschbüsch "überraschend", daß sie für eine erneute Kandidatur zur Präsidentschaft des Zentralkomitees nicht mehr zur Verfügung stehe.

Das war allerdings nur einer von vielen Stolpersteinen auf dem ökumenischen Weg. Die mit großen Erwartungen begonnene ökumenische Versammlung in Graz im Juni 1997 wurde zu einem Fehlschlag: die Protestanten fühlten sich beiseite geschoben, die Orthodoxen eckten mit ihren Kommentaren überall an; besonders schwerwiegend war die Absage des Patriarchen von Moskau, Michail, an der Versammlung teilzunehmen. Zu allem Überfluß brachen auch noch Streitigkeiten innerhalb der konfessionellen Blöcke aus. Das Motto des Treffens, "Versöhnung", konnten viele Teilnehmer im Nachhinein nur als bittere Ironie werten.

In Deutschland ist die Ökumene vor allem aus drei Gründen belastet.

Der Brief von Papst Johannes Paul II. an die deutschen Bischöfe bezüglich der Schwangerschaftsberatungsstellen, in dem er darum bittet, die Beratungsscheine nicht mehr auszustellen, hat die Mehrheit der Protestanten brüskiert. Der Ratsvorsitzende der EKD, Manfred Kock, äußerte sich verärgert über den Brief aus Rom, denn der sei ein wichtiges Hindernis für die Ökumene.

Zur Zeit wird auf protestantischer Seite mit harten Bandagen über die lutherisch-katholische "Erklärung zur Rechtfertigungslehre" gestritten, die nicht lutherischem Selbstverständnis entspricht. Eine Ablehnung aber, so Bischof Lehmann, werde den ökumenischen Prozeß um Jahrzehnte zurückwerfen. Schließlich sorgt auch der Religionsunterricht an den Schulen für Streit. Gemeinsamen ökumenischen Unterricht möchte die katholische Kirche nur in Ausnahmefällen zulassen. Die Konfessionalität soll prinzipiell gewahrt bleiben.

Faktum aber bleibt das allgemeine Desinteresse der meisten Menschen in Sachen Ökumene und die Ungewißheit, wohin einige Berufsökumeniker die Christenheit theologisch führen möchten. Manchen von ihnen scheint der Identitätsverlust gelegen zu kommen, um eine verwaschene, nicht genau definierbare Weltreligion zu etablieren, in der sich alle Religionen auflösen könnten. Darauf deuten auch die Vorbereitungen für den diesjährigen Katholikentag in Mainz hin, der sich einen Delphin und nicht etwa ein christliches Zeichen als Symbol genommen hat und dessen Programm sich bisweilen wie ein Jahrmarkt ausnimmt. "Christlich-islamischer Dialog" oder "Eucharistiegemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft" sind nur einige Themen. "Hoffnung" ist das Leitwort der Veranstaltung. Die Katholiken werden sie brauchen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen