© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/98 15. Mai 1998

 
 
Südslawien und seine Schwaben: Aufarbeitung verdrängter Geschichte in Serbien und Deutschland
Opferlämmer der Tito-Partisanen
von Martin Schmidt

Von den Serben und Montenegrinern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dörfern der geflohenen oder von den Partisanen internierten und getöteten Donauschwaben im jugoslawischen Teil des Banats, in der Batschka oder in Syrmien ansiedelten, sind Anekdoten überliefert, wie man sie auch von den sowjetrussischen Soldaten in Deutschland her in Erinnerung hat. So berichten Zeitzeugen beispielsweise, daß die aus armen Karstgebieten stammenden Bauern die Glühbirnen in den stattlichen Häusern der "Schwaben" mit Wasser zu löschen versuchten.

Von solchen zum Schmunzeln anregenden Begebenheiten abgesehen, gehört all das, was mit dem gewaltsamen Ende der Kultur der rund 500.000 Donauschwaben in Jugoslawien zwischen 1944 und 1955 zusammenhängt, zu den schlimmsten Ereignissen der Geschichte dieses Jahrhunderts. Insgesamt über 85.000 Männer, Frauen und Kinder – also etwa ein Sechstel der Volksgruppe – kamen ums Leben, davon allein zwischen Oktober 1944 und März 1948 mehr als 48.000 in den jugoslawischen Vernichtungs- und Internierungslagern. Doch obwohl der nach dem Ersten Weltkrieg gebildete, von den Serben dominierte Kunststaat aller Südslawen angesichts seines Zerfalls in den 90er Jahren zu den meistbeachteten außenpolitischen Themen in Deutschland gehört und mit dem Kosovo-Problem bis heute die Presse beschäftigt, spielt die Erinnerung an die in diesem Raum einst beheimatete große deutsche Volksgruppe in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß bei den Kämpfen der Jahre 1991/92 in Kroatien von den verbliebenen winzigen Resten der deutschen Volksgruppe 429 Zivilisten durch serbische Freischärler ums Leben kamen. Weitere 142 Deutsche fielen als Soldaten der kroatischen Armee, Hunderte saßen über Monate und Jahre in serbischen Lagern ein.

50.000 Deutsche kamen in jugoslawischen KZs um

Immerhin gibt es bis in die jüngste Zeit hinein bemerkenswerte Versuche, den Mantel des Schweigens über dieses traurige Kapitel gesamtdeutscher Geschichte zu lüften. Der wahrscheinlich wichtigste ist die vierbändige Dokumentation "Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien", die bisher in zwei Auflagen in den Jahren 1991/92 von der 1978 gegründeten Donauschwäbischen Kulturstiftung im Selbstverlag herausgegeben wurde. Das insgesamt über 4.000 Seiten umfassende Werk, welches in einer Restauflage nach wie vor erhältlich ist (Kosten: 60,- DM pro Band) und außerdem als dreibändiges "Weißbuch der Deutschen in Jugoslawien" beim Langen Müller-Verlag bezogen werden kann, gliedert sich in fünf Abschnitte: 1. "Die Donauschwaben im südöstlichen Mitteleuropa", 2. "Die Deutschen in Jugoslawien 1918-1941", 3. "Der Bürgerkrieg im geteilten Land 1941-1945", 4. "Ortsberichte" und 5. "Die Tragödie der Deutschen in Jugoslawien – Zur Frage nach den tieferen Ursachen".

Die opulente Darstellung sollte eine Forschungslücke füllen und, wie es im Vorwort heißt, "den ‚Nachgeborenen‘, den Nachkommen der Erlebnisgeneration der Donauschwaben, Dokumente in die Hand geben, von denen die gegenwärtig noch lebenden Wissensträger überzeugt sind, daß sie eine wesentliche Quelle für die Erarbeitung einer unverfälschten Geschichtsdarstellung bilden werden." Eine angesichts der Häufung von Grausamkeiten innerlich besonders aufwühlende Leseerfahrung bieten im dritten Band die zahlreichen Zeitzeugenberichte aus den Orten des Grauens im Banat, der Batschka, der Branau (Baranja), aus Syrmien, der Wojwodina, Slawonien usw. Die Namen aller getöteten Donauschwaben – sofern bekannt – sind in Band IV zusammengetragen. Dabei betonen die Autoren, daß die knapp 200.000 dem Tito-Regime ausgelieferten Angehörigen dieser Minderheit zu einem beträchtlichen Teil Opfer eines "Völkermordes" in Form eines gezielten Hungertodes wurden. Vor allem die Kleinkinder und die über 60jährigen hatten kaum eine Überlebenschance. Diese "ethnischen Säuberungen" fanden zu etwa 90 Prozent erst nach dem 8. Mai 1945 statt. Besonders schlimm ging es in Rudolfsgnad im südlichen Banat zu, wo allein 110.000 Donauschwaben umkamen. Traurige Bekanntheit erlangten auch die Namen Groß-Betschkerek im mittleren Banat sowie Gakowa in der Wojwodina. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß es im Banat nach dem Ende der Kampfhandlungen zu besonders vielen Greultaten gekommen ist, obwohl es in dieser im Krieg einer deutschen Verwaltung unterstehenden Region – anders als in der Batschka (ungarisch regiert) oder in Syrmien (kroatisch beherrscht) – keine Partisanenüberfälle und nationalsozialistischen Terrorakte gegeben hatte.

In Band III werden als Hintergründe dieses Verbrechens an den im 18. Jahrhundert in drei sogenannten "Schwabenzügen" friedlich ins Land gekommenen deutschen Siedlern folgende Motive genannt: "(…) erstens der großserbische Nationalismus, der bestrebt war, den Boden, auf dem Serben leben, ethnisch zu ‚säubern‘; zweitens die von der kommunistischen Ideologie geforderte Kollektivwirtschaft, zu deren Realisierung der Bodenbesitz der Donauschwaben besonders geeignet erschien; drittens die Notwendigkeit der Stabilisierung der Macht der Kommunisten, wobei sich der Terror an den Volksdeutschen als öffentlich wirksam erwies und ihre Eliminierung in den Augen der Kommunisten der Vorstellung entsprach, den Bevölkerungsteil, der einer kommunistischen Gesellschaftsordnung am meisten Widerstand entgegensetzen würde, beseitigt zu haben; viertens die Belohnung der aktiven Partisanenkämpfer aus den kargen Gebieten hauptsächlich der Krajina und Lika mit fruchtbarem Boden und guten Häusern; fünftens der Neid ob der im Verhältnis zu den anderen ländlichen Volksteilen Jugoslawiens alles in allem größeren materiellen Wohlhabenheit der Donauschwaben; sechstens schließlich die Haß- und Rachegefühle gegen die Deutschen, weil diese auf deutscher Seite (nach titoistischer Sprachregelung: "auf seiten der Okkupanten") gegen die "Volksbefreiungsarmee" gekämpft hatten."

Die Dokumentation des "Leidensweges" durch die Donauschwäbische Kulturstiftung hat ein wesentliches Manko: Sie wird als äußerst detailliertes Grundlagenwerk eine Verbreitung nur unter einigen Wissenschaftlern, Betroffenen und den wenigen an auslandsdeutscher Geschichte interessierten Personen finden können. Doch angesichts des kollektiven Vergessens auch dieses Kapitels deutscher Historie wären heute vor allem Bücher vonnöten, die eine knappe, leichter lesbare "Rückführung in die Geschichte" ermöglichen. Dieses hat auch die Donauschwäbische Kulturstiftung erkannt, so daß sie eine Zusammenfassung als Taschenbuch erarbeitete, die nun am 17. Mai in Sindelfingen erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Präsentation wird von Jakob Dinges, dem Vorsitzenden der Landsmannschaft der Donauschwaben um 9.30 Uhr im örtlichen Domizil der Volksgruppe eröffnet und ist mit einer Gedenkstunde anläßlich des 50. Jahrestages der Auflösung der jugoslawischen Vernichtsungslager verbunden.

Noch bis vor wenigen Jahren waren insbesondere in Serbien diese Verbrechen an Deutschen noch ein absolutes Tabuthema. Inzwischen gibt es wenigstens Ansätze einer um Objektivität bemühten Aufarbeitung. Besonders hervorgetan hat sich dabei der entschieden antikommunistische Belgrader Germanist Prof. Zoran Ziletic, der auch Präsident der Serbisch-Deutschen Gesellschaft ist. Beiträge von Ziletic finden sich u. a. in dem aufsehenerregenden Sammelband "Jedan svet na Dunavu" (Ein Volk an der Donau), der 1996 von Nenad Stefanovic herausgegeben wurde. Stefanovic ist Mitglied des Schriftsteller- und Journalistenverbandes, Redakteur des Magazins Duga sowie Autor historischer Romane.

In dem mit Hilfe von in Baden-Württemberg lebenden Serben finanzierten Taschenbuch, das zum Beispiel Interviews des Herausgebers mit namhaften Donauschwaben in Deutschland beinhaltet, findet sich ein Aufsatz von Zoran Ziletic über "Die Deutschen in der Wojwodina und der Zweite Weltkrieg".

Belgrader Germanist streitet für Aussöhnung

Dort kann man u. a. folgende Passagen lesen: "Die kollektive Strafe mit den Folgen, wie sie die Deutschen in der Wojwodina erleiden mußten, haben auch die Serben und Montenegriner im Kosovo in den Jahren 1941 bis 1943 ertragen. Auch ihnen haben Titos Machthaber 1945 das Recht auf die Rückkehr in die Heimat verweigert mit der Ausrede, sie hätten sich den Tschetniks angeschlossen. In beiden Fällen handelt es sich in Wirklichkeit um den Raub bereits jahrhundertealter Besitztümer. In der Wojwodina wurden vorwiegend titoistische Serben aus Pavelics Kroatien und in den Kosovo Albaner aus anderen jugoslawischen Gebieten angesiedelt. (…) Die Deutschen in der Wojwodina sind unsere ehemaligen und jetzigen Mitbürger deutscher Nationalität, deren Vorfahren im Laufe des 18. Jahrhunderts planvoll angesiedelt wurden. Sie kamen zusammen mit Angehörigen von noch zwölf weiteren Volksgruppen in das damalige Königreich Ungarn, das die Habsburger zwischen 1686 und 1718 von den Türken befreit hatten. (…) Das nationalsozialistische Deutschland bemühte sich, die Deutschen aus dem Ausland für ihre großdeutschen Ziele mit den Reichsdeutschen gleichzusetzen.

Auf der anderen Seite bemühte sich die kommunistische Geschichtsschreibung unter Tito, aber auch unter Milosevic, unsere Mitbürger deutscher Nationalität mit der reichsdeutschen Besatzungsmacht zu identifizieren. Sie sollten zum Opferlamm für die gesamte jugoslawische Tragödie (…), zum kollektiven Schuldner gestempelt werden.

Für das verhängnisvolle Schicksal des Versailler Jugoslawiens und besonders Serbiens als Zentrum dieses Staates sind die Deutschen der Wojwodina (die Volksdeutschen) am wenigsten schuld. (…) Die serbische Geschichtsauffassung scheint dem Erdichteten zugänglicher zu sein als den Fakten. (…) Nur so kann man zum Beispiel verstehen, daß man die ernsten Auseinandersetzungen zwischen Jugoslawien und Frankreich verschwieg und die sehr guten Beziehungen mit Deutschland zwischen 1918 und 1941 verheimlichte." – Noch sind Personen wie Stefanovic und Ziletic einsame Streiter für eine vorurteilsfreie Betrachtung der donauschwäbischen Geschichte und für eine echte serbisch-deutsche Aussöhnung. Um so mehr haben sie es verdient, daß ihr mutiges Wirken auch hierzulande bekannt wird. Dazu will die Donauschwäbische Kulturstiftung ihren Beitrag leisten, indem sie an einer deutschen Übersetzung von "Jedan svet na Dunavu" arbeitet, die noch in diesem Jahr erscheinen soll.

Kontakt- und Bezugsadresse: Donauschwäbische Kulturstiftung, Schädlerweg 2, 81929 München


 
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